Sven Bensmann, Migazin, Kolumne, Bensmann, Sven
MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Vier gegen Willi

Keine Schulden, Grenzen dicht. Das war Wahlkampf-Show. Nach dem Wahlkampf: Neue Schulden und 0,8 mehr Polizei pro Kilometer Landgrenze – Werbung für die AfD.

Von Montag, 19.05.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 19.05.2025, 8:26 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Manchmal ist Politik mehr Show als Politik. Und so übt sich das dynamische Duo aus der christdemokratischen Antwort auf Bernd Stromberg und seinem Maut-Ulf aktuell in einer Showperformance, die mit „Symbolpolitik“ noch wohlwollend umschrieben wäre.

Nachdem der Wahlkämpfer Merz monatelang erklärt hatte, dass er am Tag nach seiner Ernennung die Grenzen komplett dichtmachen werde, dass das aber mal genauso sicher sei, wie, dass es unter ihm ja mal so gar keine neuen Schulden gebe, tun die beiden nun nämlich so, als ob sie ratzfatz lieferten. Schließlich sind Probleme wie Brüste: Wenn du sie anfasst, machen sie am meisten Spaß. Ausnahmen, von denen keiner so richtig eindeutig weiß, wie sie denn nun eigentlich gemeint sind, wurden vorab schonmal verkündet, um dann anschließend etwa 3000 zusätzliche Polizisten zum Grenzschutz abzustellen – also fast 0,8 Polizisten pro Kilometer Landgrenze.

___STEADY_PAYWALL___

Die Folgen: Wer zum Arbeiten oder Einkaufen ins Ausland pendelt, muss mit langen Wartezeiten an der Grenze kalkulieren und auch die Bahn kündigte schonmal pauschal Verspätungen für alle betroffenen Linien an. Aber die kommt ja eh immer zu spät, ne? Bahnwitze: peak German humor.

Offenbar keine Folge bisher: Klagen gegen die Grenzkontrollen. Was angesichts dessen, dass die meisten Juristen und all diejenigen Parteien des Bundestags, die nicht aus purer Ideologie konsequent gegen Ausländer sind, einer solchen Klage einen Sieg quasi garantieren, zunächst seltsam erscheinen mag, lässt sich leicht erklären. Der Aufwand, über eine Klage Zugang nach Deutschland zu erhalten, steht in keinem Verhältnis dazu, es einfach noch einmal zu versuchen – im Zweifel über die grüne Grenze, wo die Gefahr, erwischt zu werden, nicht signifikant ist.

„Es ist nicht mehr als eine Aufführung für zuschauende AfD-Wähler und alle, die es noch werden sollen.“

Was bedeutet es aber, wenn Polizisten in sicher nicht gesunden 12-Stunden-Dauerschichten eine nicht zu sichernde Grenze gegen Menschen verteidigen sollen, die nicht flächendeckend zu sichern ist – außer gegen den regulären Grenzverkehr? Und zwar auf der Basis von Anweisungen, deren Legitimität nicht gesichert ist? Wenn diejenigen, die sie verordnet haben, sie mit einer Notlage erklären, die es objektiv nicht gibt und zu der sich auch niemand öffentlich bekennen will, um nicht zu dem Gesicht dieser Farce zu werden, das am Ende den Kopf wird hinhalten müssen?

Nun, das bedeutet, dass es alles nur eine Show ist, ein circlejerk, wie der Engländer sagt. Es ist nicht mehr als eine Aufführung für zuschauende AfD-Wähler und alle, die es noch werden sollen. Eine Werbemaßnahme für jene AfD, die die CDU-Führung weiterhin nicht verbieten, sondern, wie schon in den letzten 12 Jahren, „inhaltlich stellen“ will – eine Formulierung, die bisher vor allem bedeutet hat, die Politik der AfD an ihrer Statt zu machen.

Aber mit neuen Koalitionen ist es halt auch ein bisschen wie mit Sex in der Ehe: Am Anfang ist man bis in die Haarspitzen motiviert, doch nach einer Weile ist man froh, wenn es vorbei ist. Schauen wir also erst einmal, wie lange Merz diese Show durchzieht – ein Gerichtsverfahren, dass sie ihm verbietet, war vermutlich bereits eingepreist, um gesichtswahrend aus der Nummer wieder herauszukommen.

„Das kommt davon, wenn man sich in einen Kulturkampf hineinsteigert und jahrelang nur gegen Ausländer und die Grünen hetzt.“

Dass der „Europa-Kanzler“ Merz, der die kommenden Jahre wohl vor allem durch seine Außenpolitik prägen will, für diese Show erst einmal den europäischen Nachbarn ans Bein pisst, ja sogar Dobrindts Pressekonferenz zur Ankündigung der „Schließung“ der Grenzen wohl genau so zu legen versuchte, dass der Besuch in Polen schnell noch mit einem hübschen Foto hätte abgeschlossen werden können, bevor die Polen Wind davon bekommen hätten, spricht jedenfalls wieder einmal für Merz‘ fehlenden Willen zu Kooperation und Diplomatie, den er schon in der Innenpolitik unter Beweis gestellt hat. Die von Europa angeblich so heiß ersehnte deutsche Führung könnte so schnell enttäuscht werden, von einem Kanzler, der sich entschloss, mit seiner ersten Amtshandlung erst einmal die Nachbarn vor den Kopf zu stoßen.

Merz droht damit dasselbe Schicksal, dass die FDP nach den letzten beiden Koalitionen ereilte, zunächst mit der CDU und zuletzt mit der Ampel: Es reicht zwar, um gewählt werden, aber dem Kontakt mit der Realität sind beide nicht gewachsen. Das kommt davon, wenn man sich in einen Kulturkampf hineinsteigert und jahrelang nur gegen Ausländer und die Grünen hetzt, während letztere sich in der vergangenen Koalition bis zur Selbstverleugnung der schmerzhaften Realität gestellt haben.

„Deutlich tragischer ist jedoch, dass Merz‘ Projekt, die AfD auf Kosten der CDU zu verdoppeln, damit ein ganzes Stück näher rückt.“

Die FDP flog beide Male, 2013 und 2025, hochkantig aus dem Bundestag: Das wird der CDU vermutlich nicht passieren; sehr gut möglich aber, dass es Merz am eigenen Leib erfahren wird. Deutlich tragischer ist jedoch, dass Merz’ Projekt, die AfD auf Kosten der CDU zu verdoppeln, damit ein ganzes Stück näher rückt.

Und insofern stimmt der reichlich bescheuerte Satz, diese Koalition sei die letzte Patrone der Demokratie dann vielleicht doch. Dann wäre allerdings der einzige Weg, diese Demokratie noch zu retten, sie schnellstmöglich abzufeuern. Entweder, indem Merz einsieht, dass er seinem neuen Job nicht gewachsen ist und zurücktritt, oder, indem endlich das Verbotsverfahren gegen die AfD angestoßen wird. Da Merz Trump insofern ähnelt, dass beide pathologische Narzissten mit akutem Realitätsverlust sind, wird ersteres allerdings wohl nicht passieren. Bleibt das Verbotsverfahren – und dafür braucht es Merz nicht. Was es braucht, sind Menschen, die dafür auf die Straße gehen, die Druck machen.

In diesem Sinne: Bevor ich hier jeden Morgen mein Rückgrat an die Garderobe hänge, da fällt aber eher ein Montag auf nen Dienstag! (dpa/mig) Meinung

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)