
Doppelte Maßstäbe
Gericht: Schöffin mit Kopftuch darf ihr Amt nicht ausüben
Während rechtsextreme Gruppen das Schöffenamt gezielt unterwandern und die Politik nur zögerlich reagiert, greift die Justiz im Fall einer gläubigen Muslima mit Kopftuch hart durch. Der Fall zeigt, wie unterschiedlich Neutralität ausgelegt wird – und gegen wen sie sich in der Praxis richtet.
Mittwoch, 22.10.2025, 13:29 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.10.2025, 13:29 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Weil sie ihr Kopftuch vor Gericht nicht abnehmen will, darf eine bereits gewählte Schöffin ihr Amt nicht ausüben. Das Tragen eines Kopftuchs als Richterin in einer Strafverhandlung verstößt gegen das staatliche Neutralitätsgebot, wie der Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig in einem am Dienstag bekanntgemachten Beschluss entschieden hat (AZ: 1 OGs 1/25).
Die Schöffin hatte den Angaben zufolge in einem Vorgespräch deutlich gemacht, während einer Strafverhandlung nicht auf das Tragen ihres Kopftuchs verzichten zu wollen. Es sei als Ausdruck ihrer religiösen Identität und nicht als politisches Zeichen zu verstehen. Trotz mehrfacher Hinweise auf die geltende Gesetzeslage habe sie daran festgehalten. Daraufhin habe der Strafsenat sie „wegen gröblicher Amtspflichtverletzung“ des Amtes enthoben.
Eingriff in Religionsfreiheit
Nach Auffassung des Senats hat die Frau gegen Paragraf 31a des Niedersächsischen Justizgesetzes verstoßen. Nach dieser Vorschrift dürfen diejenigen, die in einer Verhandlung richterliche Aufgaben wahrnehmen, keine sichtbaren Symbole oder Kleidungsstücke tragen, die eine religiöse, weltanschauliche oder politische Überzeugung zum Ausdruck bringen. Neben den Berufsrichterinnen und -richtern gelte das auch für Schöffen, da sie an der Urteilsfindung mit gleichem Stimmrecht mitwirkten.
Da die Vorschrift die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und das Vertrauen der Gesellschaft in die Neutralität und Unabhängigkeit der Justiz schütze, sei ein Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung verfassungsgemäß, urteilte das Gericht. Bei einer Abwägung sei zudem nicht nur die staatliche Neutralität zu berücksichtigen, sondern auch die negative Religionsfreiheit anderer Verfahrensbeteiligter, wie etwa die der Angeklagten. Die Entscheidung des Senats ist unanfechtbar.
Rechtsextreme Schöffen
Der Fall erinnert an die Debatte über den Umgang mit Schöffen mit rechter Gesinnung. Hier reagiert die Politik bislang nur zögerlich. Selbst nach Hinweisen auf Versuche extremistischer Organisationen, sich als Laienrichter in die Justiz einzuschleusen, gibt es in vielen Bundesländern mangels Gesetz keine verbindlichen Überprüfungen der Verfassungstreue. Bislang wird ein pauschaler Ausschluss, wenn der Schöffe beispielsweise ein AfD-Mitglied ist – ausgeschlossen. Entscheidend ist die Eignung der Person im Einzelfall. Im Falle der muslimischen Schöffin indes spielt die persönliche Eignung keine Rolle, sie wird pauschal als ungeeignet eingestuft. Das Gesetz dazu haben viele Bundesländer vergleichsweise schnell erlassen.
Für Beobachter zeigt sich hier ein Ungleichgewicht – zwischen dem staatlichen Umgang mit Verfassungsgegnern und der Behandlung religiöser Minderheiten, die ihr Grundrecht auf Glaubensfreiheit ausüben. Die Ungleichbehandlung verdeutliche, wie unterschiedlich Neutralität in der deutschen Justiz interpretiert werde. Während politische Extremisten seit Jahren unbehelligt an den Schalthebeln der Justiz mitwirkten, genüge bei einer gläubigen Frau ein Stück Stoff, um pauschal Zweifel an ihrer Unabhängigkeit zu wecken. (epd/mig) Aktuell Recht
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