
Schammann im Gespräch
Migrationsforscher: Rückgang der Asylzahlen kein Politik-Erfolg
Die sinkenden Asylantragszahlen sind nach Einschätzung des Migrationsforschers Hannes Schammann kein Erfolg der Politik, sondern Folge verschobener Flüchtlingsrouten. Im Gespräch erklärt der Professor der Uni Hildesheim, warum nationale Maßnahmen nur kurzfristige Effekte haben, wieso die AfD davon unbeeindruckt bleibt – und Demokratie das Asylrecht braucht.
Von Marlene Brey Mittwoch, 10.09.2025, 10:57 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 10.09.2025, 11:10 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Herr Professor Schammann, die Zahlen zeigen zuletzt weniger Asylanträge in Deutschland. Woran liegt das?
Hannes Schammann: Das lässt sich nicht eindeutig sagen. Es gibt keine klaren Daten, die einen einzigen Grund belegen. Für Deutschland ist vor allem relevant, dass derzeit weniger Menschen aus Syrien fliehen. Gleichzeitig steigen in der EU Anträge aus anderen Ländern, etwa Venezuela – diese Menschen wollen aber häufig nach Spanien.
Ist das also kein Erfolg der deutschen Politik?
Nein, wir sehen in erster Linie eine Verlagerung. Maßnahmen wie Grenzkontrollen oder bilaterale Abkommen können kurzfristig Zahlen drücken, führen aber nicht dazu, dass die globalen Flüchtlingszahlen sinken. Die Bewegungen werden lediglich geografisch – von Deutschland nach Spanien – oder zeitlich verschoben.
Welche Rolle spielen europäische Maßnahmen wie das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) oder Abkommen mit Drittstaaten?
Das GEAS ist noch nicht vollständig umgesetzt, daher lassen sich Effekte noch nicht abschätzen. Auch Migrationsabkommen, etwa mit Tunesien, sind in ihrer Wirkung schwer kalkulierbar. Es wäre falsch, die aktuellen Zahlen allein darauf zurückzuführen.
Haben politische Maßnahmen also gar keinen Effekt?
Sie können kurzfristig wirken, aber vieles hängt von Entwicklungen in den Herkunftsländern ab – etwa Syrien, Venezuela oder der Ukraine. Zuspitzungen dort können jederzeit zu neuen Fluchtbewegungen führen. Europa kann diese Dynamik nicht grundlegend verhindern.
Heißt das, Migrationspolitik verschiebt das Problem häufig nur?
Genau. Zum einen geografisch, indem Fluchtbewegungen auf andere Länder außerhalb Europas verlagert werden. Zum anderen zeitlich, weil schnelle Grenzschließungen keine nachhaltige Lösung sind. Ohne tragfähigen, solidarischen Mechanismus auf EU- oder globaler Ebene bleiben es kurzfristige Verschiebungen.
Welche Probleme sehen Sie in der aktuellen Migrationsdebatte?
Jede Verschärfung der Asylpolitik schränkt den Schutz in Europa ein und stellt unsere demokratischen Grundwerte infrage. Es gibt keine funktionierende liberale Demokratie ohne Asylrecht.
Außerdem zeigt sich, dass die Politik nicht das gewünschte Ziel erreicht hat, rechtspopulistische Parteien wie die AfD einzudämmen. Deren Umfragewerte sind völlig entkoppelt vom tatsächlichen Migrationsgeschehen. (epd/mig) Aktuell Interview Politik
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