Türöffner
Feuerwehr als Brücke zur Integration
Was machen eigentlich Feuerwehrleute in Deutschland? Der Vogelsberger Kreisbrandmeister unterrichtet Flüchtlinge. Seine Auftritte haben schon positive Nebenwirkungen gezeigt.
Von Michael Bauer Donnerstag, 03.10.2024, 10:44 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 29.09.2024, 14:48 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
„Nein, als Mitglied der freiwilligen Feuerwehr bekommt man kein Geld. Aber man erhält die Ausrüstung kostenlos.“ Um zu zeigen, wie hochwertig diese Ausrüstung ist, hilft der Vogelsberger Kreisbrandmeister und interkulturelle Berater der Feuerwehr, Björn Preuß von Brincken, einem Flüchtling in den Schutzanzug. Grinsend lässt sich der Mann aus der Ukraine auch noch den Helm auf den Kopf setzen. Fertig ist die Montur. „Schwer“, findet der Flüchtling.
Rund 750 Flüchtlinge hat Preuß von Brincken bislang als ehrenamtlicher Gastdozent beim Deutschkurs für Flüchtlinge an der Volkshochschule (VHS) in Alsfeld in den vergangenen Jahren unterrichtet. Bei seinen Auftritten erfahren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer etwas über die Arbeit der Feuerwehr in Deutschland, über das richtige Verhalten bei Notfällen und die Vermeidung von Gefahren im Haushalt.
Langsam und deutlich reden
An diesem Nachmittag hören ihm neun Flüchtlinge zu – fünf Männer und vier Frauen. Sie kommen aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan und dem Iran. Der Gastdozent bemüht sich, langsam und sehr deutlich zu sprechen, damit er auch verstanden wird. „Wenn ich zu schnell bin, sprecht mich an“, sagt der 52-Jährige in die Runde.
Seine Auftritte sind so erfolgreich, dass schon knapp 20 erwachsene Flüchtlinge den Weg in eine der freiwilligen Feuerwehren gefunden haben. Hinzu kommen noch mehrere Heranwachsende, die zur Kinder- und Jugendfeuerwehr gegangen sind. „Darüber freue ich mich besonders“, sagt Preuß von Brincken.
Notruf wegen Waschbär auf der Mülltonne
Freilich steht Werbung für eine Feuerwehr-Mitgliedschaft nicht im Mittelpunkt seiner Lehrstunden. Neben einem an praktischen Themen orientierten Sprachtraining für die Flüchtlinge geht es vor allem darum, die Zahl unnötiger Notrufe zu senken und damit letztlich die Arbeit der Leitstelle zu verbessern, bei der weniger falsche Alarmierungen eingehen.
„Klassiker in diesem Zusammenhang sind Notrufe wie: Da ist ein Waschbär auf der Mülltonne! Oder: Da ist ein Wildschwein im Garten“, berichtet der Kreisbrandmeister. Die Menschen rufen auch in solchen Fällen die 112 an, weiß er. „Doch das hat nichts mit der Feuerwehr zu tun.“
Test: Leben in Deutschland
Der Gastauftritt des Kreisbrandmeisters ist Teil des Orientierungskurses für Flüchtlinge, der den Abschluss ihres mehrmonatigen Deutsch-Sprachkurses bildet, wie Sonja Pauli-Erler, die Leiterin des VHS-Kurses, erklärt. „Heute geht es um Brandschutz und Notruf: Welche Nummer wähle ich in welchem Fall.“
In dem fünfwöchigen Orientierungskurs berichten auch Polizisten von ihrer Arbeit und geben Ernährungsexperten Gesundheitstipps, wie die Kursleiterin weiter berichtet. Der Orientierungskurs schließe dann mit dem Test „Leben in Deutschland“ ab, den die Flüchtlinge bestehen müssen, wenn sie sich einbürgern lassen wollen, sagte Pauli-Erler.
Ehrenamt weitgehend unbekannt
Vor allem Menschen aus afrikanischen Herkunftsländern wissen nach Erfahrung des Kreisbrandmeisters gar nicht, was es mit einer Feuerwehr auf sich hat, wie es sie in Deutschland gibt. Das Löschen von Bränden sei dort völlig anders organisiert. In anderen Ländern wiederum sei die Feuerwehr beim Militär oder bei der Polizei angesiedelt. „Deswegen frage ich zum Beginn einer Unterrichtsstunde auch immer, woher die Teilnehmer und Teilnehmerinnen kommen.“
Auch das Ehrenamt ist vielen Teilnehmern unbekannt. „Wenn ich erkläre, dass ich meine Arbeit als Feuerwehrmann freiwillig mache und kein Geld dafür bekommen, gibt es ab und zu Stirnrunzeln bei den Flüchtlingen. Oft ist die Reaktion dann: kein Geld? Nein, dann mache ich das nicht.“ Deswegen weise er gerne darauf hin, dass man für Einsätze während der Arbeitszeit weiterbezahlt werde.
„Keine Zeit“
An diesem Nachmittag kann sich keiner der Teilnehmer so recht vorstellen, sich einer freiwilligen Feuerwehr anzuschließen. „Keine Zeit, ich arbeite in einer Bäckerei“, sagt der Ukrainer, der zuvor die Feuerwehruniform anprobiert hatte.
„Ich habe nicht genug Kraft“, winkt eine junge Iranerin ab. Auch der Einwand des Dozenten, dass Frauen in Deutschland sehr wohl Mitglied bei der Feuerwehr seien und es nicht nur auf Kraft ankomme, will sie nicht so recht überzeugen.
Über die Feuerwehr in einen Job
In anderen Fällen hatte Preuß von Brincken über die Jahre hinweg mehr Erfolg. In fast 20 Fällen habe die Mitgliedschaft von Flüchtlingen in einer Feuerwehr sogar dazu geführt, dass sie über diesen Weg eine Arbeitsstelle fanden, berichtet der Kreisbrandmeister, der sich vor ein paar Jahren zum interkulturellen Berater der Feuerwehr hat ausbilden lassen.
„Interkulturelle Öffnung bedeutet, dass wir jeden in die Feuerwehr aufnehmen, der sich darauf einlässt, und wir keine Vorurteile haben, wenn jemand von anderswo herkommt. Das gilt nicht nur für Migranten aus dem Ausland, sondern auch für Großstädter aus Frankfurt oder Düsseldorf, die zu uns in den Vogelsberg kommen.“
Mitgliedschaft in Feuerwehr öffnet Türen
Wer in die Feuerwehr eintrete, lerne viele Leute kennen, erfahre Gemeinschaft, Kameradschaft und Integration. Man treffe auf Menschen, die nicht nur in der Feuerwehr, sondern etwa auch im Fußballverein Mitglied seien und beispielsweise in der Landwirtschaft arbeiteten oder einen Handwerksbetrieb leiteten.
„Wenn man in der Feuerwehr ist, öffnen sich Türen, die man vorher als Migrant oder Städter nicht hatte“, betont er. „Wir haben bei der Feuerwehr einen Spruch: Ich rufe nachts um 2.00 Uhr an und alle kommen und helfen. Das ist gelebte Gemeinschaft und Kameradschaft.“ (dpa/mig) Aktuell Panorama
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