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Ein Sea-Watch-Flugzeug im Einsatz im zentralen Mittelmeer © Seawatch/ Felix Weiss

Seenot im Mittelmeer

Wieder hunderte Menschen gerettet, dutzende Tote

Erneut sind Menschen im Mittelmeer gestorben – auf der Fluchtroute nach Italien und zu den Kanaren. Seenotretter fordern großflächige Suchaktion. Der UNHCR fordert Rettung auch aus Wüsten.

Sonntag, 09.06.2024, 10:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 09.06.2024, 15:57 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Besatzung des Aufklärungsflugzeugs „Seabird 2“ hat zwölf im Mittelmeer treibende Leichen gesichtet. Elf von ihnen habe die Crew am Freitag vor der libyschen Küste gesehen, eine weitere am Samstag, erklärte die Rettungsorganisation Sea-Watch, die das Flugzeug betreibt, am Samstag. „Es ist zu vermuten, dass die Toten Opfer eines bislang unentdeckten Schiffbruchs wurden.“

Das Schiff „Geo Barents“ von „Ärzte ohne Grenzen“ hatte am Freitag auf den Hinweis der „Seabird“-Crew hin elf Leichen geborgen. Davor hatte die Besatzung insgesamt 165 Menschen aus zwei Booten in Seenot an Bord genommen, die es nun auf Anweisung Italiens zum weit entfernten Hafen von Genua bringen müsse. Noch sei unklar, ob es sich bei den geborgenen Leichen um die elf von der „Seabird“-Crew gesichteten Toten handelt, erklärte Sea-Watch. Unsicher sei auch, wie viele weitere Leichen sich noch in dem Gebiet befinden. Sea-Watch rief die zuständigen Behörden zu einer großflächigen Suchaktion auf. Die elf Leichen wurden unterdessen auf die Insel Lampedusa gebracht.

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Mehr als 500 Menschen vor Kanaren gerettet

Bereits in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag hatten spanische Einsatzkräfte innerhalb weniger Stunden Hunderte Menschen gerettet, die vor den Kanarischen Inseln in Seenot geraten waren. Die insgesamt 516 Geflüchteten seien auf fünf Booten unterwegs gewesen, teilte der spanische Seerettungsdienst mit. Die Geflüchteten, darunter zahlreiche Frauen, Minderjährige und Babys, stammten vorwiegend aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Sie seien unter anderem auf die Inseln Teneriffa, Gran Canaria und El Hierro gebracht worden. Viele von ihnen seien in kritischem Zustand.

Nach Angaben von Insassen eines der Boote starben während der Überfahrt im Atlantik mindestens zehn bis zwölf Menschen. Die Leichen seien über Bord geworfen worden. Eine Frau habe auf der Überfahrt ein Kind auf die Welt gebracht, berichteten die Regionalzeitung „La Provincia“ und andere Medien unter Berufung auf die Rettungsteams.

6.618 Tote im Jahr 2023 vor den Kanaren

Auf der Inselgruppe der Kanaren rund 100 Kilometer vor der Nordwestküste Afrikas kommen schon seit längerer Zeit mehr Flüchtlingsboote an. Die Flucht auf der Route hat seit vergangenem Herbst weiter zugenommen. Es wird vermutet, dass dies unter anderem mit der politischen und sozialen Krise im Senegal zusammenhängt. Nach der jüngsten Erhebung des Innenministeriums in Madrid kamen in den ersten fünf Monaten des Jahres in Spanien knapp 21.000 Menschen auf dem Seeweg an. Das sind 136 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.

Nach Angaben der spanischen Hilfsorganisation Caminando Fronteras sind im vorigen Jahr mindestens 6.618 Menschen bei dem Versuch ums Leben gekommen, Spanien auf dem Seeweg zu erreichen. Das waren 177 Prozent mehr als im Jahr 2022, als mindestens 2.390 Todesfälle registriert worden seien. Den größten Teil der Todesopfer, und zwar 6.007, gab es demnach im vorigen Jahr auf der Route von Westafrika zu den Kanaren.

Tausende Tote im Mittelmeer

Auf der Mittelmeer-Route nach Italien starben nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im vergangenen Jahr mindestens 3.155 Menschen. In diesem Jahr waren es demnach mindestens 923, wobei eine hohe Dunkelziffer vermutet wird.

Es gibt keine staatlich organisierte Hilfe für Geflüchtete in Seenot. Lediglich private Initiativen halten nach ihnen Ausschau. Malta nimmt seit Jahren keine von den Organisationen geretteten Menschen auf, Italien behindert ihre Arbeit durch restriktive Gesetze und das Zuweisen weit entfernter Häfen. Anfang Mai erließt die Flugaufsichtsbehörde zudem ein Verbot für Aufklärungsflüge von nichtstaatlichen Organisationen auf dem Mittelmeer. Trotz der Gefahr einer Festsetzung des Flugzeugs habe sich Sea-Watch für eine Fortsetzung der Flüge entschieden.

UNHCR fordert Rettung auch aus Wüsten

Derweil ruft das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR dazu auf, die Rettung von Menschen auf gefährlichen Migrationsrouten auszuweiten. Es werde viel über die Bergungen im Mittelmeer diskutiert, nötig sei aber auch die Rettung in der Wüste, sagte Vincent Cochetel, beim UNHCR zuständig für die Flüchtlingssituation auf der zentralen Mittelmeer-Route. Er kritisierte humanitäre Organisationen, die in Hauptstädten vieler Länder zahlreich zugegen seien – wo es aber kaum Flüchtlinge und Migranten gebe.

Er verlangte, vielmehr müsse Menschen dort geholfen werden, wo sie in Gefahr seien, etwa in kleineren Ortschaften entlang der Migrationsrouten, wo sie manchmal von Schleppern ohne Versorgung allein gelassen würden. Sie brauchten dort Nothilfe und Informationen über die Gefahren.

Nach UNHCR-Angaben riskieren hunderttausende Menschen ihr Leben, die in Afrika südlich der Sahara unterwegs sind. Die meisten suchten neue Bleiben in der Nähe ihrer Heimatländer und seien nicht auf dem Weg nach Europa, betonte er. Dreiviertel der gut 108 Millionen Zwangsvertriebenen weltweit lebten in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen. Die Menschen seien auf den Migrationsrouten dem Risiko von Gewalt, Folter und Entführungen ausgesetzt. (epd/dpa/mig) Aktuell Panorama

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