Rückblick
Vier Jahre nach dem Halle-Anschlag – Was ist seitdem geschehen?
Vor vier Jahren hatte ein Neonazi versucht, in Halle eine Synagoge zu stürmen, um ein Blutbad anzurichten. Als ihm das nicht gelang, suchte er einen Döner-Imbiss auf und schoss dort auf Menschen. Was ist seitdem geschehen?
Montag, 09.10.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 08.10.2023, 15:57 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Vor vier Jahren hatte ein schwer bewaffneter Attentäter versucht, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in die Synagoge in Halle einzudringen. Als ihm das nicht gelang, erschoss er davor eine 40 Jahre alte Passantin und in einem nahen Döner-Imbiss einen 20 Jahre alten Gast. Auf seiner Flucht verletzte der Attentäter zahlreiche weitere Menschen, ehe er von der Polizei gefasst wurde. Der Mann wurde 2020 zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Danach begann eine umfangreiche Aufarbeitung, Neuerungen wurden auf den Weg gebracht, von der Landesverfassung über die Polizei bis zu Justiz und Schulen.
Die Defizite
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss hatte die Polizeiarbeit beim Anschlag untersucht und in seinem Abschlussbericht 2021 Defizite aufgezeigt. Es ging um fehlende Notrufkapazitäten, aber auch um Probleme bei der Weitergabe von Informationen. Als problematisch wurde eingeschätzt, dass es keine besondere Gefährdungseinschätzung gegeben habe. Die Polizei hätte sich über den Gottesdienst in der Synagoge mit vielen Teilnehmern informieren müssen.
Zudem stellte der Ausschuss Defizite im Umgang der Polizei mit den Überlebenden aus der Synagoge fest und schlussfolgerte, dass es einen strukturellen Verbesserungsbedarf gebe. Bei Befragungen im Ausschuss hatten Überlebende aus der Synagoge Polizisten als respektlos beschrieben. Beamte hätten keinerlei Verständnis für die Riten und Bräuche der Gläubigen aufgebracht, seien grob und unsensibel mit den traumatisierten Überlebenden umgegangen.
Die Landesverfassung
Als direkte Reaktion auf den Anschlag in Halle ergänzte Sachsen-Anhalts Landtag die Landesverfassung um den Artikel 37a. Er lautet: «Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen.» Der Landtag verabschiedete die Ergänzung am 28. Februar 2020.
Schutz jüdischer Einrichtungen
Vor der Jüdischen Synagoge in Halle sowie vor der Synagogengemeinde Magdeburg und der jüdischen Gemeinde in Dessau-Roßlau wurden mobile Wachen eingerichtet. Die Containerlösungen bieten den Polizisten vor Ort eine zusätzliche Arbeitsmöglichkeit, wie das Innenministerium mitteilte. «Darüber hinaus werden weitere mobile Wachen vor muslimischen Einrichtungen in Magdeburg und Halle (Saale) errichtet, die ebenfalls besseren Arbeitsbedingungen und einer erweiterten Ansprechbarkeit dienen sollen.»
Die Einrichtungen sollen zudem besser baulich und technisch geschützt werden. Ein entsprechender Vertrag zwischen dem Land und der Jüdischen Gemeinschaft trat am 1. Januar 2022 für zunächst fünf Jahre in Kraft. Er sorgt laut Innenministerium für langfristige Sicherheit für die Finanzierung der Sicherheitsmaßnahmen in Synagogen und Gemeindeeinrichtungen. Entsprechend aktueller Gefährdungsanalysen und Empfehlungen des Landeskriminalamts stellt das Land Geld bereit. Das waren in den Jahren 2020 bis 2022 insgesamt 6,5 Millionen Euro, für 2023 sind 1,3 Millionen Euro eingeplant.
