Flugblatt-Skandal

Vorwürfe von Ex-Mitschüler: Aiwanger soll Hitlergruß gezeigt haben

Die Aufarbeitung der Flugblatt-Affäre überlagert den bayerischen Landtagswahlkampf. Nun hat Markus Söder den Ball erst einmal wieder zu seinem Vize Hubert Aiwanger gespielt. Und es gibt neue Vorwürfe.

Mittwoch, 30.08.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 30.08.2023, 15:39 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat seinen Vize Hubert Aiwanger aufgefordert, sämtliche – auch neue – Vorwürfe betreffend dessen Schulzeit nun schnell und umfassend zu beantworten. „Alle Fragen müssen zweifelsfrei geklärt werden. Da darf kein Verdacht übrig bleiben“, sagte Söder am Mittwoch am Rande eines Termins im oberbayerischen Beilngries. Das gelte für Fragen, die es seit dem Wochenende gebe, und auch für neue Vorwürfe, die nun bekannt geworden seien, erklärte der CSU-Vorsitzende. Die 25 Fragen, die man an Aiwanger übermittelt habe, umfassten auch diese neuen Vorwürfe. Aiwanger soll den Fragenkatalog nun zeitnah schriftlich beantworten.

Söder reagierte damit auf Vorhaltungen eines ehemaligen Mitschülers Aiwangers, über die das ARD-Magazin „Report München“ berichtet hatte: Aiwanger soll beim Betreten des schon besetzten Klassenzimmers früher ab und zu „einen Hitlergruß gezeigt“ haben, wie der Mitschüler dem Magazin sagte, demnach ein Mitschüler von der 7. bis 9. Klasse. Zudem habe Aiwanger „sehr oft diese Hitler-Ansprachen nachgemacht in diesem Hitler-Slang“. Auch judenfeindliche Witze seien „definitiv gefallen“. Welche „starke Gesinnung“ dahinter gesteckt habe, könne man nur schwer sagen, „keine Ahnung“. Der Mitschüler wurde mit Namen gezeigt.

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Aiwanger schweigt zu neuen Vorwürfen

Aiwanger selbst reagierte am Mittwoch auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur dazu zunächst nicht. Und auch die Sprecher der Freien Wähler sowie des Wirtschaftsministeriums sagten zunächst nichts.

Auf Aiwangers Profil auf X (ehemals Twitter) gab es indes erstmals seit Tagen einen neuen Eintrag: „#Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los. #Aiwanger“, stand dort am Mittwoch zu lesen. In aller Regel verfasst der Freie-Wähler-Chef sämtliche Posts selbst. Ob das auch diesmal der Fall war, dafür gab es zunächst keine Bestätigung.

Kanzler Scholz fordert umfassende Aufklärung

Der Parlamentarische Geschäftsführer Fabian Mehring sagte am Mittwoch: „Die Schmutzkampagne gegen Aiwanger kann auch nach hinten losgehen.“ Jeder, der mit Aiwanger seit vielen Jahren eng zusammenarbeite, wisse, wie absurd es sei, ihn als Antisemiten darzustellen. „Wenn manche jetzt die Wahl am 8. Oktober zu einer Abstimmung darüber machen wollen, ob man in Bayern nach 35 Jahren für die Verfehlungen seines Bruders entlassen werden sollte, sehen wir Freie Wähler dem Wahltag gelassen entgegen“, fügte Mehring hinzu.

Die Spitzen der Berliner Ampel-Koalition forderten umfassende Aufklärung und mögliche Konsequenzen für Aiwanger. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte bei der Kabinettsklausur in Meseberg bei Berlin: „Alles das, was bisher bekannt geworden ist, ist sehr bedrückend. Und deshalb ist für mich sehr klar, dass alles aufgeklärt werden muss.“ Wenn das geschehen sei und nichts „vertuscht“ werde, müssten notwendige Konsequenzen daraus gezogen werden.

