Die Afro-Friseure von Paris

Schmelztiegel der Kulturen in Frankreichs Metropole

Nicht nur waschen, schneiden, legen, sondern Zöpfchen, glattrasierte Seiten, gegelte Locken: Die Szene der Afro-Friseursalons in der französischen Hauptstadt ist eine Welt für sich. Besucher tauchen ein in das multiethnische Paris von heute.

Von Dienstag, 10.10.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 02.10.2023, 16:58 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die meisten Pariser Afro-Friseure befinden sich im zehnten Arrondissement: Kleine Boutiquen mit Schönheitsprodukten, Zöpfen und Perücken reihen sich an Salons, vor denen auf dem Gehweg Schwarze Männer stehen, die Kundschaft anwerben. Die Konkurrenz ist groß. In den Salons werden auf engstem Raum aufwändige Zöpfchenfrisuren geflochten, Männer lassen sich Kurzhaarschnitte oder voluminöse Afromähnen verpassen, Rastalocken oder Zöpfchen. Die Friseurinnen und Friseure arbeiten oft auf Auftragsbasis und teilen den Verdienst mit dem Besitzer. Diese Szene war 2017 Gegenstand einer französischen Filmkomödie.

Louis-Philippe Gabo hat seinen Salon bewusst nicht im zehnten Arrondissement, sondern in einem Einkaufszentrum in der gutbürgerlichen Pariser Vorstadt Courbevoie eröffnet, etwa zehn Minuten von der Stadtgrenze entfernt. Der 42-jährige Franzose, dessen Eltern aus der Elfenbeinküste nach Frankreich eingewandert sind, mag die Gegend lieber.

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An diesem Spätsommertag sitzt die Mutter eines Schwarzen Jungen auf den dicken Kissen der Couch, während Friseur Tarik – er trägt eine Baseballkappe – ihrem Buben den derzeitigen Mode-Schnitt verpasst: oben lang mit Afrolocken, der untere Teil der Haarpracht wird kurz rasiert. Hier nennen sich alle beim Vornamen. „Ich mache alle Schnitte“, sagt der 26-jährige Tarik: „Afro, Kurzhaar, Stufenschnitt.“

Mandela, Ali und King an der Wand

Ein blasser junger Mann mit weißer Hautfarbe wartet auf einem schicken Sofa und wippt mit den Füßen zum Takt der Musik des algerischen Rappers Soolking. Ein anderer Kunde erhebt sich zufrieden vom Sessel: Seine schwarzen Haare glänzen mit einem modischen Kurzhaarschnitt. „Er hat dir zwölf Euro Trinkgeld gegeben“, lacht Boss Louis-Philippe an der Kasse: „Welch Talent!“, lobt er Friseur Mahmoud. Der 28-Jährige stammt aus dem Iran und hat dort sein Handwerk gelernt: „Wir arbeiten dort mit Naturgel und das verwende ich auch hier“, erzählt er.

„Die Einwohner hier haben uns sehr gut aufgenommen“, sagt Louis-Philippe Gabo, der den Barbershop im Dezember eröffnet hat: „Sie mögen die Stimmung und dass sich Menschen verschiedener sozialer Schichten und verschiedener Kulturen treffen.“ Er selbst ist Muslim. An den Wänden hängen Fotos von Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela und Boxer Muhammad Ali, vom US-Bürgerrechtler Martin Luther King und von Schauspieler Jean-Paul Belmondo. Die Fußballer Pele und Maradona und Hollywoodstar Marilyn Monroe sind auch dabei. Eine Galerie von „authentischen Helden“, erklärt Gabo.

Schwarze, Araber, Weiße

Von seinen Mitarbeitern erwarte er mehr als gutes Handwerk. Der Kontakt zum Kunden sei wichtig: „Schwarze, Araber, Weiße“ zusammenzubringen, das sei sein Projekt: „Das Zusammenleben liegt mir wirklich am Herzen“, sagt Gabo.

Vor wenigen Wochen hat er auch einen Salon für Damen eröffnet, in der gleichen Einkaufsmeile: in Weiß gehalten, mit einer grünen Pflanzenwand vor der Sitzecke und einem Hängesessel. Maroua aus Tunesien bringt als Empfangsdame zwei wartenden Frauen Kaffee, während sich ihre Töchter Zöpfchenfrisuren flechten lassen. Die neunjährige Mariem bekommt rosafarbene Braids (Zöpfe) eingeflochten:

Alles für alle

„Mal was anderes.“ Ihre Freundin Lina erhält eine originelle moderne Form der Mädchenzöpfe à la Pippi Langstrumpf: Die an der Kopfhaut geflochtenen Haare münden in zwei mittellange Zöpfe. Beide Mädchen sind weißhäutig, „kaukasisch“ sagen die Franzosen dazu.

Ihre Mütter, Lilia, 36, und Medra, 35, stammen aus Tunesien und aus Portugal. „Die Zöpfchenfrisuren sind in ihren Klassen derzeit die große Mode“, erzählt Lilia. Sie kommt mit ihrem Auto aus einem 20 Minuten entfernten Vorort nach Courbevoie. „Hier finde ich alle Arten von Frisuren, afro, kaukasisch, kann meine Nägel richten lassen oder eine Kosmetikbehandlung machen, hier gibt es alles für alle.“

Es braucht Geduld

Friseurin Osselina flicht einer Schwarzen Kundin die Zöpfe, geduldig arbeitet sie dünne künstliche Strähnen ein. „Keine Frisur ist schwer, aber es braucht Geduld, manchmal sehr viel Geduld“, sagt sie. Sana kümmert sich um die „kaukasischen“ Haare: Die 24-Jährige stammt von der Insel Mauritius, hat selbst dicke glatte schwarze Haare: „Glatte Haare machen mehr Arbeit, für Afrohaare braucht es auch mehr Kraft.“ Die Kundinnen sind so divers wie das Personal, aber alle seien „sehr freundlich“, sagen die jungen Frauen.

„Sehr interessant“ findet Migrationsforscherin Camille Schmoll die Zöpfchenmode: „Ein Element der Aufwertung“. Schmoll ist Kuratorin im Pariser Museum der Geschichte der Einwanderung, wo sich die im Juni eröffnete neue Dauerausstellung auch um den kulturellen Austausch zwischen den Migranten und der französischen Gesellschaft dreht, zum Beispiel in den Bereichen Musik und Kunst.

Eine neue Ästhetik

„Die Aufwertung einer kulturellen Praxis ist eine Bereicherung für die französische Gesellschaft, wenn sie nicht durch politische Erwägungen vergiftet wird“, sagt die Expertin: „Wie zum Beispiel bei islamischer Kleidung.“ Die Afromode bringe eine neue Ästhetik, und für Afrikanerinnen sei es auch eine wirtschaftliche und soziale Form der Integration, so die Forscherin.

Louis-Philippe Gabo ist in einem Pariser Vorort geboren und aufgewachsen, hat verschiedene Jobs gemacht, Immobilienhändler, Lagerist, Auslieferer, sogar Asbestsanierung: „Ich habe mich durchgeschlagen“, sagt er. Beim Kaffee auf der benachbarten Caféterrasse trifft er seinen Geschäftspartner, einen maghrebinischen Bäcker, der fünf Bäckereien hatte und nun mit seiner rumänischen Frau ein Restaurant eröffnet hat. Nebenbei investiert er in den Friseursalon: Multikulturelle Unternehmen in einem multikulturellen Frankreich. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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