
Kanzlerwahl
Merz‘ Stolpern tut gut
Friedrich Merz scheitert historisch bei der Kanzlerwahl – verdient, denn wer mit AfD-Parolen spaltet, sollte mindestens stolpern. Hoffentlich ist diese Pleite auch lehrreich.
Von Birol Kocaman Dienstag, 06.05.2025, 16:39 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 06.05.2025, 16:39 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Es gibt Tage, an denen die politische Realität wie ein gutes Drehbuch wirkt – so eines, bei dem man am Ende zufrieden das Popcorn wegstellt und laut applaudiert. Genau so fühlte es sich an, als Friedrich Merz im ersten Wahlgang zum Bundeskanzler scheiterte. Ein Novum in der deutschen Nachkriegsgeschichte, ein politischer Super-GAU für die Union – und eine Genugtuung für all jene, denen Merz mit seiner politischen Stimmungsmache auf die Nerven ging.
Natürlich, Schadenfreude ist nicht besonders nobel. Aber manchmal verdient man sie sich redlich. Und Merz, der ewig ambitionierte Kanzleraspirant der Union, hat sie sich tatsächlich mit großem Fleiß erarbeitet. Während seines Wahlkampfes schien es, als wollte Merz Migration zur Mutter aller Probleme machen. Schon zuvor hatte er gepoltert fernab jeder Vernunft, egal ob es um Zahnarzttermine, Schulhofkonflikte oder um „kleine Paschas“ ging. Er brandmarkte Millionen Menschen in Deutschland pauschal und faktenfrei.
Er versuchte, die AfD auszubremsen, indem er deren Positionen übernahm. Merz hat damit ausgerechnet jene Rechtspopulisten bestätigt, deren Wasser er angeblich abgraben wollte. Die Union rutschte immer weiter in den Sog der AfD, bis hin zu gemeinsamen Abstimmungen im Bundestag – vielsagend, dass nach der Abstimmung nur eine Fraktion jubelte: nämlich die der AfD.
„Merz stelltesägte an Grundfesten unserer Demokratie, indem er eine Politik versprach, die nicht umsetzbar ist, ohne die Gültigkeit der Menschenrechte in Zweifel ziehen.“
Man könnte es vielleicht noch als Wahlkampfgepolter abtun, wären da nicht die realen Folgen: Merz stellte nicht nur einzelne Gesetze infrage, sondern sägte an Grundfesten unserer Demokratie, indem er eine Politik versprach, die nicht umsetzbar ist, ohne die Gültigkeit der Menschenrechte in Zweifel ziehen.
Umsetzen soll diese Politik etwa ein Alexander Dobrindt (CSU) als Bundesinnenminister. Sein Satz: „Der Islam gehört egal in welcher Form nicht zu Deutschland“ steht bis heute unwidersprochen. Mit Christoph de Vries als Staatssekretär im Bundesinnenministerium steht ihm ein Politiker zur Seite, der sich schon oft mit islamfeindlich und rassistisch gelesenen Äußerungen einen Namen gemacht hat. Doch damit nicht genug: auch der neue Kulturstaatsminister ist kein unbekannter, wenn es darum geht, im Islam eine Bedrohung zu sehen. Auch durch seine Personalpolitik setzt Merz also bewusst auf Konfrontation und gesellschaftliche Spaltung.
Doch manchmal gibt es in der Politik eben doch Gerechtigkeit – eine, die sich subtil äußert: Friedrich Merz wurde die Zustimmung verweigert. Das politische Stolpern war keine bloße Formalie, sondern auch ein deutliches Signal gegen Hetze, gegen Ausgrenzung und gegen den kalkulierten Flirt mit dem rechten Rand. Natürlich ist Merz nicht allein deshalb gescheitert, sicher spielten auch andere Aspekte eine Rolle – gebrochene Wahlversprechen, enttäuschte Karrieristen, verletzte Eitelkeiten, interne Machtkämpfe.
„Die Mehrheit in Deutschland – und damit auch das höchste deutsche Repräsentantenhaus – ist eben nicht rechts, und erst recht nicht rechtsextrem.“
Und ja, natürlich löst sein Stolpern kein einziges Problem – schließlich wurde er im zweiten Wahlgang doch noch gewählt. Aber es eröffnet vielleicht die Chance auf eine politische Kultur, die sich wieder auf echte Herausforderungen konzentriert, anstatt auf populistische Phantomdiskussionen setzt. Die Mehrheit in Deutschland – und damit auch das höchste deutsche Repräsentantenhaus – ist eben nicht rechts, und erst recht nicht rechtsextrem. Hoffentlich liest Merz diesen Denkzettel gründlich. Ganz ehrlich: meine Hoffnung hält sich in Grenzen, sie stirbt bekanntlich aber auch zuletzt.
Vielen Dank jedenfalls an alle Abgeordneten, die Merz mit ihrem „Nein“ – auch – signalisiert haben, dass er als Kanzler alle Menschen im Land im Blick haben muss. Meinung
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