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Schreiben der Staatsanwaltschaft Erfurt zur Bezeichnung „Katalogfrau“

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„Katalogfrau“ kann auch „schöne Frau“ bedeuten

Daniel L. traut seinen Augen nicht, als er das Schreiben der Staatsanwaltschaft Erfurt liest: Die Bezeichnung seiner Ehefrau als „Katalogfrau“ könne er auch als „Kompliment“ auffassen. Doch der Reihe nach:

Von Dienstag, 12.09.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.09.2023, 9:13 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Daniel L. ist verheiratet mit einer Kambodschanerin. Die beiden leben im Ausland, weil sie nicht in Deutschland sein dürfen. Denn ausländische Ehegatten von deutschen Staatsbürgern müssen im Ausland erfolgreich einen Sprachtest ablegen, ehe sie ein Visum zum Familiennachzug erhalten. Daniel L. empfindet diese Regelung als ungerecht. Während Spanier, Franzosen, Brasilianer, Fachkräfte aus dem nichteuropäischen Ausland und zahlreiche weitere Gruppen ihre Partner ohne Sprachkenntnisse zu sich nach Deutschland holen können, müssen Ehegatten deutscher Staatsbürger erst einmal Deutsch lernen.

Daniel L. kritisiert diese Sprachregelung bei jeder Gelegenheit, so auch unter einem Post der Bundesregierung, in der es um geplante Lockerungen für Fachkräfte geht. Mit seiner Kritik steht Daniel L. nicht alleine da. Die Sprachtest-Regelung steht seit der Einführung im Jahr 2007 in der Kritik. Der Europäische Gerichtshof hat bereits mehrere gleichlautende Gesetze im europäischen Ausland für rechtswidrig erklärt. In Deutschland gelten sie bis heute. Die Bundesrepublik hat es durch juristische Taktiererei und Prozessmanagement geschafft, dass kein Fall aus Deutschland vor einem EU-Richter landet. Sobald es juristisch eng wird, werden Einzelfall-Visa erteilt und langjährige Verfahren für erledigt erklärt – auch „Berliner Erpressung“ genannt.

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Dass die Sprachtest-Regelung für viele Familien eine unbillige Härte bedeutet, hat auch die Ampel-Regierung erkannt. Im Koalitionsvertrag hat sie vereinbart: „Zum Ehepartner oder zur Ehepartnerin nachziehende Personen können den erforderlichen Sprachnachweis auch erst unverzüglich nach ihrer Ankunft erbringen.“ Bislang wurde das für Fachkräfte in Angriff genommen, jedoch nicht für deutsche Staatsbürger wie Daniel L. – er und seine Ehefrau müssen weiter warten.

„Katalogfrau“

In rechten Kreisen ist der Sprachtest vor der Einreise sehr beliebt. Er sorgt dafür, dass Ausländer an der Einreise nach Deutschland gehindert werden. Offiziellen Zahlen zufolge scheiterten im vergangenen Jahr mehr als 13.000 Personen am Deutschtest – etwa jede Dritte. Nach Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland, wurden zwar Ausnahmeregelungen für Härtefälle geschaffen, jedoch werden diese Ausnahmen in der Praxis durch das Auswärtige Amt kaum bzw. nur sehr restriktiv angewandt. Aus zahlreichen Fällen ist bekannt, dass Ehen an diesem Einreisehemmnis kaputtgehen. Auch deshalb hat sich Daniel L. dazu entschlossen, zu seiner Frau ins Ausland zu ziehen. Das ist aber auch eine Frage des Geldes, nur wenige können sich das leisten.

Zurück zu Facebook: Der Post von Daniel L. gefällt nicht jedem. Ein unbekannter Dritter kommentiert ihn wie folgt: „wenn deine Katalogfrau kein deutsch kann, hat sie auch keine Staatsbürgerschaft verdient“ [sic]. Daniel L. beachtet den Kommentar zunächst nicht sonderlich, entschließt sich später aber, eine Anzeige zu erstatten. Er macht sich keine Hoffnungen, dass der Verfasser belangt wird, stehenlassen will er ihn aber auch nicht.

Kompliment?

Was Daniel L. von der Staatsanwaltschaft Erfurt schriftlich, liegt dem MiGAZIN vor, vorgelegt bekommt, überrascht ihn nicht: Verfahren eingestellt. Die Begründung am Ende des zweiseitigen Schreibens raubt ihm aber den Atem: Es bleibe anzumerken, „dass durchaus sehr positive Assoziationen bezüglich dem Wort ‚Katalogfrau‘ existieren. Dies kann eine besonders schöne Frau umschreiben und mithin als Kompliment aufgenommen werden“.

Inzwischen ist der streitgegenständliche Post auf der Facebook-Seite der Bundesregierung zwar gelöscht, doch die Aussage des Staatsanwalts ist für Daniel L. noch weniger hinnehmbar. Er reicht Fachaufsichtsbeschwerde ein. Nach mehreren Monaten und nach einem Nachhaken reagiert der Oberstaatsanwalt:

Abwertend!

Entgegen den Ausführungen des Staatsanwalts dürfe „nicht in Zweifel stehen, dass der Begriff ‚Katalogfrau‘ grundsätzlich als ehrverletzend zu bewerten ist“, heißt es in seinem Schreiben, das dem MiGAZIN ebenfalls vorliegt. Als „Katalogehe“ würden „eindeutig abwertende Ehen zwischen Partnern aus wirtschaftlich unterschiedlich starken Ländern bezeichnet, die durch Anbahnung einer Heiratsvermittlungsagentur zustande gekommen sind, sodass auch dem Begriff ‚Katalogfrau‘ im Allgemeinen ein ehrverletzender Charakter innewohnt“, so der Oberstaatsanwalt. Eindeutig.

Das Ergebnis ändert sich durch die gegenteilige Auffassung aber nicht. Das Verfahren bleibt eingestellt. Leitartikel Panorama

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