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Ausländerbehörde © Resident on Earth @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Ratlosigkeit und Ungläubigkeit

Geduldsprobe vor dem Amt – Ausländerbehörde am Limit

Sie kommen aus verschiedensten Ländern und haben doch eins gemeinsam: Die Menschen vor der Ausländerbehörde in Stuttgart stehen schon Stunden vor der Öffnung in der Schlange vor der Behörde. Es ist eine harte Geduldsprobe, denn für die viele der Wartenden drängt die Zeit.

Montag, 18.09.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.09.2023, 14:15 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Es ist sechs Uhr morgens in der Eberhardstraße in Stuttgart. Die Ausländerbehörde wird erst in mehr als zwei Stunden ihre Tore öffnen. Und trotzdem warten um diese Uhrzeit schon mehr als 50 Menschen vor dem Gebäude. „Ich stehe schon seit gestern Abend um 18.50 Uhr hier in der Schlange“, sagt Maksim, der einen russischen Pass hat und eigentlich anders heißt. Er sei hier, um eine Verpflichtungserklärung für seine Schwester abzugeben, die ebenfalls nach Deutschland kommen wolle. Nur wenn er sich verpflichte, notfalls für seiner Schwester in Deutschland entstehende Kosten aufzukommen, könne sie ein Visum beantragen. „Wenn man hier einen Termin bekommen will, sollte man vor zwei oder drei Uhr nachts kommen“, sagt er. Ansonsten habe man keine Chance.

Die Stimmung in der Schlange ist ruhig. Es wirkt, als hätten sich die Menschen mit der Situation abgefunden. Einige dämmern auf ihren mitgebrachten Campingstühlen vor sich hin, als gegen 6.30 Uhr der Tag anbricht. Maksim sagt, dass zwischen den Wartenden eine angenehme Atmosphäre herrsche. Man teile Essen miteinander und gebe sich gegenseitig Tipps, zu welcher Uhrzeit man am besten kommen müsse, um noch eine Chance auf einen Termin zu haben. Auch die Organisation des Wartens haben sie selbst übernommen: Auf einer Liste haben sie in der Nacht die Reihenfolge ihres Eintreffens festgehalten, um nicht stundenlang in einer Reihe stehen zu müssen. Maksim selbst hat es auf den zweiten Platz geschafft und sitzt nun ganz vorne in der Schlange auf einem Campingstuhl.

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Doch woher kommt das Chaos? Dass es bei der Ausländerbehörde Stuttgart Probleme gibt, ist seit Wochen bekannt – auch bei der Stadt. Stuttgarts Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) sagt, die Überlastung der Ausländerbehörde sei kein spezielles Stuttgarter Problem. Sehr viele Städte seien bundesweit in einer Notlage. Überall steige die Arbeitslast, gleichzeitig fehlten die Menschen, um die Aufgaben kompetent abzuarbeiten. „Wir sind uns der Belastungen für die Kundinnen und Kunden, aber auch unserer Mitarbeitenden sehr bewusst.“ Entlastung soll laut Stadt mehr Personal bringen. Bis zum Jahresende sollen demnach 17 vakante Stellen neu besetzt werden.

234 Versuche an einem Tag, die Behörde zu erreichen

Bis die Maßnahmen greifen, heißt es aber: weiter warten. Ähnlich weit vorne wie Maksim hat es Anna in die Schlange geschafft. Auch sie heißt eigentlich anders, will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Seit März versuche sie, ihr Anliegen bei der Behörde vorzubringen, sagt sie. Aber weder telefonisch noch per E-Mail habe sie die Ausländerbehörde bisher erreichen können. An einem Tag habe sie 234 Mal versucht, die Behörde zu erreichen – ohne Erfolg, wie sie auf ihrem Handy zeigt. Deshalb sei sie am Vortag schon um 19.30 Uhr vor die Behörde gekommen und habe – wie viele andere – auf einem Campingstuhl übernachtet. Sie hofft, dass sie unter denen sein wird, die kurz vor der Öffnung eine der begehrten Wartemarken bekommen. Denn nur wer eine Wartemarke hat, kommt in das Gebäude und kann sein Anliegen vorbringen. Für alle anderen heißt es: Noch mal kommen und noch mal warten. Vielen der Menschen vor der Behörde ist es in den Tagen zuvor schon so ergangen.

