Antisemitismus
Petition gegen politische Einflussnahme bei der documenta
Der Antisemitismus-Eklat auf der documenta hat eine Debatte über die Grenzen der Kunstfreiheit ausgelöst. Diskutiert werden diverse Maßnahmen. Eine Initiative warnt vor politischer Einflussnahme. Ihre Petition zum Erhalt der Kunstfreiheit bei der Schau haben bislang gut 4.100 Menschen unterzeichnet.
Montag, 15.04.2024, 14:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 15.04.2024, 14:10 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Initiative „#standwithdocumenta“ hat eine von ihr angestoßene Petition zum Erhalt der Kunstfreiheit bei der documenta an den Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta gGmbH, Kassels Oberbürgermeister Sven Schoeller (Grüne), und Hessens Kunstminister Timon Gremmels (SPD) übergeben. „Wir haben den Eindruck, dass es doch sehr viele Bestrebungen gibt, die volle Kunstfreiheit in ihrem gesetzlichen Umfang infrage zu stellen oder durch Reglementierungen wenigstens einzudämmen“, sagte der Sprecher der Initiative, Wendelin Göbel, am Donnerstag in Kassel. Das Ziel der Initiative sei „Hände weg vom Grundgesetz. Hände weg von der Kunstfreiheit.“
Hintergrund sind die möglichen Verhaltenskodexe, die eine Managementberatung in ihrem Abschlussbericht zur Aufarbeitung des Antisemitismus-Debakels der fünfzehnten Ausgabe der Weltkunstausstellung im Sommer 2022 vorgeschlagen hat. Diese sogenannten Codes of Conduct, die den Schutz der Menschenwürde sowie der Kunstfreiheit gewährleisten sollen, sollen sich die Geschäftsleitung und die Künstlerische Leitung jeweils verpflichten.
Die Initiative sieht dadurch die Kunstfreiheit gefährdet und stellt sich mit der Petition, die aktuell rund 4.100 Menschen unterschrieben haben, gegen Versuche politischer Einflussnahme auf die documenta. Unterstützer sind unter anderem die ehemaligen Kasseler Oberbürgermeister Hans Eichel, Bertram Hilgen und Wolfram Bremeier sowie die documenta-Künstler Gunnar Richter, Gernot Minke und Horst Hoheisel. Hoheisel übergab die Petition gemeinsam mit der documenta-Künstlerin Aliaa Abou Khaddour.
„Neuralgische Punkte“
Schoeller erklärte, die Gremien der documenta gGmbH seien sich sehr wohl bewusst, dass es „neuralgische Punkte“ in den vorgeschlagenen Maßnahmen gebe und hätten die Codes of Conduct sehr genau im Blick. „Sie können sich darauf verlassen, dass die Gremien selbstverständlich ausschließlich Maßnahmen ergreifen werden, die im Einklang mit der grundgesetzlich garantierten Kunstfreiheit stehen“, erklärte er. „Wir werden dafür sehr gute Lösungen finden, die erstens die Einhaltung der Kunstfreiheit wahren, die zweitens auch von einem Selbstverständnis künstlerischer Freiheit ausgehen und die drittens aber auch einen effektiven Schutz menschlicher Würde auf der Ausstellung gewährleisten.“
Es sei wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass die grundgesetzlichen Freiheiten, die es in Deutschland gebe und zu denen die Kunstfreiheit gehöre, auf dem Boden der Achtung menschlicher Würde stünden, betonte Schoeller. „Ohne die Achtung menschlicher Würde gäbe es diese Freiheiten nicht.“
„Nicht hundertprozentig überzeugt“
Der designierte stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, Kunstminister Timon Gremmels, betonte, er wolle die documenta als Ort zeitgenössischer Kunst und Kultur mit globalem und internationalem Anspruch aufrechterhalten und weiterentwickeln. „Ich verstehe mich als Verteidiger der Kunstfreiheit“, erklärte er. Sein Ziel sei eine documenta, bei der Kunstfreiheit ganz groß geschrieben werde. In Hinblick auf den empfohlenen Verhaltenskodex für die Künstlerische Leitung äußerte sich Gremmels erneut zurückhaltend: „Ich bin noch nicht hundertprozentig davon überzeugt, dass der Code of Coduct für die Künstlerische Leitung der richtige Weg ist“, sagte er. Dazu sei er auch mit Oberbürgermeister Schoeller in engem Austausch. „In dieser Frage sind wir, glaube ich, sehr nah beieinander.“
Die Petition richtet sich ebenfalls an Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Der Grünen-Politikerin soll sie laut der Initiative auf separatem Weg übergeben werden.
Ausstellung für Gegenwartskunst
Bereits die documenta fifteen im Jahr 2022 war von einem Antisemitismus-Eklat überschattet worden. Schon im Vorfeld der Schau waren erste Stimmen laut geworden, die dem indonesischen Kuratorenkollektiv Ruangrupa und einigen eingeladenen Künstlern eine Nähe zur anti-israelischen Boykottbewegung BDS vorwarfen. Kurz nach der Eröffnung der Ausstellung wurde eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt und abgehängt. Später lösten weitere Werke scharfe Kritik und Forderungen nach einem Abbruch der documenta fifteen aus. Nach erneuten Antisemitismus-Vorwürfen gegen ein Mitglied der Findungskommission für die Künstlerische Leitung der documenta 16 war Mitte November 2023 zunächst dieses Mitglied und später die gesamte Findungskommission zurückgetreten.
Die documenta gilt neben der Biennale in Venedig als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst. Die 16. Ausgabe der Schau soll vom 12. Juni bis 19. September 2027 in Kassel stattfinden. (dpa/mig) Aktuell Feuilleton
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