75 Jahre Menschenrechte
Das wankende Grundgesetz der Menschen
Am 10. Dezember 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Das 75. Jubiläum fällt in ein Zeitalter der Unterdrückung und der Gewalt.
Von Jan Dirk Herbermann Donnerstag, 07.12.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 07.12.2023, 9:09 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Im Herbst 1948 traf sich die UN-Vollversammlung in Paris. Die Delegierten verschiedener Länder prüften einen Entwurf für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. „Wir hatten einige schreckliche Zeiten in Paris“, erinnerte sich später Eleanor Roosevelt an das diplomatische Tauziehen im Palais de Chaillot. Die US-Amerikanerin und ehemalige First Lady profilierte sich als treibende Kraft für die Ausarbeitung und Verabschiedung des epochalen Dokumentes.
Nach dem Massensterben des Zweiten Weltkrieges und der Naziverbrechen reifte bei Politikern und Intellektuellen rund um den Globus die Erkenntnis, dass alle Menschen einen Katalog mit unveräußerlichen Rechten brauchen. Vor 75 Jahren war es dann so weit: Am 10. Dezember 1948 nahm die Vollversammlung die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte an. Nur wenige Länder enthielten sich der Stimme – wie die kommunistische Sowjetunion, das autoritär beherrschte Saudi-Arabien und das rassistische Regime Südafrikas.
„Grundgesetz der Menschen“
„Die Allgemeine Erklärung bot unserer Generation und denen, die ihr folgten, einen Weg aus dem Chaos“, lobt heute der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk. „Sie war nicht nur eine weitere Ideologie, sondern ein pragmatisches Instrumentarium für Länder und Einzelpersonen.“
Und Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, sagt über die Deklaration: „Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt der internationalen Ordnung und gibt ihm Rechte gegen den Staat.“ Andere Fachleute nennen die in rund 500 Sprachen übersetzte Erklärung das „Grundgesetz der Menschen“ oder sogar „Heilige Schrift“.
75, kein Anlass zum Feiern
75 Jahre nach der Verabschiedung des Dokuments besteht jedoch kein Anlass zum Feiern. Denn das Jubiläum fällt in eine Zeit, in der diktatorische Regime die Menschenrechte mit Füßen treten und Kriege mit Millionen Opfern toben. „Auf der ganzen Welt erleben wir ein Ausmaß an gewaltsamen Konflikten wie seit 1945 nicht mehr“, klagt Türk. „Heute lebt ein Viertel der Menschheit in Gebieten, die von Konflikten betroffen sind.“
Der Hochkommissar nennt die beiden großen Konflikte, die vor allem die Menschen in Europa aufwühlen, an erster Stelle: Russlands Überfall auf die Ukraine und den Terrorangriff der Hamas gegen Israel, der einen weiteren grauenhaften Nahostkrieg auslöste. Sowohl die Ukraine als auch der Nahe Osten sind Schauplatz massiver Verbrechen: Verschleppungen, Folter, Tötungen, Beschuss von Schulen und Krankenhäusern.
„Unvorstellbarer Horror“
Amnesty International listet weitere Länder auf, in denen schwerste Verletzungen der Menschenrechte zu beklagen sind: Im Sudan erlitten die Zivilisten „unvorstellbaren Horror“, erklärt die Menschenrechtsorganisation. In Afghanistan entrechten und unterdrücken die Taliban Frauen und Mädchen, in Myanmar führt das Militär einen gnadenlosen Feldzug gegen Oppositionelle oder Menschen, die als solche gebrandmarkt werden.
Andere Verbrechen wie Menschenhandel werden rund um den Globus verübt, auch in Deutschland. Kriminelle Netzwerke zwingen Menschen zur Prostitution, Bettelei oder zu Ladendiebstählen, oftmals sind Frauen und Kinder die Opfer. „Die Betroffenen haben kaum eine Chance, ihr Recht auf Selbstbestimmung oder ihren Anspruch auf Lohn durchzusetzen“, hält das Deutsche Institut für Menschenrechte fest.
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“
Tatsächlich wird bereits der erste der insgesamt 30 Artikel der Erklärung von vielen Regierungen ignoriert: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Die weiteren Artikel reichen vom Recht auf Leben und auf Staatsangehörigkeit über ein Verbot der Sklaverei und ein Recht auf Arbeit, auf Urlaub und auf Bildung bis hin zum Recht auf Religionsfreiheit. Zugleich hält Artikel 29 der Erklärung aber auch fest, dass jeder Mensch „Pflichten gegenüber der Gemeinschaft“ hat.
Insgesamt bildet die „Universal Declaration of Human Rights“ zwar ein umfassendes Programm der Menschenrechte. Sie ist aber rechtlich unverbindlich. Viele Staaten, zumal das Heimatland Roosevelts, die USA, wollten es lieber bei einer Deklaration belassen, die ihnen keine Pflichten aufbürdet. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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