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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Was für ein erbärmlicher Haufen

Es ist das Modell des deutschen Radfahrers, das Merz und der Rest der europäischen Politiker zum Modell für internationale Politik machen: Nach oben buckeln, nach unten treten.

Von Montag, 30.06.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 29.06.2025, 22:29 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Rund die Hälfte des gesamten Bundeshaushalts will die neue Bundesrepublik künftig in die Kriegswirtschaft pumpen. In den Medien wird das bevorzugt als „5 Prozent des BIP“ verklausuliert, weil diese Generalmobilmachung so leichter zu verkaufen ist, aber Fakt bleibt: 5 Prozent des BIP entsprachen 2024 etwas über 215 Mrd. Euro, der Bundeshaushalt im selben Jahr rund 445 Mrd. Euro.

Angeblich, so wird uns verkauft, sei das nötig, um dem aggressiven Russen etwas entgegensetzen zu können – weil die schon jetzt etwa um den Faktor vier höheren Ausgaben allein Europas gegenüber Russland (im laufenden Haushaltsjahr 2025 wird Deutschland wohl „dank“ Sondervermögen sogar ganz allein ziemlich genau so viel für Rüstung ausgeben, wie Russland) natürlich nicht ausreichen, um den Russen glaubwürdig etwas entgegensetzen zu können. Dafür versickert einfach viel zu viel Geld. Wobei Korruption ja nur ein russisches Problem ist, hierzulande nennen wir das wohlklingender „Dividende“.

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Unglücklicherweise zeigt die Erfahrung auch noch, dass ein Land, das den Militärdienst erst einmal ins Zentrum seines Handelns gestellt hat, dieses Militär unbedingt auch einsetzen will. Auch die USA führen ihre Kriege schließlich nicht nur für Öl. So ein Militär will auch gerechtfertigt sein, dadurch, dass man es einsetzt. Außerdem ist jeder Krieg ja immer auch eine Vorbereitung für den nächsten Krieg. Wenn die Abenteuer der USA in der Wüste sie (und die europäischen Verbündeten) nun nicht wirklich auf die drohnenlastigen neuen Schlachtfelder der Gegenwart vorbereitet haben, so ist das vor allem der Wahl der Schlachtfelder geschuldet. Die Unterstützung der Ukraine dient hier also auch der Sammlung von Informationen, um das eigene Militär weiterzuentwickeln.

Und dann stellte auch noch die der Russlandfreundlichkeit gänzlich unverdächtige Deutsche Welle letzte Woche fest, dass die Sache mit der Osterweiterung vielleicht doch gar nicht so unverdächtig war. Zwar gebe es jetzt keinen so richtig heiligen Schwur in Schriftform und gezeichnet mit Blut, aber der Westen habe durchaus alles in seiner Macht Stehende getan, um Russland zu vermitteln, dass eine Erweiterung der NATO nach Osten über die Oder hinaus völlig ausgeschlossen sei. Schon die Aufnahme Polens wurde gegenüber Russland zunächst kategorisch ausgeschlossen.

„Gegen das Völkerrecht würde der Westen selbst natürlich nie verstoßen.“

Sprechen wir also lieber nicht weiter darüber, ob die NATO Russland in eine Bedrohungssituation gedrängt haben könnte, in der es dazu verleitet wurde, die Ukraine zu überfallen – denn dann wären wir ganz schnell wieder in einer Schuld-Diskussion. Und die wollen wir nicht. Reden wir lieber darüber, dass die Ukraine natürlich völkerrechtswidrig von Russland überfallen wurde. Und gegen das Völkerrecht würde der Westen selbst natürlich nie verstoßen. Das Völkerrecht ist heilig. In Afghanistan, im Irak und im Iran, in Palästina und in Libyen und auch überall sonst. Daher würde auch kein westlicher Journalist oder Jurist je zu dem, sicher polemisierend gemeinten, Schluss kommen, dass das Völkerrecht für den Westen schlicht und einfach nicht gelte.

Viel wichtiger ist dieser Tage aber eh, dem narzisstischen Kaiser von Übersee zu gefallen – und nichts scheint europäischen Politikern näher am Herzen zu liegen als sich die Nase am zu rückwärtigen Ende des Kaisers von Amerika zu bräunen. Man könnte fast hoffen, dass Trump endgültig die Ukraine fallen ließe und sich von Artikel 5 verabschiedete, damit auch dieses Stiefellecken endlich ein Ende finden kann und europäische Politiker sich wieder darauf besinnen, was sie denn eigentlich selbst wollen sollten – statt sich nur gefallsüchtig vor einem verrückten Hutmacher in der Ferne in den Staub zu werfen. Erst am Sonntag wurde allerdings genau das wieder getan, als uns verkündet wurde, dass die G7 auf eine globale Mindeststeuer hinarbeiten wollen, die für alle gilt – außer für US-Unternehmen.

