
Faeser in Syrien
Syrer zwischen Einbürgerung und gepackten Koffern
Zehntausende Menschen aus Syrien, die einst als Flüchtlinge kamen, sind heute deutsche Staatsbürger. Andere sitzen auf gepackten Koffern – warten wegen der unsicheren Lage noch ab. Bundesinnenministerin Faeser ist bereits nach Syrien geflogen.
Von Anne-Béatrice Clasmann Montag, 28.04.2025, 10:47 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.04.2025, 10:47 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die Zahl der in Deutschland lebenden Syrer ist durch Ausreisen und Einbürgerungen zuletzt leicht gesunken. Wie das Bundesinnenministerium auf Anfrage mitteilte, lebten laut Ausländerzentralregister Ende März 968.899 syrische Staatsangehörige in Deutschland. Einen Monat zuvor, zum Stichtag 28. Februar, hielten sich laut Register noch 972.470 Syrer in Deutschland auf, 3.571 mehr als Ende März.
Ein Grund für den Rückgang: Viele Flüchtlinge, die in den Jahren 2015 und 2016 eingereist waren, erfüllen jetzt die Voraussetzungen für eine Einbürgerung. Wer deutscher Staatsbürger wird, zählt auch dann nicht mehr als Ausländer, wenn er neben der deutschen noch eine weitere Staatsangehörigkeit hat.
Unter den Menschen aus Syrien, die Ende März in Deutschland lebten, waren laut Innenministerium 304.701 Menschen, die als Flüchtlinge anerkannt sind, zudem 4.811 Asylberechtigte und 322.998 Menschen, bei denen subsidiärer Schutz gewährt wurde. Dieser eingeschränkte Schutzstatus greift, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung infrage kommt, jedoch im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Außerdem lebten zum Stichtag 31. März hierzulande 10.729 Ausreisepflichtige aus Syrien, von denen allerdings die meisten – 9.649 – eine Duldung hatten.
Abschiebungen nach Syrien gibt es seit 2012 nicht. In den Fällen, in denen Asylbewerber aus Syrien dennoch Deutschland unter Zwang verlassen müssen, werden sie in ein anderes europäisches Land gebracht, das nach den sogenannten Dublin-Regeln für ihr Asylverfahren zuständig ist.
Interesse an Rückkehrförderung begrenzt
Ein weiterer Grund für den Rückgang: Mehr als 600 Menschen sind laut Bundesinnenministerium seit Anfang 2024 mit finanzieller Förderung staatlicher deutscher Stellen nach Syrien zurückgekehrt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) unterstützt seit dem 13. Januar freiwillige Ausreisen nach Syrien im Rahmen eines Bund-Länder-Programms. Zuvor war dort der diktatorische Langzeitherrscher Baschar al-Assad gestürzt worden.
Zusätzlich hat der Bund 2024 die Ausreise von 87 Menschen nach Syrien refinanziert, die durch Programme der Bundesländer gefördert wurde. Im ersten Quartal dieses Jahres gab es eine solche Kostenübernahme laut Bundesinnenministerium für 77 Ausreisen. Ein Sprecher wies darauf hin, dass nicht für jede über ein Länderprogramm geförderte Ausreise nach Syrien beim Bund ein Antrag auf anteilige Refinanzierung gestellt werde. Auch bemüht sich nicht jeder Syrer, der ausreist, um staatliche Förderung.
Schneller zum deutschen Pass
Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 75.485 syrische Staatsangehörige eingebürgert, nach rund 48.000 Einbürgerungen im Jahr zuvor. Die Daten für 2024 und die ersten Monate dieses Jahres liegen bis jetzt nicht vor.
Das seit Juni geltende neue Staatsangehörigkeitsgesetz sieht verkürzte Wartezeiten für die Einbürgerung vor. Allerdings muss, wer Deutscher werden will, weiterhin für seinen Lebensunterhalt sorgen, ausreichende Deutschkenntnisse vorweisen. Auch schwerwiegende Straftaten oder verfassungsfeindliche Aktivitäten stehen einer Einbürgerung entgegen.
