
Migration in Tunesien
Lieber wieder zurück in die Heimat
Auf dem Weg nach Europa kamen bisher viele Migranten und Geflüchtete aus Afrika durch Tunesien. Nun verschärft die Regierung den Kurs gegen die Schutzsuchenden. Und so wollen immer mehr von ihnen wieder zurück in die alte Heimat.
Von Sarah Mersch Sonntag, 01.06.2025, 12:51 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 01.06.2025, 12:51 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Schlangen sind lang vor dem Büro der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Tunis. Seit einigen Wochen versuchen zunehmend mehr Menschen, hier einen Termin für die sogenannte freiwillige Rückkehr in ihre Heimatländer zu bekommen. Schon am frühen Morgen stehen Männer und Frauen – teils mit kleinen Kindern – vor dem Gebäude in einem Geschäftsviertel der tunesischen Hauptstadt.
Für Geflüchtete und Migranten wird das Überleben in dem nordafrikanischen Land immer schwieriger. Präsident Kais Saied macht gezielt Stimmung gegen Schutzsuchende – und die Sicherheitskräfte gehen mit Gewalt gegen sie vor.
Nach einer ersten Aktion im Februar haben die Sicherheitskräfte in den vergangenen Wochen erneut mehrere große Lager in Olivenhainen an der Küste nördlich der Hafenstadt Sfax dem Erdboden gleichgemacht, wo sich schätzungsweise mindestens 20.000 Migranten, meist ohne Aufenthaltspapiere, aufhalten. Früher starteten von dort regelmäßig Überfahrten auf die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa, doch Tunesien hat die Kontrollen seit einem umstrittenen Abkommen mit der Europäischen Union im Sommer 2023 massiv verschärft.
Unverhältnismäßige Gewalt
Betroffene beklagen, die Sicherheitskräfte hätten unverhältnismäßige Gewalt angewandt, Bulldozer und Tränengas eingesetzt und die Zelte sowie das wenige Hab und Gut der Bewohner einfach niedergebrannt. Die tunesische Nationalgarde dementiert die Vorwürfe, alles sei geordnet abgelaufen.
„Sie haben uns nicht mal 24 Stunden Vorwarnung gegeben, sondern die Räumung am Abend vorher angekündigt und sind gleich am nächsten Tag im Morgengrauen gekommen“, berichtet Brahim K. aus Sierra Leone. Er sei um sein Leben gerannt, habe sich dann zwei Tage lang zu Fuß nach Sfax durchgeschlagen und im Durcheinander tagelang den Kontakt zu seiner Frau und dem jungen Sohn verloren.
Jetzt versuche er seit Wochen vergeblich, einen Termin bei der IOM zu bekommen, um den Antrag auf Rückkehr zu stellen, erzählt Brahim K., der seinen vollen Namen aus Sicherheitsgründen nicht nennen möchte. Obwohl er vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR als politischer Flüchtling anerkannt wurde, helfe ihm das effektiv wenig. Er sei trotzdem nicht vor willkürlichen Polizeikontrollen geschützt und habe keine Arbeit gefunden.
Rhetorik über „Bevölkerungsaustausch“
Dass sich die Lage für Schutzsuchende so verschlechtert hat, liegt auch an der Rhetorik von Präsident Saied und einer aufgeheizten Stimmung im Land. Im Februar 2023 warnte er in einer Rede vor einem gezielt gesteuerten Bevölkerungsaustausch. Personen aus dem Afrika südlich der Sahara wollten die „Demografie Tunesiens“ verändern, sagte der autoritäre regierende Präsident damals – obwohl laut der jüngsten Volkszählung von 2024 nur ein Bruchteil der Bevölkerung eingewandert ist.
In der Folge solcher Äußerungen kam es zu gewaltsamen Übergriffen gegen Migrantinnen und Migranten von Teilen der Bevölkerung. Die Zahl der Überfahrten übers Mittelmeer stieg vorübergehend massiv an.
Nun setzt die Regierung offenbar auch auf die IOM. Im Februar rief Saied dazu auf, die freiwillige Rückkehr mit Hilfe der UN-Organisation zu beschleunigen. 2024 waren laut tunesischen Medien rund 6.500 Personen von der IOM in ihre Heimatländer zurückgebracht worden. Im laufenden Jahr liegt die Zahl laut einem Sprecher der Nationalgarde bei rund 3.400.
IOM überlastet
Viele Rückkehrwillige beklagen jedoch, dass die Organisation völlig überlastet und nicht erreichbar sei. „Niemand ist ans Telefon gegangen. Ich habe es seit Wochen versucht“, klagt ein junger Mann aus der Demokratischen Republik Kongo, der seinen Namen ebenfalls nicht veröffentlicht sehen will. Schließlich sei er persönlich hingegangen, trotz der Transportkosten und obwohl er Angst hatte, auf dem Weg dorthin belästigt oder festgenommen zu werden.
Er sei vor einigen Jahren ganz regulär als Student eingereist. Doch dann habe er sich die Studiengebühren nicht mehr leisten können, damit den Aufenthaltsstatus verloren, und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Ein Flugticket in die Heimat könne er sich nicht leisten, genauso wenig wie die Strafgebühren für Überschreitung der gesetzlichen Aufenthaltsdauer.
So bleibe ihm nur die Rückkehr mit der IOM, sagt der Kongolese. Immerhin habe er einen Termin für die erste Anhörung bekommen, aber erst in knapp vier Monaten. Wie er bis dahin über die Runden kommt, weiß er noch nicht. (epd/mig) Aktuell Ausland
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