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Refugee Women’s Centre

Geflüchtete Frauen und Kinder benötigen geschützte Räume

Die Situation für Geflüchtete in Frankreich ist weiterhin erschütternd. Im nördlichen Teil des Landes verharren zahlreiche Schutzsuchende in der Hoffnung auf ein sicheres Leben. Unterstützung erfahren sie hierbei unter anderem vom „Refugee Women’s Centre“. MiGAZIN sprach mit einer der Projektkoordinator*innen. Sie beschreibt die Situation vor Ort und welche Personengruppen am meisten leiden.

Von Sonntag, 08.10.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 09.10.2023, 17:17 Uhr Lesedauer: 10 Minuten  |  

Seit 2019 engagiert sich Louise aktiv in der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Geflüchteten in Nordfrankreich Unterstützung bieten. Vor ihrer Anstellung beim „Refugee Women’s Centre“ (RWC) hat die 26-jährige Französin Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt auf NGOs (Master of Arts) studiert, was ihre praktischen Erfahrungen aus den vergangenen Jahren sinnvoll ergänzt.

Im Gespräch erklärt Louise über die Arbeit des RWC, die aufgrund verschärfter Gesetze und mangelnder staatlicher Unterstützung von Tag zu Tag schwieriger wird. Als Koordinatorin ist sie sich besonders der Bedeutung und Notwendigkeit bewusst, Frauen und Kinder durch die Arbeit des RWC zu unterstützen. Damit einher geht ihr Verständnis für die aktuelle Situation der Schutzsuchenden in Nordfrankreich und die EU- Grenzpolitik, die aus ihrer Sicht die Gefahren für Menschen auf der Flucht erhöht und bewusst in Kauf nimmt.

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Wie sieht das konkrete Hilfsangebot des Refugee Women’s Centre in Calais aussieht?

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Ich arbeite mit dem RWC, einer NGO, deren Arbeit auf drei Säulen aufbaut und sich für Frauen und ihre Familien auf der Flucht einsetzt:

Wir schaffen sichere Räume und organisieren Aktivitäten ausschließlich für Frauen. Diese Orte bieten Frauen und ihren Kindern die Möglichkeit zum Austausch miteinander. Hier erhalten sie Zugang zu lebenswichtigen Gütern und können spezielle Unterstützung in Anspruch nehmen, die ihnen sonst verwehrt bleibt. Diese grundlegenden Bedürfnisse werden in den akuten Notsituationen, in denen sie sich befinden, oft nicht erfüllt. In unseren Frauenzentren steht zudem eine Sozialarbeiterin zur Verfügung, die sich individuell um die Betreuung der Frauen kümmert.

Wir geben Zelte, Schlafsäcke sowie notwendige Kleidung an bedürftige Menschen aus. Dabei ist es unser Ziel, Frauen innerhalb des Möglichen die Möglichkeit zu geben, auszuwählen, was sie wirklich benötigen und wünschen. Wir setzen uns aktiv dafür ein, gezielt Sachspenden nach Bedarf anzufordern. Grundsätzlich lehnen wir individuelle Anfragen der Schutzsuchenden nach bestimmten Artikeln nicht ab. Wir sollten uns bewusst sein, dass die Frauen, mit denen wir täglich arbeiten, in ihrem Alltag nur begrenzte Entscheidungsfreiheit haben – sowohl während ihrer Flucht als auch danach.

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Refugee Women’s Centre, Annahme von Sachspenden © Judith Büthe

In den meisten Fällen bestimmen andere, seien es NGOs oder staatliche Stellen, darüber, was und wann sie essen, trinken, oder duschen dürfen – sogar die Entscheidung, wann sie in eines der seeuntauglichen Schlauchboote steigen, wird für sie getroffen. Daher möchten wir ihnen nicht auch noch die Kontrolle über Kleidung, Farben, Größen und die Art der benötigten Hygieneprodukte nehmen, also zumindest ein Minimum an Selbstbestimmung.

Wir unterstützen Frauen und ihre Familien bei bürokratischen Angelegenheiten und anderen Fragen im Zusammenhang mit ihrer Situation an der Grenze zwischen Frankreich und Großbritannien. Wir setzen uns für den Zugang zu Unterkünften für Geflüchtete und selbstverständlich für die Einhaltung anderer grundlegender Menschenrechte ein. Darüber ist es uns ein Anliegen, das Bewusstsein der Menschen da draußen für die Situation hier vor Ort zu schärfen. Daran arbeiten wir kontinuierlich.

Was motiviert dich persönlich zur Arbeit mit Geflüchteten in Calais?

Ich kam 2019 erstmals nach Calais, um mit Utopia 56 (NGO in Calais) zu arbeiten. Seitdem beobachte ich, wie die Situation kontinuierlich zuspitzt und für die Menschen, die Schutz suchen, verschlechtert. Für mich war es daher keine schwierige Entscheidung, wiederzukommen und aktiv zu werden. Die Arbeit im Team des Refugee Women’s Centre bereitet mir Freude und hat für mich einen klaren Sinn. Außerdem setze ich mich gemeinsam mit anderen dafür ein, die bestehende Situation in Calais öffentlich sichtbar zu machen.

