
Bittere Pointe
Multi-Kulti-Gegner soll Staatsminister für Kultur werden
Kultur lebt von Veränderung, nicht von Konservierung. Doch Friedrich Merz setzt auf Wolfram Weimer – einen Mann, der Multikulti für eine Lüge hält.
Von Birol Kocaman Dienstag, 29.04.2025, 10:31 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 29.04.2025, 10:31 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Kultur und Medien – zwei Ressorts, die für Vielfalt, Offenheit und gesellschaftliche Verständigung stehen sollten. Und nun: Wolfram Weimer. Ein Mann, der durch alarmistische Aussagen über Islam, kulturellen Verfall und die vermeintlichen Gefahren gesellschaftlicher Vielfalt aufgefallen ist, soll nach dem Willen des designierten Bundeskanzlers Friedrich Merz Staatsminister für Kultur und Medien werden – keine Satire.
Weimer bezeichnete den Multikulturalismus als „Multi-Kulti-Lüge“, wähnt Europa in einem Zustand kultureller Selbstaufgabe und warnt vor einer „Islamisierung Europas“ – als wäre die Mär vom sogenannten „großen Austausch“ eine reale Bedrohung statt eine von Rechten erfundene Erzählung.
Natürlich, Kultur ist kein Kuschelkurs. Aber sie ist auch kein Schießstand für ideologische Schnellschüsse. Und doch steht nun ein Mann zur Debatte, dessen Worte klingen, als habe er das Feuilleton neurechter Medien inhaliert. Wolfram Weimer, Ex-Chefredakteur von Cicero, Focus und Welt, war nie ein Freund des vielstimmigen Deutschland. In seinen Texten klingt Vielfalt oft wie ein Problem – nicht wie eine Errungenschaft.
„Wenn kulturelle Vielfalt zur Bedrohung umgedeutet wird, wird kulturelle Homogenität plötzlich zum Ideal.“
Er beklagte einst die „kulturelle Selbstvernichtung“ Europas durch Multikulti. In einem seiner Essays wird Migration nicht als Bereicherung, sondern als Symptom einer Identitätskrise beschrieben. Ein Satz sticht besonders heraus: Multikulti sei der Versuch, „mit vielen Döner-Buden, fleißiger Zuwanderung und der Huldigung von Kanak-Deutsch die alten Nationalinstinkte auszutilgen, die Nazi-Katastrophe sozusagen mental rück-abzuwickeln. Ein Stück Wiedergutmachung durch kulturelle Selbstvernichtung also“.
Das ist nicht nur geschmacklos – es ist gefährlich. Denn wenn kulturelle Vielfalt zur Bedrohung umgedeutet wird, wird kulturelle Homogenität plötzlich zum Ideal. Und genau das darf nicht passieren. Gerade nicht in einem Land, das seit Jahrzehnten von Migration geprägt ist. In dem mehr als ein Viertel der Bevölkerung eine Migrationsgeschichte hat. In dem Kinder mit arabischen, türkischen, vietnamesischen oder afrikanischen Namen nicht weniger „deutsch“ sind – sondern Teil einer neuen, pluralen Wirklichkeit.
„Eine Rhetorik, die auch von Islamfeinden genutzt wird, wenn sie eigentlich gegen Muslime und den ‚Islam‘ poltern und ‚-ismus‘ anhängen, um Differenziertheit vorzuheucheln.“
Man stelle sich also vor: Ein Minister, der die kulturelle Realität seiner Bevölkerung wahlweise ignoriert, diffamiert oder kulturell entwertet. Ein Minister, der Islam pauschal mit Frauenunterdrückung und Rückständigkeit verknüpft – und das mit einer Selbstgewissheit, die man sonst nur von Facebook-Kommentaren kennt. Weimer sprach von einem „internationalen System der Frauen-Apartheid“ durch Islamismus. Er bedient eine Rhetorik, die auch von Islamfeinden genutzt wird, wenn sie eigentlich gegen Muslime und den „Islam“ poltern und „-ismus“ anhängen, um Differenziertheit vorzuheucheln.
Die Ernennung Weimers ist mehr als ein politisches Signal. Sie könnte einen kulturellen Kurswechsel markieren – weg von der Anerkennung gesellschaftlicher Vielfalt, hin zur nationalkulturellen Wagenburg. Statt Integration zu fördern, besteht die Gefahr, dass dieser Minister Ressentiments verwaltet. Statt Räume für neue Stimmen zu schaffen, könnte er alten Ängsten ein Mikrofon reichen.
Der Deutsche Kulturrat spricht diplomatisch von einer „schwierigen Aufgabe“ für Weimer. Das ist höflich. In Wirklichkeit wäre seine Ernennung ein Affront gegen alle, die für eine inklusive, demokratische und weltoffene Kulturpolitik stehen. Und ein Schlag ins Gesicht all jener, die täglich kulturelle Brücken bauen – in Schulen, Theatern, Redaktionen, Moscheen und Jugendzentren.
Kulturpolitik ist kein Nebenjob für publizistische Provokateure. Sie ist der Resonanzraum unserer Gesellschaft. Sie entscheidet mit, wessen Geschichten erzählt werden. Wessen Stimmen gehört. Und wer in der großen Erzählung dieses Landes mitsprechen darf.
„Wenn ausgerechnet ein Kritiker gesellschaftlicher Vielfalt die kulturelle Visitenkarte des Landes verwalten soll, dann ist das kein Fortschritt.“
Friedrich Merz mag das anders sehen. Vielleicht gefällt ihm die Idee, einen kulturkämpferischen Konservativen als Signal für Ordnung, Leitkultur und Traditionspflege zu installieren. Doch das wäre ein Irrtum mit Ansage. Denn wenn ausgerechnet ein Kritiker gesellschaftlicher Vielfalt die kulturelle Visitenkarte des Landes verwalten soll, dann ist das kein Fortschritt. Sondern Rückschritt im Smoking.
Trotz aller Vorzeichen: Vielleicht überwindet sich Wolfram Weimer in seinem neuen Amt ja noch und erkennt, dass Kultur das Gegenteil von Angst gegen Veränderung ist. Vielleicht wächst er über sich hinaus und wird ein Minister, der nicht fragt, woher jemand kommt, sondern wohin man gemeinsam gehen wird. Vielleicht wird er ein Minister für alle Menschen in diesem Land – und nicht nur für jene, die er für „die Eigentlichen“ hält.
Apropos: Über den designierten Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) haben wir noch nicht einmal gesprochen. Meinung
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