Einwanderungsland Senegal
„Eine Zivilisation der offenen Tür“
Junge Leute, die versuchen, auf Booten von Afrika nach Europa zu gelangen, starten oft vom Senegal aus. Doch der westafrikanische Staat ist auch ein beliebtes Einwanderungsland. Dort wird ein anderer Umgang mit Minderheiten gepflegt. Sie zum Sündenbock zu machen, sei undenkbar.
Von Martina Zimmermann Mittwoch, 17.04.2024, 13:27 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 17.04.2024, 13:28 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Fliegende Händler aus Guinea verkaufen Sandwiches und Obst, Frauen aus Mali bieten ihre Stoffe an. Daneben gibt es kulinarische Spezialitäten der Elfenbeinküste oder Kameruns: In den Straßen der senegalesischen Wirtschaftszentren Dakar, Thies oder Mbour sind Zuwanderer sehr präsent.
Rund 80 Prozent aller afrikanischen Migration findet nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration innerhalb des Kontinents statt. Das westafrikanische Senegal ist ein Beispiel für einen Staat, der auch ein Einwanderungsland ist. Hier leben Menschen aus Nigeria, Niger, aus der Elfenbeinküste, Mali, Guinea oder Mauretanien.
Erfolgreiche Integration
Vor einem Bäckerladen an einer belebten Kreuzung in Saly winkt Adolphe Songhoy die Fahrzeuge auf den Parkplatz, hilft beim Ausparken, wo haltende Sammeltaxen für Chaos und Stau sorgen. Der bald 50-jährige Togolese ist erst seit wenigen Monaten im Land. Hier verdiene er umgerechnet rund 160 Euro im Monat, „in Togo bekäme ich nur ein Viertel“, erzählt Songhoy: „Und die Kunden geben mir Trinkgeld.“ Er lobt die Gastfreundschaft, die „Teranga“, der Senegalesen, fügt dann aber noch lächelnd hinzu: „Meine Arbeit hier würde nicht die Hälfte der Senegalesen machen.“
Die Einwanderer aus dem benachbarten Guinea sind für ihre erfolgreiche Integration bekannt. Viele beginnen ihre Geschäftskarriere mit Rikschas, auf denen sie Waren transportieren. Hamed Sall sitzt vor seinem Gemüseladen an der viel befahrenen Hauptstraße von Saly Niakh Niakhal an der Küste. Gegenüber ist einer seiner beiden Frisörsalons, um die sich seine Söhne kümmern. Im Senegal habe er nie Fremdenhass erlebt, erklärt er. Er kam 1980 mit 22 Jahren nach Senegal, flüchtete wie viele seiner Landsleute vor der Diktatur des mittlerweile gestorbenen Präsidenten Sékou Touré.
Stabilität und Demokratie
Die Zuwanderer schätzen Stabilität und Demokratie im Senegal. Wie stark der Einsatz der Senegalesen für ihre Demokratie ist, zeigten zuletzt die erfolgreichen Proteste gegen die Verschiebung des Termins für die Präsidentenwahl. Westafrikaner machen laut Bericht des nationalen Instituts für Demografie von 2018 die Hälfte der rund 500.000 offiziellen Einwanderer im gut 17-Millionen-Einwohnerland Senegal aus, aktuellere Zahlen gibt es nicht. Hinzu kommen Libanesen, Türken und Marokkaner und mindestens 20.000 Franzosen. Laut Botschaftsauskunft leben außerdem 6.000 Spanier, 500 Südafrikaner, 200 Japaner und mehrere Hundert Deutsche im Senegal. Es reisten mehr Menschen ein, als das Land verließen, hieß es in dem Bericht.
Im senegalesischen Nationalbewusstsein wird Zuwanderung als etwas Positives wahrgenommen. Bereits der erste Präsident des Landes, Léopold Sédar Senghor, war ein Theoretiker des Panafrikanismus und für die Einheit aller Afrikaner. Mitglieder der Westafrikanischen Wirtschaftsunion Ecowas können seit 1979 frei einreisen und sich niederlassen. Im informellen Sektor ist die Zahl der Ausländer kaum zu überblicken. Wer länger als drei Monate im Land bleibt, braucht im Prinzip eine Aufenthaltskarte. Die „Carte de résident“, ein Papier mit Passfoto und Stempel, wird allerdings bisher so gut wie nie kontrolliert.
Minderheit als Sündenbock? Undenkbar.
Im Safari Beach Restaurant am Strand von Saly liegen Touristen dicht nebeneinander in den Liegestühlen, Familien aus Dakar essen am Rande des Swimmingpools. Auch Amadou Diouf ist heute hier, ein im Senegal bekannter Fernsehmoderator und Kommentator. „Es gibt keine soziale Schicht und keine Organisation, die eine Minderheit von Ausländern im Visier hat“, sagt er. Eine Minderheit zum Sündenbock zu machen, hält er im Senegal für undenkbar.
Das Océanium in Dakar ist eine Tauchstation und der Sitz des gleichnamigen Ökovereins: das Lebenswerk von Haidar El Ali. Der berühmte Umweltschützer war zweimal Minister. Seine Eltern sind aus dem Libanon eingewandert. El Ali bezeichnet sich gerne als „weißen Grünen in einem schwarzen Land“. Diskriminierung seitens der Senegalesen habe der 70-Jährige nie erlebt: „außer von den weißen Lehrern.“ Als der französische Lehrer von „unseren Vorfahren, den Galliern“ erzählte, habe er sich gemeldet: „Ich sagte, ‚Monsieur, hier in der Klasse sind alle schwarz, der einzige Gallier bist du‘.“ El Ali flog damals von der Schule, so erzählt er es.
Jahrzehnte später ist die Lage in Westafrika ungemütlich geworden für die ehemalige Kolonialmacht Frankreich: Militärjunten in Niger, Mali und Burkina Faso haben die Franzosen aus dem Land geworfen. Der neu gewählte senegalesische Präsident Bassirou Diomaye Faye trat auch mit dem Versprechen an, das Land unabhängiger von Frankreich zu machen.
Zivilisation der offenen Tür
„Der Diskurs ist sehr hart gegen Frankreich und seine Regierung, aber keinesfalls gegen das französische Volk“, sagt Souleymane Gueye aus dem Vorstand der Anti-Frankreich-Initiative FRAPP. Tausende Franzosen leben und arbeiten im Land, Tausende Rentner und Rentnerinnen verbringen dort den Winter.
Unter den Europäern, die ein besseres Leben in dem westafrikanischen Staat gefunden haben, ist auch die Deutsche Gudrun Erdmann-Camara. Seit 33 Jahren lebt sie im Senegal. Die 75-Jährige war das letzte Mal 2006 in Deutschland, um ihre sterbende Mutter zu pflegen: „Mit war es zu kalt“, erinnert sich die ehemalige Krankenschwester an die Zeit: „Das war ein kleines Dorf, alle so griesgrämig.“ Sie kam zurück.
„Wir sind eine Zivilisation der offenen Tür“, behauptet Haidar El Ali: „Überall empfängt man Fremde, lädt sie zum Essen ein, sagt ‚Guten Tag‘.“ Und er fragt: „In welchem europäischen Land hast du das?“ (epd/mig) Aktuell Ausland
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