Weltsicht
Willkommen im „Zeitalter der Klimamigration” – Und nun?
Eine klimabedingte Flucht der Massen wird es nicht geben. Dennoch sollte man sich auf mehr Migration einstellen – nicht als Problem, sondern als Chance. Hier steht der Norden in der Pflicht – als Verursacher der Klimakrise.
Von Benjamin Schraven Mittwoch, 13.09.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 14.10.2023, 13:25 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Jüngst stellte die designierte neue Generaldirektorin der Internationalen Organisation für Migration (IOM) Amy Pope fest, dass die Welt nun im Zeitalter der Klimamigration angekommen sei und es nun dringend politischer Lösungen für den „Nexus“ zwischen Klimawandel und Migration bedürfe. Angesichts der immer spürbareren Auswirkungen des Klimawandels von Dürresommern in Deutschland über apokalyptische Waldbrände in Südeuropa und Kanada bis hin zu schweren Wirbelstürmen in Asien und Lateinamerika können die Herausforderungen der Klimakrise kaum mehr ignoriert werden.
Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass auch Migration zu den großen Themen unserer Zeit gehört. In Deutschland zeigt sich das aktuell – mal wieder – in den Debatten um Flüchtlingszahlen und Fachkräftezuwanderung oder im Integrationsdiskurs, der sich in diesem Sommer sehr um großstädtische Freibäder drehte. Aber wie hängen Klimawandel und Migration zusammen? Und welche politischen Lösungen bieten sich für die Herausforderung der „Klimamigration“ an?
Es gibt sie nach wie vor, nämlich die Erwartung, dass die Folgen des Klimawandels schon in naher Zukunft einen gigantischen Ansturm von zig Millionen sogenannter „Klimaflüchtlinge“ aus den Ländern und Regionen des globalen Südens in Richtung Europa oder Nordamerika auslösen werden. Die Erkenntnisse der Forschung zum Klima-Migrations-Nexus sprechen aber eher gegen ein solches Szenario.
Die Hauptleidtragenden der Klimakrise sind in erster Linie ärmere Bevölkerungsgruppen in Afrika, Asien oder Lateinamerika. Sie verfügen nicht über die notwendigen Mittel, um aus ihren Herkunftsländern etwa in Richtung Europa zu migrieren. Flucht und Migration im Kontext der Klimakrise spielt sich von daher zumeist innerhalb der betroffenen Länder oder zwischen Nachbarländern ab.
„Viele Menschen im globalen Süden haben gar nicht erst die Ressourcen, um überhaupt irgendwohin migrieren zu können.“
Generell und abseits des Faktors Klimawandel überwiegen Flucht- und Migrationsprozesse, bei denen die Betroffenen sich innerhalb im eigenen Herkunftsland oder -region bewegen. „Großflächige“ Migration zwischen Kontinenten ist, entgegen aller anderslautender Narrative, im Prinzip eher eine globale Ausnahme. Denn viele Menschen im globalen Süden haben gar nicht erst die Ressourcen, um überhaupt irgendwohin migrieren zu können. Diese zur Immobilität verurteilten Menschen – auch trapped populations genannt – dürfen wohl zu denjenigen gezählt werden, die am schlimmsten unter den Auswirkungen klimatischen Wandels zu leiden haben.
Grundsätzlich sind die Auswirkungen und Wechselwirkungen zwischen globaler Erwärmung und Prozessen von Flucht und Migration sehr komplex. Neben den Folgen der Klimaextreme wie Ernteverlusten, Gebäudeschäden oder der Vernichtung von Ackerflächen ist es oft eine Vielzahl von wirtschaftlichen, politischen oder kulturellen Faktoren, die mitentscheidend dafür sein können, ob jemand migriert bzw. migrieren muss oder nicht. Diese Faktoren reichen von akutem Jobmangel bis hin zu politischer Instabilität oder Konflikten. Von daher ist es in vielen Fällen gar nicht so leicht festzustellen, wann jemand tatsächlich „klimabedingt“ migriert oder nicht. Die Grenzen sind hier fließend.
„Mobilität ist im Kontext der Klimakrise nicht automatisch ein Problem oder gar eine Katastrophe.“
Allerdings ist Mobilität im Kontext der Klimakrise nicht automatisch ein Problem oder gar eine Katastrophe. Migration kann auch eine Form der Bewältigung oder gar der Klimaanpassung sein. Wenn Migrierende etwa Geld schicken, um Sturmschäden oder dürrebedingte Ernte- oder Viehverluste zu kompensieren, ist das natürlich positiv. Allerdings sind die rund um den Global anzutreffenden (oftmals sehr) harschen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Geflüchteten und Migrierenden ein Faktor, der diesem positiven Potential entgegenwirkt.