Die Polizei
Sachsen-Anhalts Polizistinnen und Polizisten – ob noch in Ausbildung oder schon langjährig im Dienst – sollen ihre interkulturelle Kompetenz erhöhen. Sie sollen Verständnis für die Perspektive unterschiedlicher Weltanschauungen allgemein sowie von Opfern steigern. Dafür gibt es erste Workshops, weitere werden erarbeitet. Die Fortbildung funktioniert nach dem Prinzip «Polizeikräfte schulen Polizeikräfte». Zwei Ausbildungslehrgänge für die sogenannten Multiplikatoren sind beendet, ein dritter beginnt laut Innenministerium in diesem November. Die ersten Multiplikatoren haben ihre eigenen Kollegen in dreitägigen Workshops geschult. Es hat laut Ministerium 35 Workshops gegeben.
Eine verstärkte Sensibilisierung erfahren den Angaben zufolge auch die Anwärterinnen und Anwärter an der Fachhochschule Polizei Sachsen-Anhalt in Aschersleben.
Ein Polizeirabbiner für Sachsen-Anhalt
Als zweites Bundesland hat Sachsen-Anhalt einen Polizeirabbiner. Landesrabbiner Daniel Fabian hat diese Aufgabe übernommen. Seine Arbeit nahm er gemeinsam mit seinem Team am 1. September 2022 auf. Der Polizeirabbiner gestaltet Studium, Aus- und Fortbildung an der Fachhochschule Polizei. Ziel ist, das Wissen über das jüdische Leben in Deutschland und Sachsen-Anhalt in Studium, Aus- und Fortbildung zu vermitteln. Der Polizeirabbiner steht zudem Angehörigen der Landespolizei als Ansprechpartner zur Verfügung.
Opferhilfe und Schutz der Betroffenen
Anfang 2020 hat Sachsen-Anhalt eine Zentrale Anlaufstelle für die Opfer und deren Angehörige in Fällen von Terrorismus und anderen auf Straftaten beruhenden Großschadensereignissen eingerichtet. Die Anlaufstelle koordiniert und hilft den Betroffenen, im Hilfesystem zurecht zu kommen. Landesopferbeauftragte ist Gabriele Theren. Auf dem Weg ist aktuell die Einrichtung eines Opferhilfefonds. Der Landtag hatte entschieden, dass es eine Möglichkeit geben soll, Opfer von schweren Gewaltstraftaten und auch Anschlägen schnell und unbürokratisch zu unterstützen.
Die Justiz
Seit Ende 2022 gibt es einen Antisemitismusbeauftragten bei der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg. Er ist zentraler justizinterner Ansprechpartner für Fragen bei antisemitischen Straftaten, etwa zur Einordnung und Erfassung antijüdischer Aspekte eines Tatgeschehens. Er führt Fortbildungen auch für Strafverfolgungsbehörden durch, etwa zu Ursachen, Erscheinungsformen, Verfolgungsmöglichkeiten und zum sensiblen Umgang mit Betroffenen.
Zudem wurde und wird der Soziale Dienst der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt weiter personell verstärkt, um insbesondere die Bereiche Gerichtshilfe, Täter-Opfer-Ausgleich, Opferberatung und psychosoziale Prozessbegleitung zu stärken und zu erweitern, wie das Justizministerium erklärte.
Die Schulen
Das Bildungsministerium betont, dass nicht erst seit dem 9. Oktober 2019 der Antisemitismusprävention sowie der Darstellung jüdischen Lebens eine hohe Bedeutung zugemessen wird. Seit 2019 habe es aber eine Reihe von Neuerungen gegeben, etwa eine Überarbeitung zu den Vorgaben für die Beschäftigung mit dem Judentum in Vergangenheit und Gegenwart sowie mit Antisemitismus. Seit dem Schuljahr 2021/22 gibt es ein Pilotprojekt Jüdischer Religionsunterricht. Fortbildungen zu Inhalten und Formen des Antisemitismus werden für alle Lehrkräfte angeboten, so das Ministerium. Zudem eine Reihe von Anregungen, Hinweisen und Materialien zum Thema jüdisches Leben zur Verfügung. Aktuell Panorama
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