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Magdalena Demirci © privat, Zeichnung: MiG

Wartesaal der Integration

Beruflich qualifiziert, bürokratisch blockiert

Sie dürfen nicht arbeiten, obwohl sie es könnten – und obwohl sie gebraucht werden. Für viele Zugewanderte wird der Traum vom Neuanfang in Deutschland zum zermürbenden Hürdenlauf.

Von Mittwoch, 23.07.2025, 10:55 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16.07.2025, 12:51 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Der Anerkennungsprozess für im Ausland erworbene Berufsqualifikationen ist in Deutschland gesetzlich geregelt – etwa durch das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG). Ziel ist es, Zugewanderten die legale Ausübung ihres Berufs zu ermöglichen und ihr Fachwissen für den Arbeitsmarkt nutzbar zu machen. Doch trotz klarer gesetzlicher Vorgaben zeigt sich die Praxis häufig als langwierig und kompliziert. Antragstellende müssen mit mehrmonatigen Wartezeiten rechnen sowie mit Kosten für Übersetzungen und Verwaltungsgebühren – eine nicht unerhebliche Belastung für viele Zugewanderte.

Pro Jahr werden in Deutschland rund 60.000 ausländische Qualifikationen anerkannt. Die meisten Fälle betreffen Berufe im Gesundheitswesen, Ingenieurwesen, Bildungsbereich oder der öffentlichen Verwaltung. Etwas niedrigere Anforderungen gelten mitunter in der IT oder im Übersetzungswesen – bedingt durch den spezifischen Charakter dieser Tätigkeiten. Trotz eines leichten Anstiegs der Anerkennungen in den letzten Jahren sehen sich viele Antragstellende weiterhin mit Ablehnungen konfrontiert oder müssen zusätzliche Kurse und Praktika absolvieren. Die Gründe dafür liegen oft in unterschiedlichen Auslegungskriterien der zuständigen Stellen oder in einer Systematik, die nicht auf die Vielfalt internationaler Berufsabschlüsse zugeschnitten ist.

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Während des laufenden Anerkennungsverfahrens dürfen viele Antragstellende ihren Beruf nicht ausüben – eine Regelung, die für viele existenzielle Konsequenzen hat. In dieser Zeit besuchen sie Sprach- oder Integrationskurse, doch das Unterstützungssystem bleibt fragmentiert und oft unzureichend. Viele geraten in einen Zustand des Wartens, ohne wirkliche Teilhabe am gesellschaftlichen oder beruflichen Leben.

„Der Zugang zu sozialen Leistungen hängt stark vom Herkunftsland und Aufenthaltsstatus ab.“

Hinzu kommen sprachliche Hürden und ein Mangel an Übersetzungsunterstützung in behördlichen Verfahren. In der Praxis sind viele Betroffene auf die Hilfe von Freund:innen, Familienangehörigen oder zivilgesellschaftlichen Initiativen angewiesen. Das erschwert nicht nur den Zugang zu verlässlichen Informationen, sondern verzögert auch die Bearbeitung ihrer Anliegen.

Besonders herausfordernd ist die soziale Situation während des Verfahrens. Die wirtschaftliche Lage ist für viele angespannt – besonders, wenn sich die Bearbeitungszeit über Monate hinzieht. Der Zugang zu sozialen Leistungen hängt stark vom Herkunftsland und Aufenthaltsstatus ab: Personen aus EU-Mitgliedsstaaten haben in der Regel besseren Zugang zu Unterstützungsleistungen, da sie unter das Recht auf Freizügigkeit fallen. Sie können, sofern die Bedingungen erfüllt sind, Leistungen wie Arbeitslosengeld II oder Wohnzuschüsse beziehen.

Anders sieht es bei Menschen aus sogenannten Drittstaaten aus – also etwa aus Afrika, Asien oder Lateinamerika. Insbesondere bei befristeten Aufenthaltstiteln oder im Asylverfahren ist der Zugang zu staatlicher Unterstützung eingeschränkt. Häufig gelten zusätzliche Bedingungen wie der Nachweis über den Besuch von Integrationsmaßnahmen. In vielen Fällen stehen diesen Menschen nur minimale Unterstützungsleistungen zu. Die Folge: Viele nehmen Tätigkeiten an, die unterhalb ihrer Qualifikation liegen, oder sind auf die Hilfe von Nichtregierungsorganisationen angewiesen, die versuchen, die Lücken im staatlichen System aufzufangen.

„Ungleiche Ausgangslage beeinflusst nicht nur die Chancen auf Anerkennung, sondern auch das Tempo und die Qualität der Integration insgesamt.“

Diese ungleiche Ausgangslage beeinflusst nicht nur die Chancen auf Anerkennung, sondern auch das Tempo und die Qualität der Integration insgesamt. Sie zeigt, dass Deutschland zwar rechtlich offen für Migration ist – es aber in der Praxis oft an begleitenden Maßnahmen fehlt, um das Potenzial der Menschen zu fördern. Statt ihnen den Einstieg zu erleichtern, wird die Verantwortung für Integration oft allein auf die Betroffenen abgewälzt – ohne dass ihnen die nötigen Mittel oder Spielräume zur Verfügung stehen. Das führt nicht selten zu Frustration, Isolation und dem Gefühl, nicht wirklich dazuzugehören.

Die Debatte über Anerkennung darf sich deshalb nicht allein auf rechtliche Verfahren beschränken. Sie muss auch die Erfahrungen und Lebensrealitäten der Menschen in den Blick nehmen, die sich in diesem Prozess befinden – und die Deutschland längst als ihre neue Heimat betrachten. (mig) Meinung

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