Kriegsverbrechen und Prestige
Vor 50 Jahren schließen die USA und Nordvietnam Waffenstillstand
Als die Außenminister der USA und Nordvietnams in Paris einen Waffenstillstand unterzeichnen, schweigen die Waffen noch lange nicht. Darum geht es beiden Seiten auch gar nicht. Am Ende des von zahlreichen Verbrechen gekennzeichneten Krieges sind in Südvietnam drei Millionen Menschen tot.
Von Nils Sandrisser Donnerstag, 26.01.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 26.01.2023, 12:04 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Eigentlich hätte der Waffenstillstand den Vietnamkrieg beenden sollen. Aber auch als US-Außenminister William Rogers und sein nordvietnamesischer Kollege Nguyen Tuy Trinh am 27. Januar 1973 in Paris ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet haben, gehen die Kämpfe weiter. Zu Ende ist der Vietnamkrieg damit nur für die USA. Für die Vietnamesen enden die Kämpfe erst 1975.
Ausgehandelt haben den Pariser Vertrag der US-Sicherheitsberater Henry Kissinger und der nordvietnamesische Chefunterhändler Le Duc Tho. Beide bekommen im folgenden Herbst dafür den Friedensnobelpreis.
Bilder des Vietnamkriegs, in den die USA 1964 eingetreten waren, und seiner Toten waren per Fernseher in die Wohnzimmer der Welt gekommen. In den USA bekam die Bürgerrechtsbewegung, die schon seit den 1950er Jahren immer mehr anschwoll, noch mehr Zulauf. Die 68er-Bewegung speiste sich aus einer Mischung: einerseits der Forderung nach Emanzipation und Liberalisierung, andererseits Protest gegen Bombenkrieg und Kriegsverbrechen. Sie strahlte auf die ganze westliche Welt aus.
USA wollen Krieg mit Bomben entscheiden
Seit Mai 1968 liefen in Paris Friedensgespräche zur Beendigung des Krieges, allerdings schleppend. Die USA wollten den Krieg mithilfe der Feuerkraft ihrer Artillerie und Luftwaffe entscheiden, zahlreiche Zivilisten wurden dabei getötet. US-Truppen begingen auch Kriegsverbrechen, etwa als Soldaten im März 1968 in dem Dorf My Lai ein Massaker anrichteten. Auf kommunistischer Seite waren Kriegsverbrechen sogar Teil der Kriegsführung. In der Stadt Hue richteten Nordvietnamesen und Vietcong-Rebellen 1968 mehrere Tausend Menschen hin.
US-Präsident Richard Nixon wollte eine Friedenslösung erzwingen, indem er den militärischen Druck auf Nordvietnam erhöhte. In drastischen Worten kündigte er im Mai 1972 an: „So wie sie diesmal bombardiert werden, sind diese Bastarde noch nie bombardiert worden.“ Über Monate hinweg entsandten die USA B-52-Bomber, die weite Teile Vietnams in eine Mondlandschaft verwandelten.
„An-den-Verhandlungstisch-bomben“ hat nichts gebracht
Tatsächlich erzielten die USA und Nordvietnam im Oktober eine Einigung. Sie scheiterte aber, weil Südvietnam nicht zustimmte. Kurz darauf wollte wiederum Nordvietnam nicht mehr verhandeln. Es folgte eine erneute Bombenkampagne im Dezember 1972. Hanoi kam wieder an den Verhandlungstisch.
Wobei der militärische Druck nach Ansicht des Potsdamer Historikers Bernd Stöver nicht die entscheidende Rolle spielte. „Dieses An-den-Verhandlungstisch-bomben hat aus meiner Sicht nichts gebracht“, ordnet er ein. Auch Stövers Hamburger Kollege Bernd Greiner sagt: „Dieser Waffenstillstand hätte schon 1969 vereinbart werden können.“ Es sei ein Irrglaube gewesen, dass durch eine Eskalation des Kriegs bessere Waffenstillstandsbedingungen zu erreichen gewesen wären.
USA geht es um ihr Prestige
Denn die Bedingungen sind für die USA in der Tat nicht sehr vorteilhaft. Wie in dem Pariser Papier vereinbart, ziehen die USA binnen sechs Wochen ihre Bodentruppen aus Südvietnam ab. Die Nordvietnamesen hingegen dürfen ihre Truppen im Süden stehen lassen.
Die friedliche Wiedervereinigung beider Teile Vietnams steht als Fernziel im Vertrag. Aber den USA ist klar, dass diese Worte nicht das Papier wert sind, auf dem sie stehen. „Es ging den USA hauptsächlich darum, ihr Prestige zu wahren“, erläutert Greiner. Washington rüstet Südvietnam so hoch, dass es lange genug durchhalten kann, um die Niederlage nicht als amerikanisch, sondern als südvietnamesisch aussehen zu lassen. Als Kissinger nach Abschluss der Waffenstillstandverhandlungen gefragt wird, wie lange der Süden noch wird aushalten können, antwortet er: „Wenn sie Glück haben, anderthalb Jahre.“
Südvietnams bedingungslose Kapitulation
Es werden dann doch mehr als zwei Jahre. Im März 1975 treten Vietcong und nordvietnamesische Truppen zum Sturm auf Saigon an. Am 30. April erklärt Südvietnam die bedingungslose Kapitulation. Die Bilder von der chaotischen Evakuierung der US-Botschaft gehen um die Welt.
Nicht nur in Vietnam tobte der Krieg, sondern auch in Laos und Kambodscha. Über das Gebiet der beiden Nachbarstaaten verlief der sogenannte Ho-Chi-Minh-Pfad, über den Nordvietnam die Vietcong mit Nachschub versorgte, daher nahmen die USA ihn unter Feuer. „Das hat die getroffen, die man nicht treffen wollte, nämlich die Zivilbevölkerung“, sagt Historiker Stöver. Den Rebellen habe das nur mehr Kämpfer beschert.
Drei Millionen Tote in Südvietnam
Am Ende des Kriegs sind etwa drei Millionen Menschen in Südvietnam tot, darunter zwei Millionen Zivilisten. Für Nordvietnam gibt es nur Schätzungen. Sie gehen von einem etwa gleich hohen Opferzahl aus. Zudem sind Hunderttausende Menschen in Laos und Kambodscha sowie 58.000 US-amerikanische GIs gestorben.
Das vietnamesische Trauma habe die USA in den darauf folgenden Jahrzehnten davon abgehalten, in Konflikten mit eigenen Soldaten, insbesondere Bodentruppen, zu intervenieren, sagt der Potsdamer Wissenschaftler Stöver. Dafür habe das US-Militär hauptsächlich Kriege mit Luftangriffen geführt, zuletzt vermehrt mit Drohnen, um die eigenen Verluste gering zu halten. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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