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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Söder rührt Aiwangers braune Soße

Hier ein Maß, da ein Maß - Alkohol tötet Hirnzellen, zwar wenig, aber es läppert sich. Die einen hören dann Dinge, die sonst niemand hört – Entschuldigung –, die anderen werden vergesslich.

Von Montag, 04.09.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.09.2023, 8:38 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Wenn mein Bruder in meiner Jugend einen verkommenen Nazidreck als Flugblatt verfasst und verteilt hätte, ich wüsste heute noch sehr genau, ob ich es bejubelt und mitverteilt hätte oder dessen Verbreitung hätte stoppen wollen, wüsste, ob es mich angeekelt hat oder nicht. Und da es Aiwanger ja nicht schaden würde, zuzugeben, dass er die Verbreitung verhindern wollte – wenn dies der Wahrheit entspräche – können wir als gegeben annehmen, dass er es mindestens verteilt hat: Sowohl zuzugeben, dass er zwar nicht Urheber aber Komplize war, als auch zu behaupten, er habe es eingesammelt um unweigerlich später widerlegt zu werden, würden Aiwanger politisch vernichten. Wobei dabei natürlich vorausgesetzt ist, dass die Freien Wähler nicht in Wirklichkeit durch und durch allertiefster Nazisumpf sind, in denen das Vergasen von Vaterlandsverrätern auf hohe Zustimmung trifft, wodurch ein Abstreiten als Abkehr von den eigenen Werten wahrgenommen würde. Aus der Entfernung kann ich das nur schwer bewerten.

Ergo: Aiwanger war an der Verteilung des Flugblatts mindestens beteiligt, war Komplize, Mitwisser, Mittäter – wenn man denn bereit ist, zu glauben, dass sich der FW-Chef damals heldenhaft vor seinen Bruder gestellt hat und nicht etwa, dass heute ebenjener genau dies für seinen Bruder tut, wo der heute doch so viel mehr zu verlieren hat.

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„Eine Entschuldigung ist es allerdings nicht, auch wenn Söder am Sonntag eine glaubwürdige Entschuldigung bei Aiwanger gesehen haben will.“

Wenn er mittlerweile erklärt, dass er in seiner Jugend das „ein oder andere“ gesagt und getan habe, dass man „so oder so“ interpretieren könne, klingt das auch bereits wie ein Geständnis, mit Abstreiten hat eine solche Aussage jedenfalls nichts mehr zu tun. Eine Entschuldigung ist es allerdings nicht, auch wenn Söder am Sonntag eine glaubwürdige Entschuldigung bei Aiwanger gesehen haben will. Der Wille macht wohl hier den Unterschied, diese Entschuldigung hat jedenfalls außer ihm kaum jemand gehört. Und dann ist da ja auch noch jene Wirrdenker-Demo vor einigen Wochen, als Hubert Aiwanger vor einer johlenden Meute, denen selbst Markus Söder zu links und woke war, im besten Nazisprech forderte, „uns“ (also jener rechten Meute) die „Demokratie zurück[ zu ]holen“, die auch nicht unbedingt für eine lupenrein demokratische Gesinnung spricht.

Es braucht daher keinen linksgrünversifften Zeitungshetzer, um schon aus diesen Anekdoten ein ungesund rechtes, antisemitisches Weltbild abzuleiten (auch wenn es hilft) – schon um meiner eigenen geistigen Gesundheit Willen, will ich auch gar nicht noch tiefer in die Gedankenwelt eines Hubert Aiwanger eindringen, mir den geistigen Dünnschiss, den er in deutschlandweit ausgestrahlten sogenannten politischen Talkshows absondert, geben oder gar anhören, was der Mann von sich gibt, wenn er glaubt, dass man gerade unter sich sei. Das braucht es auch bei der AfD nicht, um zu wissen, wes Geistes Kind sie ist und es ist mir schon widerlich genug, wenn Auszüge aus solchen Runden über Polizisten bekannt werden.

Dass Hubert Aiwanger also, wie er es mittlerweile dann noch behauptet hat, mit dem 18ten Geburtstag, seit dem „Erwachsenenalter“ jedenfalls, eine 180-Grad-Wende hingelegt habe und seitdem ein Menschenfreund sei, kein Extremist mehr, ist nicht bloß wie bei jeder anderen Person unglaubwürdig, es kann auch das Gegenteil als erwiesen angenommen werden. Die Darstellung des in feinstem Nazi-Jargon verfassten Pamphlets als „Jugendstreich“, wie dies insbesondere bei den Freien Wählern so sehen will, ist ebenso an den Haaren herbeigezogen – wenn, ja, wenn man nicht gleichzeitig auch von den lustigen Lausbubenstreichen eines österreichischen Malers spricht, der frisch abgelehnt von der Malerschule im Münchner Hofbräuhaus eine Clique von Gleichdenkenden um sich scharrte.