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Provisorisches Notlager Geflüchteter in Dünkirchen © Judith Büthe

Wie lange arbeitest du bereits für das Refugee Women’s Centre?

Ich habe meine Arbeit im Refugee Women’s Centre im März 2023 begonnen. Mein Vertrag ist vorerst unbefristet, daher werde ich so lange hier arbeiten, bis ich zu müde bin, um weiterzumachen.

Bist du bereits erschöpft?

Nein, definitiv nicht! (lacht)

Wie beurteilst du die Entwicklung der Situation für Geflüchtete in Calais, speziell vor dem Hintergrund der Verschärfungen der EU-Grenzpolitik und der zunehmenden Abschottung?

Ich sehe eine zunehmende Militarisierung der Grenzpolitik, die direkte Auswirkungen auf Menschen hat, die eigentlich auf der Suche nach Schutz auf der Flucht sind. Sie werden bewusst immer stärkeren Repressionen und Gefahren ausgesetzt. Das Ergebnis dieser menschenfeindlichen Politik ist, dass immer mehr Menschen versuchen, Frankreich so schnell wie möglich zu verlassen und den Ärmelkanal nach Großbritannien zu überqueren. Dies geschieht trotz verstärkter Grenzkontrollen, einer erhöhten Präsenz der Strafverfolgungsbehörden. Menschen fliehen weiterhin, haben keine andere Wahl, als die gefährliche Fluchtroute mit dem Boot. Die Menschen gehen dadurch also ein noch größere Risiko ein als zuvor.

Mit welchen Herausforderungen werdet ihr in eurer Arbeit, insbesondere vor dem Hintergrund der EU-Abschottungspolitik und ihrer Auswirkungen auf Geflüchtete, konfrontiert?

Die Arbeit mit Frauen in dieser Situation stellt uns vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind wir an zwei Standorten tätig – in Grande-Synthe und Calais. In Calais gibt es beispielsweise nicht ausreichend Platz, um Frauen und ihre Familien über die offiziell behördlichen Stellen, unterzubringen. Nur wenige Privatpersonen und Organisationen stellen Unterkünfte für Frauen zur Verfügung, und auch diese sind überfüllt. Diese Situation hat erhebliche Auswirkungen auf alle schutzsuchende Frauen.

Als NGO sind wir zunehmend damit konfrontiert, Frauen in Calais mit Schlafsäcken und Zelten zu versorgen, was bedeutet, dass sie im Freien schlafen müssen. Wenn man die Bedingungen und provisorischen Lager kennt, in denen Geflüchtete in und um die Stadt ausharren, wird schnell klar, welch katastrophale Situation dies darstellt.

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Blick auf den Ärmelkanal © Judith Büthe

Auch in Grande-Synthe ist die Lage äußerst dramatisch. Die Behörden verweigern die Bereitstellung von Wasser und Nahrung. Die Menschen wissen nicht, wohin sie gehen sollen oder wie sie ihre Grundbedürfnisse decken können. Diese Situation ist unerträglich, insbesondere für Mütter, die Wasser unter anderem für die Zubereitung von Babynahrung, zum Duschen und für die tägliche Hygiene benötigen. Sie fühlen sich unsicher und hilflos. Hinzu kommen die Repressalien und der ständig wachsende Druck, der viele von ihnen schließlich dazu bringt, in die seeuntauglichen Boote nach Großbritannien zu steigen.

Was kannst du über die aktuellen Zahlen ankommender Frauen mit Kindern berichten? Gibt es Gründe für einen Anstieg der Zahl der Geflüchteten in Calais und wenn ja, welche?

Die Anzahl geflüchteter Menschen allgemein hängt unmittelbar von den aktuellen Geschehnissen in der Welt, dem Wetter und der Situation vor Ort in Calais ab. Die Überquerung des Ärmelkanals mit einem Boot erfordert natürlich günstige Wetterbedingungen, weshalb es im Sommer tatsächlich mehr Menschen gibt, die diesen gefährlichen Weg nach Großbritannien versuchen.

Derzeit gibt es auch viele sudanesische Geflüchtete in Calais, was auf den Krieg im Sudan zurückzuführen ist. Aufgrund einer bereits vorhandenen sudanesischen Community kommen sie hierher, an einen Ort, an dem sie bereits Menschen kennen.

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Schlafplätze Schutzsuchender am Rande eines provisorischen Camps bei Calais © Judith Büthe

Die Situation in Kurdistan, Eritrea und anderen Ländern hat ebenfalls direkte Auswirkungen auf die Situation an der Grenze in Calais.

Welche Verbesserungen oder Änderungen der EU-Grenzpolitik sind deiner Ansicht nach notwendig, um die Situation für Geflüchtete zu verbessern?

