Globales Flüchtlingsforum 2023
Unser verzerrter Blick auf die Flüchtlingsdebatte
Migration und Flucht sind in Deutschland längst Politikum, machen große Schlagzeilen. Das Global Refugee Forum 2023 hingegen blieb unbeachtet. Das lässt tief blicken auf unsere Flüchtlingsdebatten.
Von Prof. Dr. Ulrike Krause Sonntag, 17.12.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.12.2023, 13:54 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Das globale Flüchtlingsforum (bzw. Global Refugee Forum) hat in Deutschland kaum Aufmerksamkeit erhalten. Weder in tagespolitischen noch in medialen oder wissenschaftlichen Debatten kam es zur Sprache. Dies zeigt auf dramatische Weise, wie stark sich Debatten über Flucht und Geflüchtete um Entwicklungen innerhalb von Deutschland drehen – und unzureichend globale Zusammenhänge berücksichtigen.
Hintergrund des Forums
Das globale Flüchtlingsforum resultiert aus dem globalen Flüchtlingspakt (Global Compact on Refugees), den Staaten im Dezember 2018 verabschiedet haben. Im dazugehörigen Aktionsprogramm haben sich Staaten darüber vereinigt, ein sogenanntes Global Refugee Forum zu initiieren. Das Ziel des Forums ist, internationale Zusammenarbeit zu stärken und die Teilung von Verantwortungen zu verbessern. Praktisch bedeutet dies, dass das Forum eine Plattform für Debatten bieten sowie konkrete Zusagen und Beträge mobilisieren soll.
Erstmals fand das Forum 2019 statt und soll planmäßig alle vier Jahre ausgerichtet werden.
Das aktuelle globale Flüchtlingsforum
Das diesjährige globale Flüchtlingsforum fand vom 13. bis 15.12.2023 in Genf statt. Es wurde gemeinsam von dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Schweiz ausgerichtet und von Kolumbien, Frankreich, Japan, Jordanien und Uganda mitorganisiert.
Über 4.200 Teilnehmende aus 168 Ländern waren vor Ort. Darunter befanden sich Staats- und Regierungschef:innen, Vertreter:innen von Ministerien, internationalen Organisationen, NGOs, Geflüchtetenselbstorganisationen, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Zudem haben laut UNHCR über 10.000 Menschen die Debatten online verfolgt.
Das Programm des Forums war bemerkenswert umfangreich. Zusätzlich zu den Plenarsitzungen fanden parallele hochrangige Veranstaltungen zu vielfältigen Themenfeldern wie Bildung, Geschlechtergleichstellung, wirtschaftliche Integration, Friedensförderung und Gesundheit statt.
Darüber hinaus gab es vielfältige sogenannte „linked event“ – also verbundene Veranstaltungen – zu Fragen über Schutz und Staatenlosigkeit, Partizipation, Bildung, Klima und soziale Inklusion. Der „Refugee Leadership Multipurpose Space (R-Space)“ ist hier besonders hervorzuheben. Im R-Space fanden über 40 Veranstaltungen statt, die primär Erfahrungen über und Wege für verstärkte Repräsentation und Beteiligung von Geflüchteten behandelten. Die meisten der Veranstaltungen wurden von Vertreter:innen von Geflüchtetenselbstorganisationen (engl. refugee-led organizations) organisiert. Auch in der Schaffung des R-Space waren Geflüchtetenselbstorganisationen zentrale Partner:innen im Konsortium, das neben Stiftungen wie die Robert Bosch Stiftung und Open Society sowie Wissenschaft wie das Local Engagement Refugee Research Network (LERRN) allen voran Organisationen von Geflüchteten wie R-SEAT, das Global Refugee-led Network (GRN) und New Women Connectors umfasste.
Ergebnisse des globalen Flüchtlingsforums und Beiträge Deutschlands
Im Vorfeld des Forums wurden 43 sogenannte multi-stakeholder pledges von diversen Verbünden unterschiedlicher Akteur:innen entwickelt. Darin werden jeweils spezifische Ziele festgehalten, zu denen Staaten, Zivilgesellschaft, Forschung etc. Zusagen einreichen können. Die Rückmeldungen waren 2023 umfangreich. Über 1.600 Zusagen wurden gemacht und das Forum schloss mit zugesicherten Beiträgen im Umgang von mehr als 2,2 Mrd. US Dollar.
Die Bundesrepublik hat 35 Zusagen gemacht, die sich auf vielfältige Projekte beziehen. Diese Vorhaben erstrecken sich sowohl auf nationale als auch globale Unterstützungsbereiche wie Bildung, Partizipation, Geschlechtergleichstellung und Schutz vor genderbasierter Gewalt, Klima, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung sowie Gesundheit.
Höchst bedeutsam ist die Verkündung der Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration, Reem Alabali-Radovan, dass Deutschland ein Refugee Advisory Board eingerichtet hat. Kava Spartak war Refugee Advisor und offizielles Mitglied der deutschen Delegation auf dem globalen Flüchtlingsforum. Damit folgt Deutschland Staaten wie Kanada, USA, Neuseeland und Kenia, die bereits Refugee Advisory Boards haben. Dies verspricht dringend nötige integrative Prozesse in Deutschland, um die Vertretung und Beteiligung von Menschen mit Fluchterfahrung in der Politik sicherstellen.
Geflüchtete als Akteur:innen im globalen Flüchtlingsforum
Während die hiesige Bedeutung der Schutzstrukturen, die Geflüchteten selbst schaffen und ausgestalten, im Zentrum der meisten Debatten standen und somit die Arbeit von Geflüchtetenselbstorganisationen wiederkehrend betont wurde, sind anhaltende Probleme erkennbar.
Zu begrüßen ist, dass die Zahl von Teilnehmenden mit Fluchterfahrung im Vergleich zu 2019 gestiegen ist. Während 2019 nur 70 Geflüchtete vor Ort waren, wurden 2023 laut UNHCR mehr als 300 Geflüchtete eingeladen. Trotz Anstieg sind das nur rund 7 % der etwa 4.200 Teilnehmenden.
Höchst problematisch ist, dass einige der Eingeladenen kein Visum zur Einreise in der Schweiz erhalten haben und somit nicht am Forum teilnehmen konnten. Dies war etwa für Mitglieder des Africa Refugee-Led Network (ARN) der Fall. 23 der 25 eingeladenen Personen haben kein Visum erhalten, was auf starke Kritik stößt. Auch anderen Geflüchteten wurde die Einreise verweigert – so einer Person, deren Bild auf der Website von UNHCR zum globalen Flüchtlingsforums prägnant gezeigt wird.
Fazit
Debatten zur Intensivierung und Verbesserung von Schutz, Unterstützung und Lösungsfindung für Geflüchtete sind zweifelsohne wichtig und dazu hat das globale Flüchtlingsforum 2023 beigetragen. Doch das Ziel der Repräsentation und Beteiligung von Menschen mit Fluchterfahrung bedarf weiterhin verstärkte Aufmerksamkeit und Verbesserung.
Schließlich muss sichergestellt werden, dass all die Solidaritätsbekundungen und Lobesworte durch die staatlichen Vertreter:innen für die wichtige Arbeit von Geflüchtetenselbstorganisationen nicht leere Worthülsen bleiben, sondern in naher Zukunft in Taten umgesetzt werden. Versprechen allein sind nicht genug. Meinung
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