„Hegemonialer Rechtsextremismus ist kein ostdeutsches Problem, sondern mindestens auch ein bayrisches. Aiwanger und Söder vollziehen die Erinnerungspolitische Wende um 180°, von der die AfD nur träumen kann.“

Vor allem aber ist es die doppelte „non-pology“ (also „Nicht-Entschuldigung“) die am Donnerstag geäußert wurde, jenes „Ich entschuldige mich dafür, wenn sich jemand verletzt gefühlt haben sollte durch das, von dem ich weiterhin behaupte, es nicht getan zu habe.“ anstelle eines „Ich bitte um Entschuldigung für das, was ich getan habe“ – welches dann am nächsten Tag im Wahlkampf bereits schon wieder völlig vergessen und durch die Selbststilisierung als Opfer einer Kampagne der Grünen ersetzt wurde – die eine Distanzierung von den Inhalten des Flugblatts und dem weiteren Gehabe während seiner Schulzeit unglaubwürdig erscheinen lässt.

Sollte Markus Söder es also ernst gemeint haben, dass Aiwanger nicht haltbar sei, wenn auch nur ein kleines Bisschen mehr herauskomme, als der bloße Fakt, dass ein fremdes Flugblatt auf völlig unschuldigem Wege in seinem Schulranzen gelangt war, dann wäre diese Schwelle spätestens mit Aiwangers erster Wortmeldung seit der SZ-Geschichte bereits erreicht gewesen. Aiwanger hätte zwingend gehen müssen, doch Söder bewertet die Nibelungentreue zu seinem nützlichen Idioten offensichtlich als das höhere Gut, als seine eigene Glaubwürdigkeit in der Abgrenzung von Rechtsaußen und Antisemitismus, die ihm – trotz alles rechtspopulistischen Gewäschs und fehlender Haltung in überhaupt irgendeiner Sachfrage – bisher noch halbwegs glaubwürdig abzunehmen war.

Andererseits trinkt so ein waschechter Bayer ja auch zu Frühstück, Brotzeit, Mittagessen, Abendessen und jeder sich noch sie bietenden günstigen Gelegenheit seine 2-3 Maß Weißbier, und zum Feierabend gern auch ein paar mehr – da überrascht all das dann doch wenig: Alkohol ist ein Nervengift, bei dem es keine „gesunde Dosis“ gibt. Alkohol tötet in jeder Menge Hirnzellen – und selbst wenn deren Zahl grundsätzlich eher gering ist, es läppert sich halt. Da darf man sich nicht wundern, wenn passiert, was die letzte Woche über in der bayrischen Staatskanzlei passiert ist.

Wer derweil in Deutschland gelangweilt vor dem Bildschirm hockt und sich fragt, warum wir uns überhaupt mit dieser Provinzposse der nordalpinen Schluchtenscheißer befassen sollten, kann in gerade dieser Posse noch einmal durchbuchstabiert bekommen, warum die AfD eigentlich derzeit so erfolgreich ist. Wir alle können uns am Fall Aiwanger des fruchtbaren Bodens vergewissern, auf den widerlichster Antisemitismus in diesem Lande fällt, wie er bagatellisiert wird und nicht wenigen bayrischen Wählern kaum mehr als ein Schulterzucken entlockt: hegemonialer Rechtsextremismus ist kein ostdeutsches Problem, sondern mindestens auch ein bayrisches. Aiwanger und Söder vollziehen die Erinnerungspolitische Wende um 180°, von der die AfD nur träumen kann, und allem Anschein nach folgt der bayrische Wähler ihnen treudoof in diesen Abgrund. Denn was ist schlimmer, als Menschen zu vergasen oder durch einen Genickschuss zu exekutieren? Die Grünen! *Seehofer.gif*

So wie die AfD mit ihren immer wieder neuen Grenzüberschritten den Raum des Sagbaren immer weiter ausdehnt, wird sich das stückweise Zugeben nicht mehr zu leugnender Fakten und Abstreiten aller anderen für Hubert Aiwanger also tatsächlich ausgezahlt haben: Schon das eine Schande für eine Demokratie. Diese zur Taktik hochgejazzte Salami kann nur einem Mann durchgehen, der sein Amt hauptsächlich mit vom Steuerzahler finanzierten Instagram-Stories unter dem Hashtag #söderisst füllt. Meinung

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