Etwas weiter hinten in der Schlange warten Laney und Lukas auf zwei Campingstühlen. Laney kommt aus den Vereinigten Staaten. Sie sagt, sie sei 2019 zu ihrem Freund Lukas nach Deutschland gezogen und müsse jetzt ihren Aufenthaltstitel verlängern. Die Situation überrasche die beiden vor allem deshalb, weil sie es an anderen Orten schon anders erlebt hätten. „Wir haben davor in Remseck gewohnt und das war kein Vergleich zu dem hier“, sagt Lukas. „Das ist der Wahnsinn“, fügt er hinzu. Laney sagt, sie sei zum vierten Mal hier und hoffe, es dieses Mal über die „Notfallschlange“ zu schaffen.

Nur zehn Karten für die Notfallschlange

In die Schlange für Notfälle dürfen sich laut Stadt diejenigen stellen, bei denen die Aufenthaltserlaubnis innerhalb von einer Woche abläuft. Soweit sei es bei ihr nun, sagt Laney. Eine Dienstreise habe sie extra verschoben, um noch einmal zur Ausländerbehörde kommen zu können. Ihr Fall zeigt eine weitere Seite des Problems: Viele derjenigen, die warten, sind bereits in Deutschland berufstätig und werden durch die Wartezeit daran gehindert. Einige fürchten aufgrund ihrer Abwesenheit um ihre Jobs. Anderen fehlen wichtige Papiere, um ihre Arbeitsstelle anzutreten.

Um kurz nach acht geht es dann los: Die Wartemarken werden verteilt. Dann entscheidet sich, für wen sich das Warten gelohnt hat und wer noch einmal kommen muss. Ausgegeben werden die Karten von Hanns Kuntz und seinen Kollegen. Sie arbeiten für eine Security-Firma, die sich um die Organisation vor der Ausländerbehörde kümmert. „Heute ist ein ausnehmend schlechter Tag“, sagt er. Nur zehn Karten für Notfälle und zehn Karten für den Service-Point könne er ausgeben. Mehr sei nicht drin. Dann beginnt der schwierige Teil ihrer Arbeit: Die Security-Mitarbeiter müssen den Wartenden sagen, dass sie heute umsonst gewartet haben und sie keine Chance mehr haben, an diesem Tag einen Termin zu bekommen.

Ratlosigkeit und Ungläubigkeit statt Wut und Ärger

Statt Wut und Ärger ist in den Gesichtern vieler Ratlosigkeit und Ungläubigkeit zu erkennen. Soll das Warten wirklich umsonst gewesen sein? Zu den Abgewiesenen gehört auch Laney – zu weit hinten war sie in der Schlange. Wie ihr geht es auch einer Frau aus Hong Kong, die Meggie genannt werden will. Sie erzählt, sie lebe seit zehn Jahren in Stuttgart. Als sie nach Abschluss ihres Studiums während der Pandemie ein Arbeitsvisum beantragen musste, habe sie dies online machen können. „Das hat besser funktioniert“, sagt sie. Jetzt sei das aber nicht mehr möglich. Für sie werden die Türen des Amts heute geschlossen bleiben – obwohl sie seit 2.30 Uhr vor der Behörde gewartet habe. Das Problem: Ihr Visum laufe am darauffolgenden Tag ab. Trotzdem wisse sie nicht, ob sie es direkt am nächsten Tag noch einmal versuchen werde. „Ich muss arbeiten.“

Für Maksim und Anna hat sich die Nacht in der Eberhardstraße ausgezahlt. Sie bekommen die begehrten Marken. Die Erleichterung ist ihnen anzusehen. Nach mehr als zwölf Stunden Wartezeit dürfen sie die Schwelle der Tür übertreten. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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