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Kinder lernen im Kindergarten (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

„Und raus bist du!“

Berliner Studie belegt institutionellen Rassismus bei Zugang in Kitas

Eine neue Studie zeigt: Migrantische Familien stoßen beim Zugang zu Berliner Kitas auf systematische Barrieren. Intransparente Platzvergabe und Personalmangel verschärfen die Ungleichheit – und das ist nicht das einzige Problem.

Donnerstag, 25.09.2025, 10:53 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 25.09.2025, 10:54 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Rassistische Strukturen im Berliner Kita-System verhindern gerechte Teilhabe. Das zeigt eine neue Untersuchung des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Die Studie belegt: Migrantisch gelesene Familien stoßen beim Zugang zu frühkindlicher Bildung auf vielfältige Hindernisse.

Für die Untersuchung wurden zwischen Januar und August 2023 in den Berliner Bezirken Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow und Spandau 30 Interviews geführt, drei Fokusgruppen mit Stadtteilmüttern organisiert und ergänzende Feldbeobachtungen durchgeführt. Insgesamt flossen die Erfahrungen von 45 Akteur:innen aus dem Kita-Bereich ein, darunter Leitungen, Fachkräfte, Eltern und Expert:innen für Antidiskriminierung und Qualitätsmanagement.

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Die Ergebnisse zeichnen ein klares Bild: Familien haben zwar formal freie Wahl beim Kitaplatz, faktisch entscheiden jedoch Träger und Leitungen über die Vergabe. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass strukturelle Hürden, intransparente Vergabepraxen und rassifizierende Zuschreibungen den Zugang zu frühkindlicher Bildung systematisch erschweren – insbesondere für migrantische und rassifizierte Familien sowie Kinder“, sagt Dr. Seyran Bostancı, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei NaDiRa und Leiterin der Studie.

Aus der Studie:
„[W]ir haben erfahren, dass eine Kita eröffnet wurde, und ich bin mit einer Familie hingegangen. Ich fragte: ‚Haben Sie einen freien Platz […]?‘ [Die Leitung antwortet:] ‚Ja, bitte senden Sie erstmal eine E-Mail […].‘ Ich sagte: ‚Wir sind jetzt persönlich da und werden zusätzlich eine E-Mail schicken. Haben Sie einen Platz für ein einjähriges Kind, das derzeit sechs Monate alt ist?‘ [Die Leitung erwidert:] ‚Nein, nein, nein, wir nehmen nur Kinder ab drei Jahren.‘ Ich schaute mich um. Fast alle Kinder hatten helle Haare, und dann fragte ich: ‚[…] Okay, nehmen Sie also Kinder ab drei Jahren?‘ [Die Leitung] sagte ja, und ich fragte erneut: ‚Können Sie dann ein dreijähriges Kind aufnehmen?‘ [Die Leitung antwortet:] ‚Ja, einen Moment, ich muss auf die Liste schauen. […] Nein, leider geht das nicht, wir sind voll.‘ Daraufhin sagte ich: ‚Gerade eben haben Sie gesagt, dass Sie noch Dreijährige aufnehmen. Warum jetzt nicht?‘ [Die Leitung erwidert:] ‚Bitte, das ist unsere Arbeit.‘“ (Stadtteilmutter 30)

Antidiskriminierungsarbeit in Kitas oft nur punktuell

Der Mangel an Fachkräften verstärkt die Ungleichheit zusätzlich. Er erschwert nicht nur den Zugang zu Kitas, sondern beeinträchtigt auch die pädagogische Qualität. Die Vergabe von Wartelisten-Plätzen erfolgt laut Studie nicht ausschließlich nach zeitlicher Reihenfolge, sondern wird gezielt gesteuert – etwa nach Sprache, Herkunft oder Hautfarbe. Diese Praxis hat diskriminierende Effekte. Rassifizierende Zuschreibungen wirken dabei als Ein- oder Ausschlusskriterium.

Ein weiteres zentrales Ergebnis: Antidiskriminierungsarbeit bleibt in Kitas oft punktuell und hängt stark vom Engagement einzelner Personen ab. „Solange diskriminierungs-kritische Arbeit in Kitas nicht durch ausreichend Zeit in der pädagogischen Praxis, personelle Ressourcen und verbindliche Strukturen unterstützt wird, bleibt sie abhängig vom Engagement Einzelner – und damit strukturell unwirksam. Der Anspruch auf Chancengerechtigkeit bleibt unerfüllt, weil nicht alle Kinder – unabhängig von sozialer Herkunft oder zugeschriebenen Differenzen – faire Chancen haben, ihre Bildungswege zu gehen“, erklärt Benedikt Wirth, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Integration und Co-Autor der Studie.

Experten fordern transparente Verfahren

Die Studien-Autor:innen empfehlen daher, transparente Vergabeverfahren einzuführen, die Anerkennung von Mehrsprachigkeit als Ressource zu verankern, den Abbau von Barrieren für international qualifiziertes Personal zu fördern und Antirassismus-Strategien systematisch in den Einrichtungen zu etablieren. Zudem fordern sie eine verlässliche Datenerhebung, um diskriminierende Muster sichtbar zu machen und gezielt zu bekämpfen.

Die Studie dürfte bedeutend sein über Berlin hinaus, da Zugänge bundesweit ähnlich geregelt sind, etwa über Warteleisten. Frühkindliche Bildung ist, darüber ist sich die Forschung einig, entscheidend für Chancengleichheit. Gibt es dort Diskriminierung, hat das langfristige Folgen für ganze Bildungsbiografien. (mig) Leitartikel Panorama

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