Habeck und Lindner reichen bisherige Erklärungen nicht

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte dort, er finde Aiwangers Umgang mit den Berichten unaufrichtig. Er habe jüngst in verschiedenen Reden „offensichtlich“ eine Sprache des „rechten Populismus“ benutzt. Es sei eine Frage an Söder, ob er mit einem Kollegen, der so agiere, weiter zusammenarbeiten wolle. „Ich finde es schwer vorstellbar.“

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte: „Der Umgang und die Aufklärungsbereitschaft sind in meinen Augen bislang nicht glaubwürdig.“ Es müsse dringend Klarheit geschaffen werden mit den dann gegebenenfalls notwendigen Konsequenzen, die Aiwanger selbst oder Söder ziehen müsse.

Aiwanger weist Vorwürfe zurück

Der Ministerpräsident betonte, Aiwanger habe nun die Gelegenheit, sich zu äußern, und zwar „vernünftig, fair, und aber auch umfassend“. „Dazu sollen wir eine zeitnahe und maximal transparente Antwort auch erhalten, so dass wir dann auch eine glaubwürdige Diskussion darüber führen können, wie wir das bewerten“, betonte Söder. „Wir hoffen sehr, dass das am Ende endlich gelingen kann, diese Sachen zweifelsfrei zu klären. Denn eines ist klar: Solche Vorwürfe dürfen nicht weiter im Raum stehen.“

Aiwanger (52) hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien „ein oder wenige Exemplare“ in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Freie Wähler hinter Aiwanger

Aiwangers Aussagen im Koalitionsausschuss am Dienstag reichten für eine abschließende Klärung „definitiv nicht aus“, hatte Söder im Anschluss gesagt. Es dürften „keine Restzweifel“ bleiben. Er machte aber auch deutlich, dass er mindestens vorerst an Aiwanger festhält: „Bis zur abschließenden Klärung, solange kein neuer Beweis vorliegt oder bisher Gesagtes komplett widerlegt werden kann, wäre eine Entlassung aus dem Amt eines Staatsministers ein Übermaß.“ Er fügte hinzu: „Das heißt, es darf jetzt auch nichts mehr dazukommen.“

Dem ARD-Magazin „Report München“ hatten die Freien Wähler auf Anfrage zu den Vorwürfen des Mitschülers mitgeteilt: „Der Landesverband der Freien Wähler Bayern, der Vorstand der Freien Wähler Landtagsfraktion sowie alle Kabinettsmitglieder der Freien Wähler stehen geschlossen hinter Hubert Aiwanger.“ Und weiter: „Sie wehren sich gegen alle Diffamierungsversuche und Spekulationen zur Person Hubert Aiwanger.“ Der gesamte Landesvorstand der Freien Wähler Bayern wolle eine „bürgerliche Koalition“ mit der CSU in Bayern fortsetzen. „Dies ist nur gemeinsam mit Hubert Aiwanger möglich.“ Auf die Schilderungen des Mitschülers ging die Stellungnahme den Angaben zufolge nicht ein.

Türkische Gemeinde will Zusammenarbeit mit Aiwanger einstellen

Die Türkische Gemeinde in Bayern will nach den Vorwürfen die Zusammenarbeit mit dem Freie-Wähler-Chef einstellen. Der Verein habe am Mittwoch beschlossen, nicht mehr mit Aiwanger zusammenzuarbeiten, solange die Vorwürfe unter anderem im Zusammenhang mit einem antisemitischen Flugblatt aus Schulzeiten «nicht vollständig ausgeräumt sind und er sich transparent und vollständig zu seiner Vergangenheit äußert», sagte der Vorsitzende Vural Ünlü in München. «Die vorliegende Beweislage erscheint derart überwältigend, dass eine Umkehrung der Beweislast für Herrn Aiwanger unausweichlich wird.»

Ünlü forderte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf, «sich klar zur „Brandmauer“ gegenüber rechtsextremen Strömungen zu bekennen und stärkeren Druck für eine umfassende Aufklärung auszuüben». Die Türkische Gemeinde in Bayern ist nach eigenen Angaben eine der ältesten Interessensvertretungen türkischstämmiger Migranten im Freistaat. (dpa/mig) Aktuell Politik

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