Meine Forderung: Öffnet die Grenzen! Die EU sollte die Grenzen öffnen und sichere Fluchtrouten schaffen. Außerdem ist es von entscheidender Bedeutung, insbesondere Frauen und Kindern sichere Unterkünfte und geschützte Räume zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus muss der Zugang zu sauberem Wasser für alle gewährleistet sein. Das sollte eine Selbstverständlichkeit für alle Menschen überall sein.

Kannst du von einer besonderen Erfahrung aus deiner Arbeit als Koordinatorin im Einsatz berichten? Gibt es eine bestimmte Situation, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Jeder Tag bringt einzigartige Erfahrungen und Herausforderung mit sich, aber ich kann zwei besondere Erfahrungen hervorheben, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind.

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Lagerhalle des Refugee Women’s Centre in Calais © Judith Büthe

Es gibt Tage, an denen wir besondere Aktivitäten anbieten und wunderschöne Momente mit den Frauen teilen, mit denen wir arbeiten. An einem dieser Tag haben wir gemeinsam Haarschmuck hergestellt. Es waren Gespräche abseits des Stresses und auf Augenhöhe. Während dieser Zeiten haben wir Lebenserfahrungen ausgetauscht, über unsere Studienzeiten an Universitäten in Kurdistan und Europa gesprochen. Das war ein besonderer Moment für mich.

Auf der anderen Seite gibt es Momente, die einen tiefen Eindruck hinterlassen haben.

Dies sind die Vorfälle von Gewalt, die seitens der Polizei gegen Geflüchtete im Allgemeinen, aber auch speziell gegen Frauen angewandt wurde und die ich mit ansehen musste. Ein solcher Vorfall ereignete sich zuletzt bei einer Räumung am 8. August: Ich sah, wie die Polizei eine Frau misshandelte, die ihr Baby im Arm hielt. Wir waren in unmittelbarer Nähe und konnten nichts tun.

Dann gibt es Berichte von kleinen Kindern, die uns erzählen, wie die Polizei Tränengas gegen sie eingesetzt hat. Sie wurden zuvor bei ihrem Versuch zu fliehen von ihnen an den Strand zurückgedrängt…

Was kannst du über die Hilfs- und Spendenbereitschaft der Bevölkerung sagen, wie wird eure Arbeit gesehen bzw. unterstützt?

Die Bereitschaft der Menschen zu spenden und unsere Arbeit zu unterstützen, variiert je nach Situation. Genauere Informationen darüber könnte meine Kollegin aus dem Fundraising-Team geben.

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Geflüchtete in Nordfrankreich © Judith Büthe

Was ich sagen kann, ist, dass wir immer auf Spenden angewiesen sind, da unsere Arbeit ohne diese nicht fortgesetzt werden könnte. Wir benötigen nahezu immer Sachspenden wie Zelte und Schlafsäcke. Außerdem benötigen wir spezielle Kleidung, die den Bedingungen im „Jungle“ gerecht werden: bequeme Kleidung in dunklen Farben, die auch zum Campen geeignet ist. Die Kleidung sollte vor Regen und Kälte schützen, schnell trocknen und locker sitzen. Viele der Frauen, mit denen wir arbeiten, bevorzugen keine figurbetonte Kleidung, daher achten wir besonders darauf bei der Sammlungen von Sachspenden.

Was die Kinderkleidung betrifft, ist es etwas einfacher, den Bedarf zu decken, aber deshalb nicht weniger wichtig. Allgemein zeigen Menschen wohl mehr Empathie und sind bereit, Sachspenden für Initiativen wie unsere bereitzustellen, die mit Kindern und Frauen in Notsituationen arbeiten.

Wie kann deiner Meinung nach die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die dramatische Situation in und um Calais verbessert werden? Welche Strategien sind deiner Meinung nach wichtig?

Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Situation in Calais halte ich für entscheidend. Dies kann durch Medienberichterstattung, persönliche Berichte von Menschen, die ihre Erfahrungen mit Freunden und in sozialen Netzwerken teilen, und durch Initiativen wie eure, die zu Spenden für das RWC aufrufen, erreicht werden. Es ist wichtig, die anhaltende Krise in Calais im Bewusstsein der Menschen zu halten und weiter darüber zu informieren.

Was möchtest du den Menschen, die darüber nachdenken, Freiwilligenarbeit in Calais zu leisten, mit auf den Weg geben?

Kommt und arbeitet mit uns. Das Refugee Women’s Centre benötigt dringend Freiwillige. Kommt nach Calais, ergreift die Möglichkeit und schließt euch uns an, um einen Beitrag zur Veränderung und ein Ende dieser Situation für die Menschen in Calais zu leisten. Bei uns kann man ab einer Mindestdauer von zwei Monaten mitmachen und sich engagieren. Wenn jemand Interesse hat, kontaktiert uns gerne per Mail oder schreibt uns über die Indigo-Plattform. Aktuell Interview Panorama

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