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Trauer am Tatort nach dem Tod von Mouhamed durch Polizeischüsse © MiG

Dortmund

Polizisten nach Tod des 16-jährigen geflüchteten Mouhamed vor Gericht

Nach tödlichen Polizeischüssen auf den 16-jährigen geflüchteten Dramé stehen in Dortmund fünf Polizeibeamte vor Gericht. Kaum etwas an dem Polizeieinsatz sei verhältnismäßig gewesen, so der Vorwurf der Anklage. Eine Gefahr sei von dem Jungen nicht ausgegangen.

Von Dienstag, 19.12.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.12.2023, 14:48 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Als sie vor das Gericht treten, verbergen die fünf angeklagten Polizisten und Polizistinnen ihre Gesichter hinter grauen Aktendeckeln vor den vielen Kameras und Zuschauerblicken. Zum Auftakt des Prozesses um die tödlichen Polizeischüsse auf den 16-jährigen Mouhamed Dramé in Dortmund vor eineinhalb Jahren ist der Saal vor dem Landgericht Dortmund bis auf den letzten Platz gefüllt. Groß ist das Interesse an der strafrechtlichen Aufarbeitung eines Einsatzes, bei dem nach Darstellung der Staatsanwaltschaft kaum etwas verhältnismäßig gewesen sein soll.

Der Verlesung der Vorwürfe gegen sie folgen die Angeklagten weitgehend mit gesenktem Blick. Im August 2022 war der aus dem Senegal stammende Mouhamed Dramé demnach mit fünf Schüssen aus der Maschinenpistole eines Polizisten erschossen worden – ohne dass für den Ermittler eine Gefahr für die Beamten oder Dritte zu erkennen gewesen war.

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Totschlag, Körperverletzung, Anstiftung

Fünf von sechs abgefeuerten Projektilen aus der Waffe vom Typ MP5 trafen den Jugendlichen, der kurz darauf im Krankenhaus starb. Dem Schützen wirft Oberstaatsanwalt Carsten Dombert nun Totschlag vor. Wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt sind zwei Kolleginnen und ein Kollege im Alter von 29 bis 34 Jahren angeklagt, der 55-jährige Einsatzleiter wegen Anstiftung zu dieser.

Laut Anklage war die Polizei zu dem Einsatz in eine Jugendhilfeeinrichtung gerufen worden, weil der 16-Jährige anscheinend in suizidaler Absicht mit einem Messer hantierte. Beim Eintreffen der Einsatzkräfte habe er ruhig und nach vorne gebeugt in einem Innenhof an eine Wand gelehnt, ein Haushaltsmesser auf seinen Bauch gerichtet.

Angriff ohne Vorwarnung

Als er auf kurze Ansprache nicht reagierte, soll ihn eine Beamtin auf Anordnung ihres Vorgesetzten und ohne Vorwarnung mit Pfefferspray besprüht haben. Sechs Sekunden lang richtete sie die Sprühflasche gegen den Jugendlichen bis ihm das Reizgas über das Gesicht lief.

Als er sich daraufhin aufrichtete und sich – das Messer noch immer in der Hand – in Richtung der Beamten bewegte, soll er zunächst mit Taser-Stromstößen beschossen worden sein, bevor keine Sekunde später Schüsse aus der Maschinenpistole fielen.

Verteidiger bestreitet rassistische Motive

Dabei sei Dramé „zu keinem Moment aufgefordert worden, das Messer abzulegen“, so Oberstaatsanwalt Dombert. Der Einsatz von Pfefferspray, Tasern und Maschinenpistole sei ohne rechtfertigenden Anlass erfolgt, betonte er. Die fünf Schüsse trafen den Jugendlichen ins Bein, in den Bauch, in die Schulter, ins Gesicht und den Unterarm.

Von den Verteidigern der Angeklagten meldet sich an diesem ersten Verhandlungstag allein der Rechtsanwalt des Schützen, Christoph Krekeler, in einer kurzen Erklärung zu Wort. Sein Mandant und dessen Familie seien durch das Verfahren „sehr belastet“. Dramé habe durch ihn – den Schützen – das Leben verloren. Als sich Dramé erhoben und sich mit einem Messer auf den Polizisten zubewegt habe, habe nicht nur sein Mandant dies als bedrohlich empfunden, sagte Krekeler und verwies auf den nahezu zeitgleichen Taser-Einsatz der Kollegen. „In dieser Situation kam es meinem Mandanten auf die Hautfarbe von Mouhamed Dramé überhaupt nicht an“, betont er noch.

Debatte um Polizeigewalt und Rassimus

Der Tod des minderjährigen Flüchtlings aus dem Senegal hatte bundesweit für Entrüstung und Debatten um die Verhältnismäßigkeit der Mittel bei der Polizei gesorgt. Auch rassistische Motive waren diskutiert worden. Experten warfen der Polizei vor, sie hätten bei einem weiß und christlich gelesenen Jugendlichen anders gehandelt.

Gegen Polizeigewalt protestiert im Nieselregen vor dem Landgericht zum Prozessstart eine kleine Gruppe Demonstranten. Sie halten Pappkartons mit Mouhameds Konterfei in die Höhe. Es gehe um Aufklärung des Falles und um Gerechtigkeit, sagt William Dountio vom „Solidaritätskreis Justice4Mouhamed“, der in engem Kontakt mit der Familie stehe. „Sie wollen Antworten auf die Frage, wieso sie Mouhamed auf so traumatische Art und Weise verlieren mussten. Der Prozess jetzt ist ein erster Schritt dahin, diese Antworten zu bekommen“, sagt Dountio.

Jurist erhofft sich vom Prozess Signalwirkung für Polizei

Vertreten wird die Familie vor Gericht auch durch den Strafverteidiger und Kriminologen Thomas Feltes. Er erhofft sich von dem Prozess auch eine Signalwirkung: Politik und Polizei sollten ihre Strategie im Umgang mit Menschen in Ausnahmesituationen überdenken, sagt er am Rande des Prozesses. Ihm sei bewusst, dass die Polizei mit Tausenden solcher Einsätze konfrontiert sei und diese zumeist gut löse. „Doch es gibt immer wieder eskalierende Situationen, in denen falsche Entscheidungen getroffen werden.“ So aus seiner Sicht auch in Dortmund: „Mouhamed konnte nicht fliehen. Es gibt für mich keinen Grund, aus dieser stabilen Situation durch den Einsatz von Pfefferspray eine instabile zu machen“, so Feltes. Pfefferspray steigere Aggressionen statt sie zu reduzieren.

Bislang sind zehn weitere Verhandlungstage bis in den April terminiert. Am 10. Januar 2024 wird der Prozess fortgesetzt (dpa/mig) Leitartikel Panorama

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