König der Byzantiner ist aber der noch neue NATO-Generalsekretär aus den Niederlanden, Mark Rutte, der kurz vor dem Gipfel letzte Woche privat an den nackten Kaiser smste, wie „besonders ordinär“ (eng: „extraordinary“) seine „entschlossenen“ Handlungen im Iran gewesen seien – als sei „Daddy“ selbst mit dem Bomber über Teheran geflogen – und das außer ihm, Trump, überhaupt „alle Feiglinge“ seien, die sich „nicht getraut hätten“, was er sich getraut habe. Den Haag sei überhaupt ein „big success“ gewesen, kein amerikanischer Präsident außer ihm habe erreichen können, was Trump erreicht hat und das sei „sein ganz persönlicher Sieg“. Wenn ich doch auch nur ein einziges Mal in meinem Leben eine solche SMS von meiner Mama oder meinem Papa erhalten hätte…schluchz.

„Menschen kommen weiterhin hierher, sie lassen sich aber nicht mehr registrieren.“

In immer stärkeren Kontrast steht dieses Buckeln zum Habitus der Regierung gegenüber jenen, die Hilfe benötigen. Ob nun Budget-Einschnitte bei politischer Bildung, Kultur oder Entwicklungshilfe, fremdenfeindliche Rhetorik oder der Rückzug vom CSD – direkt oder indirekt werden hier marginalisierte Gruppen getroffen, nicht zuletzt sogar direkt dort, wo sie sich ohne diese Programme auf den Weg machen müssen, sich eine neue Heimat in Europa zu suchen. Die Aufkündigung des ohnehin schon peinlich kleinen Aufnahmeprogramms für afghanische Kollaborateure (das ja nur für direkte Angestellte der Bundeswehr galt, nicht aber für die – exakt zu diesem Zweck – outgesourcete sonstige Ortskräfte), die Aussetzung des Familiennachzugs, die Grenzkontrollen, all das treibt Menschen letztlich in die Illegalität: Menschen kommen weiterhin hierher, sie lassen sich aber nicht mehr registrieren, nutzen nicht das bisschen gesetzlichen Rahmen, dass ihnen der deutsche Gesetzgeber noch zugesteht, sie landen rechtlos in Schwarzarbeit, in Ausbeutung und auf der Straße – beste Voraussetzungen eben, um ein vorbildlicher Staatsbürger zu werden. Und immerhin tauchen sie so in der Statistik nicht mehr auf.

Auch gegen deutsche Bürger bringt sich die Bundesregierung mittlerweile in Stellung. Was kommt da besser, als den Arbeitnehmern mit ordentlich Sanktionen gegen Bürgergeldempfänger Angst zu machen – wenn man den Mindestlohn schon widerwillig auf weit unter die versprochenen 15 Euro erhöhen muss? Nur, wenn Arbeitslosigkeit maximal Angst macht, statt durch soziale Sicherungssysteme abgefedert zu werden, kann man Arbeitnehmer dazu zwingen, jeden noch so unattraktiven Job anzunehmen – damit sie an anderer Stelle als Fachkräfte fehlen. Den Unternehmen erlaubt dies im Umkehrschluss, an Lohn und anderen Rahmenbedingungen zu sparen, oder gar den Mindestlohn als Mindestlohn in Frage zu stellen. Kriegen Saisonarbeiter erst einmal nicht mehr den Mindestlohn, ist er schließlich kein Mindestlohn mehr, allenfalls noch ein unverbindlicher Lohnvorschlag.

Und natürlich würde es auch Merz‘ Herzensangelegenheit der Flexibilisierung der Arbeitszeit untergraben, wenn am Ende womöglich die Arbeitnehmer ein Mitspracherecht in der Frage hätten, ob sie ihre Wochenstunden in 4, 5 oder 6 Tagen ableisten wollen und dies nicht etwa unilateral von den Unternehmen bestimmt würde, weil die Alternative Sanktionen auf das Arbeitslosengeld sind. (mig) Meinung

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