Bei den politischen Lösungen hinsichtlich der Herausforderungen der „Klimamigration“ kann es deshalb nicht nur um ein stures „Wir müssen Migration auf jeden Fall verhindern“ gehen. Natürlich gilt es – soweit dies möglich ist – Flucht und Verzweiflungsmigration im Zusammenhang mit Klimaextremen zu verhindern. Grundsätzlich kann das mit einer Verbesserung des Katastrophenschutzes oder der Förderung lokaler Anpassungsstrategien auch gelingen – z.B. durch den verstärkten Einsatz von trockenheitsresistenten Pflanzenarten in der Landwirtschaft in Dürregebieten oder dem Ausbau von flutbedrohten Städten zu „Schwammstädten“.
„Migration ist nicht zu verhindern und es werden in den nächsten Jahrzehnten weltweit viele Territorien verschwinden oder unbewohnbar werden.“
Nichtsdestotrotz ist Migration nicht zu verhindern und es werden in den nächsten Jahrzehnten weltweit viele Territorien verschwinden oder unbewohnbar werden. Hier muss es idealerweise eine kluge und umsichtige Planung von Umsiedlungsmaßnahmen geben, die Rücksicht nimmt auf die Rechte der Betroffenen und ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Einbußen und Verluste so gering wie möglich hält. Aber auch andere Maßnahmen einer aktiven Gestaltung von Migrationspolitik braucht es, wie etwa die Einführung weiterer Freizügigkeitsabkommen in verschiedenen Weltregionen, die mehr Mobilität ermöglichen, damit Menschen die Bewältigung der Folgen der Klimakrise grundsätzlich erleichtert wird – Stichwort: Migration als Bewältigungs- und Anpassungsstrategie. Zu guter Letzt bedarf es einer umfassenden Unterstützung sowohl für Migrierende, Geflüchtete und trapped populations als auch für die aufnehmenden Kommunen. Dies betrifft viele Themenfelder wie lokale Integration oder humanitäre Kapazitäten.
„Hier steht vor allem der globale Norden in der Pflicht, denn er hat die Klimakrise zum allergrößten Teil verschuldet.“
Es liegt auf der Hand, dass dies alles enormer Ressourcen bedarf. Hier steht vor allem der globale Norden in der Pflicht, denn er hat die Klimakrise zum allergrößten Teil verschuldet. Aber nicht nur aufgrund des Aspekts der Klimagerechtigkeit sollten die reichen Länder noch deutlich mehr in die skizzierten Maßnahmen investieren. Zwar ist, wie bereits erwähnt, der millionenfache „Ansturm“ der „Klimaflüchtlinge“ gen Europa eher unwahrscheinlich, dennoch haben die zunehmenden Klimaextreme und ihre Folgen durchaus das Potenzial, Länder und Regionen (weiter) zu destabilisieren. Und dies kann weder im Interesse Europas noch Nordamerikas liegen. Und politische Lösungen in Sachen „Klimamigration“ werden zunehmend auch innerhalb Europas bzw. des globalen Nordens notwendig, denn auch hier werden mittel- bis langfristig Territorien unbewohnbar werden.
„Weltweit bedarf es aber des Bewusstseins, dass Migration nicht nur Teil des Problems, sondern Teil der Lösung ist.“
Es gibt eine ganze Reihe an politischen Akteuren (z.B. die IOM) und politischer Initiativen und Foren (z.B. die Platform on Disaster Displacement), die sich dem Thema des Zusammenhangs zwischen Klimawandel und Migration annehmen. Lösungen werden heute und wohl auch zukünftig vor allem auf der Ebene der betroffenen Regionen und Länder gesucht, was aber in Anbetracht der Tatsache, dass sich die entsprechenden Migrations- und Fluchtbewegungen vorwiegend landesintern und innerhalb der Regionen abspielen, nicht der schlechteste Ansatz ist. Weltweit bedarf es aber des Bewusstseins, dass Migration nicht nur Teil des Problems, sondern Teil der Lösung ist.
MeinungDies ist der erste Beitrag der Kolumne „Weltsicht“. Diese Kolumne beleuchtet in globaler Perspektive und aus Sicht der Migrationsforschung die komplexen Zusammenhänge zwischen Klimakrise, Migration und anderer Megatrends. Zur Sprache kommen auch die daraus resultierenden politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Und das sind nicht gerade wenige. Es bleibt also spannend….
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