
„Rechte Raumnahme“ in Sachsen
Zwickau-OB erhält Lübcke-Drohbrief vom NSU – Lehrerin verlässt Schule
Rechte Gewalt nimmt in Sachsen weiter zu. Von einer „rechten Raumnahme“ ist die Rede. Zwei aktuelle Fälle zeigen, wie groß das Problem ist: „Denken Sie an Walter Lübke“, heißt es in einem Drohbrief an den Zwickauer OB. Absender: nsu@gmail.com. An anderer Stelle verlässt eine Lehrerin wegen rechter Drohungen die Schule.
Dienstag, 15.04.2025, 16:13 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16.04.2025, 10:07 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die rechte Gewalt in Sachsen hat vergangenes Jahr nach Zahlen der Opferberatungsstellen flächendeckend zugenommen. Demnach wurden 328 Angriffe gezählt, ein Plus von rund einem Drittel (32 Prozent) im Vergleich zu 2023. Davon waren 446 Menschen direkt betroffen, wie der Verein RAA Sachsen informierte. Das Gros der Taten sei rassistisch motiviert gewesen. Zwei aktuelle Fälle in Zwickau und Oelsnitz werfen ein Schlagschlicht auf das Problem im Land: Ein Oberbürgermeister erhält Todesdrohungen und eine Lehrerin wechselt die Schule wegen rechtsextremer Gewalt.
Die Experten sprechen von einer „zunehmend gewalttätigen rechten Raumnahme“ seit 2022. Es gebe einen Zuwachs an jungen Neonazis und diese träten enthemmter sowie aggressiver auf. Insbesondere durch junge Kameradschaften und Kleinstparteien würden neonazistische Strukturen reorganisiert. Diese Gruppen rekrutierten immer mehr junge Menschen, gründeten neue Stützpunkte und zeigten verstärkt öffentlich Präsenz.
Zwickauer Oberbürgermeisterin erhält Todesdrohung
Und sie machen auch vor Amtsträgern keinen Halt. So hat die Zwickauer Oberbürgermeisterin Constance Arndt (Bürger für Zwickau) eine Todesdrohung mit rechtsextremem Hintergrund erhalten. Sie habe einen Strafantrag gestellt, schrieb Arndt in einem Beitrag bei Instagram. Jetzt ermittelt der Staatsschutz.
„Denken Sie an Walter Lübke. Immer schön aufpassen“, lautet der Inhalt des Schreibens, das Arndt in dem Beitrag teilte. Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) war 2019 wegen seiner liberalen Haltung zur Flüchtlingspolitik auf seiner eigenen Terrasse von einem Rechtsextremisten erschossen worden. Lübckes Namen schrieb der Absender der Drohmail falsch. Als eigenen Namen gab der Unbekannte „Adolf Hitler“ an, die E-Mail-Adresse lautet „nsu@gmail.com“ – eine Anspielung auf den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU), die über viele Jahre eine breite Blutspur quer durch Deutschland gelegt und dennoch unentdeckt gezielt Personen mit ausländischen Wurzeln ermordet haben.
Landtagspräsident Alexander Dierks (CDU) verurteilte die Drohung scharf. „Eine solche Bedrohung ist menschlich abscheulich und überschreitet jede Grenze einer politischen Auseinandersetzung“, sagte er laut einer Mitteilung. „Ich hoffe, dass die Polizei den Urheber der Morddrohung ermitteln kann und er zur Rechenschaft gezogen wird.“ Solche Aussagen würden das demokratische Miteinander vergiften.
Lehrerin verlässt nach rechtsextremen Drohungen Schule
Knapp 50 Kilometer südwestlich von Zwickau, zeigt der Fall einer Lehrerin, mit welchen Mitteln Rechtsextreme die Raumnahme umsetzen: in Oelsnitz (Erzgebirge) verlässt eine Lehrerin nach rechtsextremen Bedrohungen vorzeitig die Schule. Im Januar hätten drei Vermummte der Lehrerin an ihrem Parkplatz aufgelauert, teilte die Leitung der Oberschule mit. Demnach wurde die Frau von den Unbekannten beleidigt, mit dem Leben bedroht und ihr die Reichskriegsflagge gezeigt.
Die Lehrerin wollte ursprünglich die Schule in diesem Sommer verlassen, habe nach dem Vorfall aber um eine vorzeitige Versetzung gebeten. Die Polizei ermittelt wegen Bedrohung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Überregional für Aufsehen hatte vergangenes Jahr der Angriff auf den sächsischen SPD-Europapolitiker Matthias Ecke gesorgt. Er war Anfang Mai beim Plakatieren für die Europawahl von Schlägern attackiert worden.
Zwei Fälle, die nur einen kleinen Einblick in das rechtsextreme Geschehen in Sachsen geben. Wie der Verein RAA weiter mitteilt, wurden insgesamt wieder mehr Angriffe im Land gezählt als 2018. Damals sorgten rassistische Ausschreitungen in Chemnitz für einen Anstieg. Gemessen an der Einwohnerzahl gab es den Zahlen nach 2024 die häufigsten Angriffe in Leipzig, dem Landkreis Görlitz sowie den Städten Chemnitz und Dresden; die wenigsten wurden im Vogtland und dem Erzgebirge gezählt.
Köpping: „ Fast jeden Tag gibt es rassistische Gewalt“
Landesweit höhere Fallzahlen gab es zuletzt 2015 und 2016. Damals entlud sich rechte Gewalt in vielen Fällen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. „Der erneute deutliche Anstieg rechtsmotivierter Gewalt in Sachsen ist besorgniserregend und das politische Klima, das sich in Debatten und Wahlergebnissen weiter nach rechts verschoben hat, nicht minder“, betonte RAA-Geschäftsführerin Andrea Hübler.
Von einem „schmerzhaften Trend“ sprach Sozialministerin Petra Köpping (SPD). „Fast jeden Tag gibt es rassistische Gewalt in Sachsen. Insbesondere die Angriffe auf Wahlkampfhelferinnen und Wahlkampfhelfer sowie politische Mandatsträgerinnen und Mandatsträger erschüttern mich und sind ein gezielter Angriff auf das Herz der Demokratie.“
Nicht alle Angriffe werden der Polizei angezeigt
Die Statistik der Opferberater zeige, dass es bei rechtsextremer Gewalt ein großes Dunkelfeld gebe und viele Fälle von der Polizei nicht erfasst würden, konstatierte die Linke-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel. „So erfasste die RAA 205 Körperverletzungen, fast doppelt so viele wie in der offiziellen Polizei-Statistik verzeichnet sind.“ Nagel warnte vor schwerwiegenden Folgen im Falle von Kürzungen bei Präventionsangeboten und zivilgesellschaftlichen Projekten im neuen Doppelhaushalt des Landes.
Die Statistik des RAA Sachsen umfasst auch Fälle, die nicht bei der Polizei angezeigt werden – etwa weil die Opfer eine diskriminierende Behandlung von Behörden fürchten. Von den 328 den Opferberatern bekannten Fällen seien 273 polizeibekannt, erklärte Hübler. In der Polizeistatistik seien aber nur 169 als politisch motivierte Kriminalität von rechts gewertet. Wie es genau zu dieser Diskrepanz kommt, vermochte sie nicht zu sagen. (dpa/mig) Leitartikel Panorama
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