Übergangsregierung in Syrien
Eine Rebellenallianz unter Führung der Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hatte am 8. Dezember die Kontrolle in der syrischen Hauptstadt Damaskus übernommen. Al-Assad floh nach Russland. Inzwischen wird das Land von einem Ex-Rebellenführer, Interimspräsident Ahmed al-Scharaa, und einer Übergangsregierung geführt.
In Syrien wird ein Teil des Landes von kurdischen Milizen kontrolliert. Russland, die Türkei und mehrere arabische Staaten ringen um Einfluss und Israel versucht eigene Interessen militärisch durchzusetzen. Seit dem 9. Dezember 2024 sind die Entscheidungen über Asylanträge syrischer Staatsangehöriger in Deutschland aufgrund der unübersichtlichen Lage zunächst für sechs Monate ausgesetzt. Nach Ablauf dieser Frist muss das Bamf prüfen, ob die Aussetzung verlängert oder aufgehoben wird.
Innenminister Faeser in Syrien
Um über die Lage zu beraten ist die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Sonntag in die syrische Hauptstadt geflogen. Bei dem Besuch geht es vor allem darum, auszuloten, wie die Aussichten für eine freiwillige Rückkehr syrischer Flüchtlinge sind. Auch Abschiebungen nach Syrien sind ihnen ein wichtiges Anliegen. „Viele haben in Deutschland Arbeit gefunden, Deutsch gelernt und sich ein neues Leben aufgebaut – sie sollen natürlich bleiben können“, sagt Faeser. Andere, vor allem Straftäter, sollten dagegen schnellstmöglich zurückkehren.
Nach dem Gespräch mit Faeser, das mehr als eine Stunde dauerte, sagte Syriens Innenminister Anas Chattab: „Wir haben über Energie gesprochen und wie man Investitionen ermöglichen und Arbeitsplätze schaffen kann. Denn das wird Syrer, die das Land im Krieg verlassen haben, ermutigen, in größerem Umfang zurückzukehren.“ Faeser zeigte sich nach dem Gespräch hochzufrieden. Der syrische Minister habe gezeigt, „dass er bereit ist, Pässe und Dokumente auszustellen“. Das sei mit Blick auf Abschiebungen nach Syrien ein „Schritt nach vorne“.
Mit Blick auf die Vergangenheit räumte Faeser ein, Syrien sei aktuell ein schwieriger Partner. Dennoch sei es wichtig, „dass wir Kontakte auf Arbeitsebene und technischer Ebene herstellen“. Sonst werde man mit den eigenen Anliegen nicht durchdringen: Wege zu finden für eine verstärkte freiwillige Rückkehr von Syrern und Rückführungen von Straftätern.
Über 50.000 Asylanträge ohne Entscheidung
Syrien ist nach wie vor Hauptherkunftsland der Menschen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen. Im ersten Quartal dieses Jahres stellten 9.861 Menschen aus Syrien erstmals in Deutschland einen Antrag auf Schutz.
Zum Stichtag 31. März standen beim Bamf noch 52.344 syrische Asylverfahren zur Entscheidung an. Nicht von dem Entscheidungsstopp betroffen sind sogenannte Dublin-Fälle.
Streit um Sondierungsreisen nach Syrien
Im Bundesinnenministerium arbeitet man bereits seit Januar an einer Ausnahmeregelung, um syrischen Flüchtlingen Erkundungsreisen in ihr Herkunftsland zu ermöglichen, ohne dass sie dadurch ihren Schutzstatus in Deutschland verlieren. Erlaubt wäre demnach entweder eine einmalige Reise für die Dauer von maximal vier Wochen oder zwei Reisen von jeweils maximal zwei Wochen, jeweils mit dem Ziel, auszuloten, ob eine Rückkehr möglich wäre.
Mehrere Unionspolitiker haben sich allerdings kritisch zu dem Vorschlag geäußert – unter anderem der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Er sagte, das geplante Verfahren wecke Erwartungen, die nicht erfüllt werden könnten. Denn über den Widerruf der Schutzberechtigung entscheide alleine das Bamf, und zwar „unabhängig von der subjektiv wahrgenommenen Situation vor Ort“. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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