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Mutter und Kind kommen vom Arzt (Symbolfoto) © Ministerie van Buitenlandse Zaken @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Umzug in den Slum

In Kenia bringen steigende Preise immer mehr Menschen in Existenznot

Treibstoff, Brot, Krankenkassenbeiträge - der Grundbedarf wird in Kenia immer teurer. Für viele Menschen stellt sich die Frage, ob sie sich eine zweite Mahlzeit am Tag leisten können. Wie bei Motorradtaxifahrer Raphael Tunya.

Von Sonntag, 24.03.2024, 13:51 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 24.03.2024, 13:51 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Es wird langsam dunkel in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, wenn Raphael Tunya seine zweite Schicht des Tages beginnt. Von 8 bis 17 Uhr arbeitet er als Motorradbote bei einem Druckhaus im Industriegebiet. „Das Gehalt bringt uns nicht mehr über die Runden“, sagt der dreifache Vater. Von 18 bis 22 Uhr zieht er deshalb als Motorradtaxifahrer erneut los, um sein spärliches Einkommen aufzubessern.

Über Apps wie Uber und Bolt findet der 48-Jährige seine Kunden, oft in den besser situierten Stadtteilen. Der Mann in schwarzer Lederjacke und Helm wirkt müde. „Ich bin daran gewöhnt“, sagt er und zuckt mit den Schultern.

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Bis vor einem Jahr hat Tunya mit seiner Familie außerhalb der Stadt gewohnt. Doch als sich die Benzinpreise innerhalb weniger Monate fast verdoppelten, stellte er fest, dass ein Zimmer im Slum billiger ist, als jeden Tag so viel Geld für Sprit auszugeben. Also sind die Eheleute mit ihrem Kleinkind, einem Sohn im Grundschulalter und dem großen Sohn, der in die 7. Klasse geht, nach Lunga Lunga im Armenviertel Mukuru umgezogen. Ihr Zimmer ist so klein, dass nur ein Bett und ein Sofa Platz finden. Das Bad teilen sie mit zehn anderen Familien.

„Können wir nicht stemmen“

Tunyas Frau Ann Mwongeli kocht mit Paraffin. „Das ist zwar teuer und schmutzig, aber einen Gasherd zu kaufen, können wir nicht stemmen.“ Es gibt kein fließendes Wasser, Strom kommt von Leuten, die die Leitungen anzapfen. „Dieses Jahr zu Weihnachten gab es keine neue Kleidung für die Kinder“, sagt Tunya frustriert. Sie tragen weiter ihre Second-Hand-Klamotten, die auf großen Märkten günstig verkauft werden.

Kurze Pause bei einer Kibanda, einem Essensstand am Straßenrand. Tunya bestellt Tee und eine Portion gekochte Süßkartoffeln. „Wir sind auf solche Kibandas angewiesen“, sagt er. Hier gibt es schnell und günstig etwas zu Essen, oder – wenn man sich das nicht leisten kann – zumindest einen Tee mit viel Zucker. Blaue Plastikstühle, zusammengezimmerte Tische, aus dem Radio tönen die Nachrichten. Thema: die Steuerpolitik der Regierung.

Seit Monaten steigen die Preise

Mitte März verkündete Präsident William Ruto, dass er 16 Prozent Mehrwertsteuer auf Brot und Milch einführen will. Seit Monaten steigen die Preise für Speiseöl, Reis und Zucker konstant wegen hoher Importkosten, und auch die Beiträge für die Krankenkasse nehmen zu.

Im Wahlkampf 2022 hatte Ruto noch versprochen, den einfachen Leuten zu helfen. Doch seit er im Amt ist, steigt deren Steuerlast. Ruto versucht, die Staatskassen besser zu füllen, um Zinsen an ausländische Kreditgeber zahlen zu können.

Nicht mal 21 Euro/Monat

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Infotrak konnten im Dezember in Kenia nur fünf Prozent der Bevölkerung komfortabel leben, ohne sich Gedanken über ihr Auskommen zu machen. 55 Prozent kamen nur knapp über die Runden. 18 Prozent waren in einer schweren finanziellen Krise. Sie wünschen sich von der Regierung, dass die Lebenshaltungskosten, die Spritpreise und die Schulgebühren sinken und es mehr Arbeitsmöglichkeiten gibt.

Von Tunyas Gehalt als Fahrer bleiben im Monat für den täglichen Bedarf nur 3.000 Shilling übrig, umgerechnet nicht mal 21 Euro – der Rest geht für Kredite drauf, die er abbezahlt – für ein Stück Land, für sein Motorrad, für die Schulgebühren der Kinder. Die Zinsen auf Kredite liegen in Kenia zwischen 10 und 20 Prozent. „Die Firmen wissen genau, was sich Leute nicht leisten können und machen damit dann ein Geschäft.“

Viele Ideen für die Zukunft

Tunya hofft, dass es eines Tages besser wird, dass er den täglichen Kampf hinter sich lassen kann. Er hat viele Ideen, wie er in Zukunft sein Geld investieren würde – in eine Hühnerzucht auf seinem Stück Land, in Ziegen, in Süßkartoffeln. „Für die gibt es einen guten Markt“, sagt er und beißt in ein Stück der gekochten Knolle.

Auf seinem Smartphone zeigt Tunya stolz ein Foto seines 13-jährigen Sohnes im Sportoutfit seiner Schule. Tunya hat nur acht Jahre die Schule besucht, danach war kein Geld mehr dafür da. Seinen Kindern will er einen besseren Start ins Leben ermöglichen. So fährt er nach seinem Arbeitstag jeden Abend noch einmal los. (epd/mig) Aktuell Ausland

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