
Nebenan
Den Faschismus in seinem Lauf
Rechte verlangen Trauer für Charlie Kirk, aber nicht Erinnerung an seine Hetze – ein Schweigekonsens, der Hass reinwäscht und neue Gewalt vorbereitet.
Von Sven Bensmann Montag, 22.09.2025, 10:38 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 22.09.2025, 8:59 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Nach Colbert nun also auch noch Kimmel. Warum? Weil er gewagt hat, der Welt zu zeigen, wie sehr der US-Präsident um seinen langjährigen Freund Charlie Kirk trauerte. Zitat etwa: „Oh, ja, schlimme Sache das. Naaa-ja. Aber sehen Sie mal hier: Trucks! Wir bauen jetzt einen Ballsaal!“
Des Präsidenten liebste SpeichelleckerInnen, die zum Krieg gegen linksterroristische DemokratInnen auffordern (wie Brian Kilmeade von Fox, der sich auch wünschte, Obdachlose mit der Spritze hinzurichten, um sie von der Straße zu bekommen) bleiben derweil natürlich auf Sendung. Und der Präsident erklärt schonmal sämtliche AntifaschistInnen zu terroristischen Staatsfeinden.
„Joe Biden is bumbling, dementia-filled, Alzheimer’s, corrupt tyrant who should honestly be put in prison and/or given the death penalty for his crimes against America.“ – Charlie Kirk
(Joe Biden ist ein unbeholfener, dementer, unter Alzheimer leidender, korrupter Tyrann, der, ganz ernsthaft, in ein Gefängnis gesteckt oder die Todesstrafe erhalten sollte für seine Verbrechen gegen Amerika)
Viel ist in der Folge darüber geredet worden, dass die selbsternannten „free speech absolutists“, diese „Champions der freien Rede“ nun allerorten die freie Rede einschränken. Es wirkt, als hätten selbst kritische Geister auf der Linken geglaubt, das Versprechen sei ehrlich gemeint gewesen. Ernsthaft? Jedem, der heute überrascht ist, dass Trump und sein faschistoides Lumpenpack die freie Rede einschränken, wo sie nicht linientreu ist, gehört mindestens die Plattform entzogen, wenn nicht gleich die allgemeine Geschäftsfähigkeit – denn wie soll eine/r auch nur einen Geschäftsvertrag über ein Bus-Ticket eingehen können, wenn er/sie anschließend völlig verwirrt ist, dass der Bus all jene (und nur jene) Haltestellen anfährt, die auf derjenigen Linie liegen, die von außen wie innen gut sichtbar ausgezeichnet wurde?
„We made a huge mistake when we passed the Civil Rights Act in the 1960s.“ – Charlie Kirk
(Mit dem Civil Rights Act von 1960 [mit dem unter anderem das Untergraben des Wahlrechts von People of Color unter Strafe gestellt wurde] haben wir einen Riesenfehler gemacht.)
Apropos Speichellecker, faschistisches Lumpenpack und warum der Faschismus siegt: Kürzlich würde in den USA das 100ste Schulmassaker dieses Kalenderjahres gefeiert ein faschistoider Troll abgeknallt, der meinte, dass abgeknallte Kinder, die einfach nur zur Schule gehen wollten die besseres zu tun gehabt hätten, als in einer Schule ihre Zeit abzusitzen, ein angemessener Preis seien für die Freiheit, dass jeder Amerikaner Kriegswaffen besitzen darf (jeder außer Transgendern jedenfalls).
„I think it’s worth it. I think it’s worth to have a cost of, unfortunately, some [~50.000, d.A.] gun deaths every single year so that we can have the Second Amendment to protect our other God-given rights. That is a prudent deal. It is rational.“ – Charlie Kirk
(Ich denke, das ist es wert. Ich denke, es ist die Kosten einiger [knapp 50.000 Menschen pro Jahr] Toter durch Schusswaffengewalt wert, dass wir das Recht auf das Tragen von Waffen haben, um unsere gottgegebenen Rechte zu verteidigen. Das ist ein kluges Geschäft. Es ist rational.)
