
Gnon-Konde im Gespräch
UNHCR-Experte: „Wenn die Sahelzone stabil ist, ist Europa stabil“
Die Kürzungen der US-amerikanischen Entwicklungsgelder treffen die Menschen in Zentral- und Westafrika hart. UNHCR-Direktor für Zentral- und Westafrika, Abdouraouf Gnon-Konde, erklärt im Gespräch, warum Europa ein Interesse an der Stabilität der Sahelzone haben sollte und welche Folgen die Kürzungen für Millionen von Flüchtlingen haben.
Von Lena Köpsel Mittwoch, 24.09.2025, 10:53 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 24.09.2025, 14:18 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Sahel-Staaten, in denen sich Militärregierungen an die Macht geputscht haben, Tschad, das hunderttausende Sudanesen aufgenommen hat, der von bewaffneten Konflikten gezeichnete Kongo – man könnte Ihren Verantwortungsbereich als eine Aneinanderreihung von Krisenherden bezeichnen. Welche dieser Krisen beschäftigt Sie gerade am meisten?
Abdouraouf Gnon-Konde: Sie haben recht, wir müssen uns um viele Krisen gleichzeitig kümmern. Da sind die Auswirkungen des Krieges im Sudan, die wir auch im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik sehen. Dann die fast sechs Millionen Binnenvertriebenen in der Demokratischen Republik Kongo. Und allein in den Sahel-Staaten Mali, Burkina Faso und Niger gibt es fast vier Millionen Vertriebene.
Die Sahel-Staaten scheinen zumindest in Deutschland fast vollständig aus der medialen Öffentlichkeit verschwunden zu sein, auch seit dem Abzug der Bundeswehr aus Mali 2023. Wie ist die Situation dort?
Die Zahl der Vertriebenen in Mali, Burkina Faso und Niger ist seit 2020 um fast 50 Prozent angestiegen. Die meisten sind Binnenvertriebene, rund 500.000 Menschen sind in die Nachbarländer geflohen. Das bedeutet: Trotz der Unsicherheit, Gewalt und der spürbaren Auswirkungen des Klimawandels entscheiden sich die meisten Menschen, in ihren Heimatländern zu bleiben. Ein großes Problem ist der Bildungszugang: Insgesamt wurden 15.000 Schulen in den Sahel-Staaten zerstört. Wenn die Gewalt noch länger andauert, droht eine sogenannte verlorene Generation.
Die USA haben ihre Entwicklungsgelder unter Präsident Donald Trump fast vollständig gestoppt, auch andere Geber ziehen sich zurück. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Die Konsequenzen der Kürzungen sind unmittelbar und schwerwiegend. Wir waren gezwungen, 30 Büros in der Region zu schließen. In Nigeria mussten wir fast die Hälfte unserer Mitarbeitenden entlassen. Selbst im Tschad, wo viele sudanesische Flüchtlinge Zuflucht fanden, mussten wir drei Büros schließen und Programme reduzieren.
Wie wirkt sich das auf die vertriebenen Menschen aus, die auf Ihre Hilfe angewiesen sind?
Wir müssen harte Entscheidungen treffen und priorisieren. Wir beginnen mit den unmittelbaren Grundbedürfnissen: Unterkunft, Wasser, Nahrung, medizinische Versorgung. Bei anderen Programmen, wie leider bei der Bildungsarbeit, müssen wir deshalb sparen. In der Zentralafrikanischen Republik müssen wegen der Kürzungen bis Jahresende fast 3.000 Kinder ihre Schulausbildung abbrechen. In Mali betrifft das sogar rund 200.000 Kinder.
Müssen Sie in allen Regionen sparen?
Ja, auch im Tschad, der mehr als 800.000 sudanesische Flüchtlinge aufgenommen hat. Dort fehlen in der Grenzregion zum Sudan Zehntausende Notunterkünfte. Auch die medizinische Versorgung ist knapp: Im Osttschad an der sudanesischen Grenze haben wir nur einen Arzt für 25.000 Menschen. Und da sprechen wir nur über die Grundbedürfnisse. Ich habe vor ein paar Jahren ein junges Mädchen aus dem Sudan an der Grenze getroffen, die mir sagte: „Danke, dass Sie unser Leben gerettet haben, aber wie helfen Sie mir, ein neues Leben aufzubauen?“ Sie wollte wieder zur Schule gehen und arbeiten. Was die Menschen brauchen, geht weit über humanitäre Hilfe hinaus.
Wie gehen Ihre Mitarbeitenden, die humanitären Helferinnen und Helfer, mit dieser Dauerkrise um?
Erst vor ein paar Tagen erhielt ich einen Anruf, dass einer unserer Mitarbeiter in Kamerun einen Schlaganfall hatte. Immer öfter sehe ich Mitarbeitende in der Region krank werden. Sie sind traumatisiert und erschöpft. Die Belastung ist enorm, aber allen ist bewusst: Für die Flüchtlinge und Binnenvertriebenen, denen wir helfen wollen, ist die Situation noch dramatischer. Wir werden bleiben und weitermachen, aber wir brauchen Unterstützung.
Auch der deutsche Etat für humanitäre Hilfe wurde für das Jahr 2025 halbiert. Können Sie sich auf Deutschland noch verlassen?
Wir fordern, dass Deutschland sein humanitäres und entwicklungspolitisches Engagement konsequent fortsetzt. Die Sahelzone ist eine Nachbarregion Europas – jede Investition dort ist nicht nur für die Region, sondern auch für Europa wichtig. Wenn die Sahelzone stabil ist, ist Europa stabil. Deutschland sollte Allianzen mit anderen EU-Mitgliedstaaten aufbauen, um mehr Unterstützung für die Menschen auf der Flucht bereitzustellen.
Könnte eine Konsequenz der reduzierten Hilfe sein, dass sich mehr Menschen auf gefährlichen Fluchtrouten nach Europa begeben?
Die meisten Menschen bleiben in ihren Heimatländern oder in den angrenzenden Staaten. Aber wenn Organisationen wie der UNHCR nicht ausreichend Ressourcen haben, um schnell zu handeln und die Versorgung Vertriebener vor Ort sicherzustellen, werden die Menschen weiterziehen. In Mauretanien gibt es derzeit Hunderttausende malische Flüchtlinge. Aber nicht alle bleiben. Im vergangenen Jahr erreichten Zehntausende von ihnen die Kanarischen Inseln. Beim Versuch, dorthin zu gelangen, verloren jedoch 10.000 Menschen ihr Leben auf See.
Deutschland will alle humanitären Aufnahmeprogramme beenden und schließt einen der wenigen legalen Fluchtwege. Wie gehen Sie damit um?
Deutschland war ein starker Partner, als wir 2017 und 2018 Geflüchtete von Libyen nach Niger evakuiert haben. Heute, mit der Aussetzung von Resettlement-Programmen durch die USA und andere Partner, haben wir 65 Prozent unserer Resettlement-Plätze in der Region verloren. Wenn es keine legalen Fluchtwege gibt, sind Menschen möglicherweise gezwungen, auf irregulären Routen ihr Leben aufs Spiel zu setzen. (epd/mig) Interview Leitartikel Panorama
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