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Verletztes Kind in Gaza (Archiv) © Eyad Baba/AFP

Humanitäre Sackgasse

Medizinische Hilfe für Gaza-Kinder scheitert an Asylrisiko

Trotz unvorstellbaren Leids können verletzte Kinder aus Gaza derzeit nicht in Deutschland behandelt werden. Der Grund: Weil sie Asyl beantragen könnten, gilt ihre Aufnahme als zu riskant – selbst für erfahrene Hilfsorganisationen. Claudia Peppmüller vom Friedensdorf International in Dinslaken erklärt im Gespräch die Hintergründe.

Von Montag, 29.09.2025, 10:34 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 29.09.2025, 9:51 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Frau Peppmüller, Ihre Organisation, Friedensdorf International, hat jahrzehntelange Erfahrung in der Aufnahme von Kindern aus Kriegsgebieten, die hier in Deutschland medizinisch behandelt wurden. Sie haben auch schon vor längerer Zeit Kindern aus Gaza geholfen.

Claudia Peppmüller: Ja, das war 2014. Deshalb waren wir daran interessiert, auch jetzt zu helfen. Wir waren unmittelbar nach Kriegsbeginn in Gaza im Austausch mit unserer Partnerorganisation vor Ort, ob und wie wir helfen können. Doch die Situation war schwierig, und sie ist es bis heute. Für uns, aber auch für unsere Partnerorganisation. Derzeit kann man keine verletzten oder traumatisierten Kinder aus dem Gaza-Streifen herausbringen, obwohl das Leid und Elend dort unvorstellbar ist.

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Wie lief das damals vor dem Krieg ab?

Die Auswahl der Kinder hat 2014 unsere Partnerorganisation übernommen. Anschließend haben wir die Kinder aus Gaza abgeholt und mussten aber schon damals über Ägypten ausreisen. Wir haben die verletzten Kinder über einen Charterflug von Kairo nach Düsseldorf gebracht. Alle Kinder, die über unsere Hilfsorganisation nach Deutschland kommen, werden grundsätzlich ohne Angehörige bei uns aufgenommen. Unser Partner garantiert zudem, dass die Kinder wieder zurück zu ihren Eltern kommen. Schwierigkeiten gab es damals aber mitunter auch schon. Die Grenze in Ägypten war plötzlich zu, dann mussten wir die Rückführung über Israel machen. Es hat Monate gedauert, bis dazu die Genehmigung vorlag.

Warum lässt sich diese Hilfe heute nicht mehr so organisieren?

Es liegt an den aktuellen Bedingungen. Die Hamas hält noch immer alle Strukturen in der Hand, hat das Sagen in den Behörden, das gilt auch für das Gesundheitswesen, die Kliniken, sofern sie überhaupt noch arbeiten, und auch für humanitäre oder gesundheitliche Hilfen. Zudem war im zunehmenden Kriegschaos die Lage schnell völlig undurchschaubar. Das gilt auch für die zur Ausreise benötigten Pässe. Auch war es anfänglich nicht klar, ob man kriegsverletzte Kinder alleine herausbekommt, was eine Grundvoraussetzung für die Hilfe des Friedensdorfes ist.

Wie gehen Sie bei der Einzelfallhilfe für die Kinder vor?

Wir beantragen ein Visum zur medizinischen Versorgung, welches beinhaltet, dass jedes zu behandelnde Kind grundsätzlich alleine nach Deutschland einreisen muss. Zudem garantieren wir den deutschen Behörden, dass die Kinder in ihre Heimatländer zurückkehren werden. Wir kümmern uns um die oft nötigen Operationen, betreuen die kleinen Patienten dann weiter im Friedensdorf, wo wir auch die medizinische Nachsorge sicherstellen. Nach ihrer Genesung bringen wir die Kinder wieder in ihre Heimat zu ihren Familien zurück. In diesem Modell steht gar nicht die Frage im Raum, ob und welche Familienangehörigen mit nach Deutschland kommen.

