
Bitcoin statt Geldtransfer
Wie Migranten das globale Geldsystem verändern
Immer mehr Migranten schicken Geld per Bitcoin an ihre Familien – schnell, günstig, unabhängig. Doch der Trend birgt Risiken. Zwischen digitaler Teilhabe und finanzieller Unsicherheit beginnt eine stille Revolution.
Freitag, 21.11.2025, 0:44 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 22.11.2025, 11:50 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Wenn Amira* am Monatsende Geld an ihre Familie in Nordafrika schickt, ist das jedes Mal ein kleiner Kraftakt. Früher stand sie dafür in langen Schlangen bei einem Geldtransferdienst, zahlte hohe Gebühren und wartete manchmal Tage, bis das Geld ankam. Heute erledigt sie alles in wenigen Minuten auf ihrem Handy – über eine App für digitale Währungen. Ihre Familie erhält den Betrag fast sofort. „Ich muss niemandem mehr erklären, warum ich Geld überweise oder wie viel“, sagt sie. „Und ich spare Gebühren, die ich lieber meinen Eltern gebe.“
Was für Amira Alltag geworden ist, beschreibt einen globalen Trend. Kryptowährungen wie Bitcoin oder digitale Dollar-Abbildungen verändern, wie Menschen Geld bewegen. Besonders in der weltweiten Diaspora, also unter jenen, die fern ihrer Heimat arbeiten und Angehörige unterstützen, wächst der Einfluss dieser Währungen rasant.
Ein Milliardenmarkt in Bewegung
Weltweit überweisen Migrant:innen jedes Jahr hunderte Milliarden Dollar an ihre Familien – so viel wie der gesamte Staatshaushalt mancher Industrienationen. Diese Rücküberweisungen sind für viele Länder des Globalen Südens überlebenswichtig: In einigen Staaten machen sie mehr als ein Fünftel der Wirtschaftsleistung aus.
Doch klassische Geldtransferdienste verlangen hohe Gebühren. Im weltweiten Durchschnitt liegen sie bei rund sechs Prozent des Überweisungsbetrags – bei kleineren Summen oft deutlich mehr. Hinzu kommen lange Bearbeitungszeiten, fehlende Bankzugänge und, in manchen Ländern, instabile Währungen. Bei digitalen Währungen hingegen sind laut den Prognosen weitere Wertsteigerungen durchaus realistisch.
Kein Wunder also, dass viele Menschen nach Alternativen suchen. Kryptowährungen versprechen direkte Transfers ohne Zwischenhändler, rund um die Uhr, zu minimalen Kosten. Eine Überweisung kann – je nach Netzwerk und Plattform – für wenige Cent um die Welt geschickt werden. Hinzu kommt, dass die digitale Währung als Zahlungsmittel sich zunehmend etabliert. Zahlreiche Branchen akzeptieren inzwischen beispielsweise sogenannte BTC für Einzahlungen.
Vom Risiko zur Lebensader
Was vor Jahren noch als Spekulationsobjekt für Technikbegeisterte galt, wird in vielen Regionen zur realen Überlebensstrategie. In mehreren afrikanischen und südamerikanischen Ländern, aber auch in Teilen Asiens, greifen immer mehr Menschen auf Kryptowährungen zurück. Gründe sind Inflation, Devisenknappheit und strenge Kapitalverkehrskontrollen – wer dort Geld aus dem Ausland erhält, muss oft tagelang auf stabile Währungen warten. Digitale Überweisungen umgehen diese Hürden.
Ähnliche Entwicklungen zeigen sich in der Türkei oder in südamerikanischen Krisenstaaten, wo die Landeswährungen rapide an Wert verlieren. Für viele Familien im Ausland bedeutet Bitcoin Stabilität – auch wenn der Kurs selbst schwankt.
Deutschland: Heimat der digitalen Rücküberweisung
Auch in Deutschland spielt das Thema zunehmend eine Rolle. Mehr als zwölf Millionen Menschen mit Migrationserfahrung leben hier. Viele von ihnen unterstützen Familien in Herkunftsländern regelmäßig finanziell. Schätzungen zufolge flossen im vergangenen Jahr mehrere Milliarden Euro aus Deutschland in andere Länder – der Großteil über klassische Anbieter. Doch Krypto-Transfers gewinnen an Bedeutung, vor allem in Communities aus Ländern mit schwachen Finanzsystemen.
In Großstädten entstehen Start-ups, die genau diese Zielgruppe ansprechen: Plattformen, die Geldüberweisungen in digitalen Währungen ermöglichen, aber den Empfänger:innen das Geld in Landeswährung auszahlen. So können auch Angehörige ohne digitale Vorkenntnisse profitieren.
„Unsere Kund:innen wollen helfen, aber nicht ausgenommen werden“, sagt eine Unternehmerin aus Frankfurt, die ihre Plattform speziell für afrikanische Communities gegründet hat. „Mit Krypto-Transfers behalten sie die Kontrolle – und sparen oft mehr als 20 Prozent an Gebühren.“
Freiheit mit Haken
Doch das neue Finanzinstrument hat Schattenseiten. Während Banken und etablierte Anbieter staatlich reguliert sind, bleibt der Kryptomarkt in vielen Ländern weitgehend unkontrolliert. Es gibt keine Einlagensicherung, keinen Verbraucherschutz. Wenn eine Plattform pleitegeht oder gehackt wird, ist das Geld verloren.
Hinzu kommt das Problem der Kursschwankungen. Wer 200 Euro in Bitcoin schickt, kann Tage später feststellen, dass der Empfänger nur noch 180 oder bereits 220 Euro erhält. Viele Anbieter setzen daher auf digitale Währungen, die an den Dollar oder Euro gekoppelt sind. Sie gelten als stabiler, stehen aber ebenfalls unter Beobachtung der Finanzaufsicht.
Auch der Stromverbrauch bleibt ein Thema. Das Schürfen neuer Coins verschlingt enorme Energiemengen. Ausgerechnet eine Technologie, die Menschen in Entwicklungsländern Unabhängigkeit verschaffen soll, trägt so zur Klimabelastung bei.
Zwischen Selbstermächtigung und Kontrolle
Für viele Migrant:innen überwiegt dennoch der Nutzen. Sie erleben die Technologie als Schritt zur Selbstbestimmung – unabhängig von Bürokratie, Banken und Grenzen. Besonders junge Menschen sehen in Kryptowährungen nicht nur ein Spekulationsobjekt, sondern ein Werkzeug, um Familie und Heimat zu unterstützen.
Gleichzeitig wächst das Interesse der Regierungen. Während einige Länder Bitcoin bereits als offizielles Zahlungsmittel zugelassen haben, gehen andere restriktiv vor. In der Europäischen Union sollen ab Mitte des Jahrzehnts neue Regeln für Anbieter klarstellen, wer digitale Finanzdienste anbieten darf und unter welchen Auflagen. Ziel ist, den Markt zu regulieren, ohne Innovationen abzuwürgen.
Deutschland nimmt hier eine Mittlerrolle ein: Einerseits fördert die Politik Blockchain-Technologien, andererseits warnt die Finanzaufsicht regelmäßig vor unseriösen Anbietern und Betrugsrisiken. (em)
*Name geändert Wirtschaft
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