Auf der Rechten wurden daraufhin ein paar Krokodilstränen vergossen, um ein politisches Ausschlachten der Tat einzuleiten, in Deutschland war allerorten Bestürzung zu hören von Leuten, die offensichtlich keine Ahnung hatten, wer dieser Charlie Kirk eigentlich war – und es wahrscheinlich auch gar nicht so genau wissen wollten.
„Islam is the sword the left is using to slit the throat of America.“ – Charlie Kirk
(Der Islam ist das Schwert, mit dem die Linke Amerikas Kehle durchschlitzt.)
Denn „er war einer, der die politische Diskussion mit dem politischen Gegner gesucht hat“, klingt halt irgendwie besser als „das war ein erwachsener Mann, der mehr als ein Jahrzehnt Erfahrung im Verdrehen politischer Tatsachen, dem Verbreiten von Fake-News, in politischer Rhetorik und im Reden auf der Bühne dazu instrumentalisiert hat, sich auf ebensolcher offener Bühne mit College-Kids, die all diese Erfahrungen nicht hatten, zu streiten“. Zumal Kirk dabei eben dieselben erprobten Kniffe genutzt hat, die erfahrenste JournalistInnen im Umgang mit AfD-PolitikerInnen regelmäßig in die Verzweiflung treiben: Herbeiphantasierte Zahlen, „gefühlte Fakten“ und Pseudoargumente, die gar nicht so schnell widerlegt werden können, wie sie der Hassprediger vor einem ausspuckt. „Flooding the zone with shit“, wie die Faschisten sagen.
Dazu passt, dass die Faschisten jeden mit einer signifikanten Plattform, der es gewagt hat, seine/ihre HörerInnen oder LeserInnen darüber aufzuklären, wofür dieser Charlie Kirk eigentlich stand, der/die es gewagt hat, O-Töne Kirks abzuspielen oder Zitate zu veröffentlichen, mit Hass-Kampagnen überzogen haben.
„Reject feminism. Submit to your husband.“ – Charlie Kirk
(Erteile dem Feminismus eine Absage. Unterwirf dich deinem Ehemann.)
Das zu zitieren, was Charlie Kirk zu Lebzeiten gesagt und geschrieben hat, mit der Absicht, Menschen zu erreichen und zwar wiederum mit der Absicht, Menschen zu erreichen, beschädige das Ansehen Kirks, so der allgemeine Tenor: es störe das Gedenken, das Trauern.
Natürlich heiße ich Mord nicht gut. Aber betrauern muss ich diesen Mord deshalb auch nicht. Charlie, der es wiederholt als den Preis der Freiheit bezeichnet hat, dass Leute halt abgeknallt werden, hätte das doch sicher auch nicht gewollt. Er hätte gewollt, dass wir seinen Tod ignorieren oder gegebenenfalls halt damit zelebrieren, dass wir uns ordentlich die Flinte putzen. Er hätte sicher auch nicht gewollt, dass wir ihn post mortem zensieren und verhindern, dass seine Worte die Menschen erreichen.
Oh, und bevor ich es auch wieder vergesse: haben Sie eigentlich mitbekommen, dass am 14. Juni Melissa Hortman und ihr Mann, zwei einflussreiche demokratische Abgeordnete aus Minnesota, von einem Rechtsextremen abgeknallt wurden? Nein? Das ist kein Zufall.
Und das ist, warum der Faschismus siegt: Wenn dessen Anhänger Demokraten ermorden, dann wird das totgeschwiegen, der Aufschrei ist gering. Wenn nur ein einziger Faschist abgeknallt wird, dann ist es völlig egal, welches Motiv der Täter hat, dann wird es zum Weltuntergang, zum Untergang der Demokratie hochgejazzt, bis die ganze Welt darüber berichtet, wie verwerflich die Tat war und dass sie definitiv politisch motiviert gewesen sei. Weil nämlich die eine Seite zu Empathie fähig ist, selbst, wenn es sich um den politischen Gegner handelt – während die andere Seite, kaum genug Empathie für die Mikrophone aufbringen kann, wenn es sich um „einen Freund der Familie“ handelt, weil doch gerade Trucks anrollen. Und schon sind wir wieder beim Toleranzparadoxon. Wroom Wroom. (mig) Meinung
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