War das auch 2014 schon so?

Ja, auch damals sind wir so vorgegangen und haben nur die Kinder nach Deutschland gebracht. Das war überhaupt kein Problem. Damals hat nie jemand gefordert, dass wir auch die Erwachsenen mitnehmen müssen. Bis heute geben wir eine Garantieerklärung ab für jedes einzelne Kind, das wir holen. Denn bleibt ein Kind hier und beantragt ab einem gewissen Alter Asyl, dann sind wir als Friedensdorf in der finanziellen Haftung.

Ihre Versuche, in Ägypten zu helfen, für Entlastung zu sorgen, sind ebenfalls gescheitert. Warum?

Ägypten, das muss man wissen, hat von Kriegsbeginn an viel Hilfe geleistet für die traumatisierten oder verletzten Kinder aus Gaza. Wir waren in Al Arish, wo die Kapazitäten irgendwann aber auch am Limit waren. Die Versorgung dort war meistens recht gut, doch für zwei Gruppen war die Lage extrem schwierig: für Krebspatienten und Kinder mit Behinderung. Diese Betroffenen hätte man uns gerne sofort übergeben, damit wir sie behalten.

Aber dazu kam es ja nicht.

Nein, denn die Ägypter haben deutlich gesagt, dass sie ein Kind nur mit erwachsener Begleitung ausreisen lassen. Und, das haben sie auch deutlich gemacht: Wer einmal über die Grenze gelassen wurde, der kann nicht wieder zurückkehren. Das hätte für uns bedeutet, dass wir sehenden Auges nach der Behandlung in Deutschland in einen Asylantrag laufen. Das ist, da muss man ehrlich sein, ein realistisches Szenario: Sind die Erwachsenen mit ihrem Kind oder auch den Geschwistern erst mal in Deutschland, dann gehen vermutlich die meisten nicht wieder freiwillig in diesen verheerenden Krieg zurück.

Damit ist aber dann zum jetzigen Zeitpunkt unter diesen Bedingungen Hilfe in Deutschland faktisch unmöglich, auch für die Städte hierzulande, die sich vehement für medizinische Hilfen einsetzen.

Wir sehen hier im Moment keine Möglichkeiten zur Hilfe. Wenn die Behandlung im Ausland nur unter Begleitung von Erwachsenen möglich ist, laufen wir Gefahr, dass Asylanträge gestellt werden könnten. Selbst wenn es möglich wäre, dass die Kinder alleine ausreisen könnten, kommt noch, dass selbst eine bestehende Rückkehrgarantie unter Umständen nur eine leere Hülle ist: Wohin in den Alltag von Krieg und Zerstörung will man denn die Kinder zurückschicken? Niemand weiß, ob die Eltern bei der Rückkehr der behandelten Kinder nach Gaza überhaupt noch leben. Oder wohin sie fliehen mussten oder evakuiert wurden. Unser Partner vor Ort bestätigt: Im täglichen Überlebenskampf kann niemand mehr irgendetwas garantieren oder koordinieren.

Vor diesen Hürden stehen auch die Städte, die Kinder aufnehmen wollen. Ist dieser humanitäre Ansatz zu Ende gedacht?

Ich sehe, wie viele andere Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auch, täglich schreckliche Bilder aus Gaza, von verletzten Kindern, die kaum noch was zu essen haben. Da will man helfen, das treibt auch die lokalen Politikerinnen und Politiker hier bei uns um. Und doch ist man total hilflos, ja im Grunde genommen völlig machtlos. Ich unterstelle niemanden, dass er nicht wirklich helfen will. Aber so lange der Krieg herrscht, weiß keiner, wie die Zukunft in Gaza aussieht. Und eben auch nicht, wie humanitäre Hilfe geleistet werden kann. Dazu braucht es ein Mindestmaß an verlässlichen Strukturen im Land. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama

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