Juden in Sorge
„Wir fühlen uns gerade ziemlich einsam“
Viele jüdische Menschen in Deutschland sorgen sich derzeit um Freunde oder Verwandte in Israel - zunehmend aber auch wegen antisemitischer Vorfälle hierzulande. Mancher fühlt sich von der Zivilgesellschaft alleingelassen. Solidarität sei zwar da - aber oft zu leise.
Von Eva Krafczyk Montag, 06.11.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 06.11.2023, 9:28 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Angriff der Hamas und anderer terroristischer Kämpfer auf Israel vor fast einem Monat hat nicht nur in Israel Schockwellen ausgelöst. Die Folgen sind auch in Deutschland zu spüren – in Klassenzimmern, auf Sportplätzen, auf den Straßen. Für jüdische Menschen in Deutschland bedeutet die Eskalation im Nahost-Konflikt nicht nur Angst um Freunde oder Angehörige in Israel – sie bedeutet zunehmend auch Sorge angesichts immer lauterer antisemitischer Rufe hierzulande.
„Wir fühlen uns gerade ziemlich einsam“, sagt Benjamin Graumann vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt. Das ist eine Äußerung, die in diesen Tagen sehr häufig in Gesprächen mit jüdischen Menschen zu hören ist. Dass deutsche Politikerinnen und Politiker die Solidarität mit Israel betonen, dass die Sicherheit des Landes auch eine Priorität Berliner Regierungspolitik ist – das ist das eine. Aber auf den Straßen auch in Hessen sind häufiger und lauter „Yallah Intifada“ und offen antisemitische Äußerungen zu hören als laute Verurteilungen des Hamas-Terrors.
„Es gibt nur eine Schule, die sich demonstrativ und deutlich an unsere Seite gestellt hat“, beschreibt Graumann die Lage in Frankfurt. An anderen Schulen könnten oder wollten die Lehrer nicht verstehen, wenn jüdische Eltern ihre Kinder freitags aus Angst vor Übergriffen nicht in die Schule schicken wollen. Die private jüdische Schule verzeichne gerade gehäuft Anfragen besorgter Eltern, die ihre Kinder lieber früher als später von einer öffentlichen auf die besonders geschützte jüdische Schule schicken wollen.
Beleidigungen und Drohungen „fast schon normal“
„Dass es Beleidigungen gibt, auch Drohungen – das ist für uns fast schon normal“, sagt Alon Meyer, Präsident des Sportverbands Makkabi. In Frankfurt spielen in den Kinder- und Jugendmannschaften mit dem Symbol eines stilisierten Davidsterns Sportler unterschiedlicher Religionen und ethnischer Herkunft.
Seit der Verschärfung des Konflikts im Nahen Osten wird im Spiel- und Trainingsbetrieb ganz besonders berücksichtigt, ob die Sicherheit der Sportlerinnen und Sportler gewährleistet ist. In Berlin musste bereits auf Trainingseinheiten und Spielbegegnungen verzichtet worden. In einem Fall sei der – muslimische – Trainer einer gegnerischen Mannschaft bedroht worden, weil er an der Begegnung mit dem Makkabi-Team festhalten wollte.
„Niederlage für unsere Gesellschaft“
„Ich empfinde das als absolute Niederlage für unsere Gesellschaft“, sagt Meyer über aus Sicherheitsgründen abgesagte Sportveranstaltungen. Er wünsche sich, dass die Zivilgesellschaft, die „anständige Mehrheit“ lauter auftrete, Solidarität bekunde angesichts der Grausamkeit der Angriffe vom 7. Oktober.
Die Bildungsstätte Anne Frank verzeichnet derzeit einen Ansturm von Anfragen von Lehrerinnen und Lehrern. „Uns erreichen tagtäglich zahlreiche Anfragen mit der Bitte um Unterstützung, Einordnung oder Beratung zu den aktuellen Ereignissen“, so eine Sprecherin.
Für einen halbwegs normalen Alltag
Beratung wird aber auch in den jüdischen Gemeinden für Mitglieder und Neuankömmlinge organisiert, etwa psychosoziale Angebote, um die Bilder und Informationen verarbeiten zu können. Auch in Frankfurt haben Menschen aus Israel Zuflucht bei Freunden und Verwandten gefunden. In Schule und Kindergarten wurden Plätze für die jüngsten der Neuankömmlinge bereitgestellt, damit sie möglichst schnell einen halbwegs normalen Alltag erfahren können.
„Wir haben work spaces organisiert, damit die Leute remote weiter arbeiten können“, sagt Graumann. In deutsch-israelischen Facebook-Gruppen suchen manche bereits nach Wohnungen.
„Es könnte das letzte Mal sein.“
Der Sport sei in dieser Lage für viele Kinder und Jugendliche eine Möglichkeit, Ängste und Sorgen für ein paar Stunden zu vergessen, erzählt Makkabi-Präsident Meyer. Doch auch auf dem Sportplatz sind Sorgen präsent, etwa um Praktikanten und Studenten aus Israel, die sich bei Makkabi engagiert haben und nun als Reservisten nach Israel zurückgekehrt sind.
Und auch die Eltern junger Sportler, die die Aliyah nach Israel gemacht haben, seien bereits nach Israel aufgebrochen, um ihre Kinder noch mal zu sehen, ehe sie zu ihrer Armeeeinheit müssten. Denn in dieser Situation wisse man nie: „Es könnte auch das letzte Mal sein.“ (dpa/mig) Aktuell Gesellschaft
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