Abschiebung ohne Straftat
Ministerium will „Clan“-Angehörige in Sippenhaft nehmen
Das Bundesinnenministerium will „Clan“-Angehörige künftig schneller abschieben, auch wenn sie keine schweren Straftaten begangen haben. Unionspolitiker sind skeptisch, die Grünen äußern deutliche Kritik. Die Linke hat einen Seehofer-Verdacht.
Dienstag, 08.08.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.08.2023, 10:49 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Das Bundesinnenministerium hat einen Vorschlag gemacht, wie Angehörige krimineller „Clans“ oder anderer Gruppierungen der Organisierten Kriminalität in Zukunft leichter abgeschoben werden könnten. Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Maximilian Kall, betonte am Montag in Berlin, einen konkreten Gesetzentwurf gebe es noch nicht. Der Vorschlag sei vielmehr Teil eines „Diskussionspapiers“, zu dem es einen „laufenden Abstimmungsprozess mit den Ländern und Kommunen“ gebe.
Nach Angaben des Sprechers, wäre – sollte der Vorschlag umgesetzt werden – für eine erleichterte Abschiebung nicht mehr zwingend eine Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung notwendig. Vielmehr wäre es dann so, „dass eine Ausweisung möglich sein soll, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass jemand Teil einer kriminellen Vereinigung war oder ist“. Mit Blick auf kriminelle „Clans“ sagte er, dass bei jedem einzelnen Familienmitglied, das entsprechend der neuen Regelung abgeschoben würde, ein Bezug zu kriminellen Aktivitäten vorhanden sein müsste. Er betonte: „Eine Familienzugehörigkeit ist keine kriminelle Aktivität“.
Zitiervorschlag mit „Parallelgesellschaft“ für das Boulevard
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums teilte auf Anfrage mit, die vorgeschlagene Regelung entspreche dem Wunsch einiger Länder und kommunaler Spitzenverbände. Einschränkend sagte sie: „Ob eine solche Regelung indes verhältnismäßig ist und das Regelungsziel ohne ungewollte Nebenfolgen erreicht werden kann, soll nun noch einmal eingehend mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden erörtert werden.“
Wie aus einem „Zitiervorschlag“ aus dem Presse-Referat des Bundesinnenministeriums an das Boulevardblatt „Bild“ hervorgeht, will Ministerin Faeser mit dem Vorschlag „kriminellen Clans ihre Grenzen aufzeigen“. Weitere Stichwörter aus dem Papier sind: „Kriminelle Parallelgesellschaften“, „ausländische Konflikte […] auf unseren Straßen“, „Gewaltexzesse von Clans“.
Wie will man sich jetzt noch über Ungarn oder Trump erheben? Ein Bundesinnenministerium im Zustand der äußersten Verrohung. pic.twitter.com/WoROGCEvLR
— Patrick Bahners (@PBahners) August 7, 2023
Linke-Politiker hat einen Verdacht
Linke-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger äußert im Kurznachrichtendienst „X“ (ehem. Twitter) einen Verdacht: „Es verfestigt sich der Eindruck, dass Faesers Politik im Wesentlichen von ehemaligen Beamten Seehofers bestimmt wird. Entweder ist sie zu schwach für eine eigene Agenda oder sie steht zu 100 % hinter dieser Politik. Beides führt zu einer weiteren Verschiebung nach rechts.“
Bei Treffen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit Vertretern von Ländern und Kommunen im Frühjahr hatte es neben Vereinbarungen für einen besseren Datenaustausch zu Flüchtlingen und Asylbewerbern auch Forderungen nach mehr Unterstützung vom Bund bei der Vorbereitung von Abschiebungen gegeben. Für Abschiebungen von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern sind die Bundesländer verantwortlich.
Union äußert juristische Bedenken
Der Bund leistet aber auch jetzt schon Unterstützung, etwa durch die Begleitung von Abschiebungen durch die Bundespolizei. Im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern werden Informationen ausgetauscht, um Abschiebungen sogenannter Gefährder voranzutreiben. Dabei handelt es sich um Menschen, denen die Polizei schwere Gewalttaten bis hin zu Terroranschlägen zutraut.
Juristische Bedenken gegen den nun veröffentlichten Vorschlag äußerte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz. „Was Frau Faeser hier macht, sieht stark nach Wahlkampf aus und grenzt an Wählertäuschung“, sagte die CSU-Politikerin. „Es ist höchst fraglich, ob ihr Vorschlag tatsächlich die Abschiebung von Clan-Mitgliedern erleichtert.“ Denn bei weitem nicht jeder „Clan“, in dem Mitglieder kriminell seien, sei im juristischen Sinne eine kriminelle Vereinigung.
Berliner Senatorin zurückhaltend
Auch CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor sieht in dem Vorschlag „nur eine Ankündigung für den Hessen-Wahlkampf“. In konkreter Substanz werde davon wenig übrigbleiben, sagte er dem Fernsehsender „Welt“. Ähnlich äußerte sich Nordrhein-Westfalens CDU-Innenminister Herbert Reul: „Würde die Bundesinnenministerin echte Fortschritte erzielen wollen, würde sie ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren in Gang bringen, statt Ideensammlungen auf einer Homepage zu veröffentlichen“, sagte er dem Boulevardblatt „Bild“.
Zurückhalten bewertet wird Faesers Vorschlag auch von Berlins Innensenatorin. Die bloße Zugehörigkeit zu einer Familie könne kein Entscheidungskriterium sein, teilte eine Sprecherin von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) mit. „Es muss in einem Rechtsstaat stets um das individuell zurechenbare Verhalten gehen.“
Grüne gegen Faeser-Vorschlag
Gegenwind bekommt Faesers Vorschlag auch aus der Koalition. Für die Grünen kommt eine entsprechende Regelung nicht infrage, wie ihre Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic deutlich machte. „Dabei ist klar, dass außerhalb des Rechtsstaats stehende Regelungen für uns Grüne niemals zur Debatte stehen. Das gilt auch für Maßnahmen, die nicht strafrechtlich verurteilte Verwandte von Kriminellen genauso behandeln wie Kriminelle“, sagte Mihalic, die selbst Innenexpertin ist, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Faeser hatte sich nach Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Innenministern der Länder offen gezeigt für Gesetzesänderungen, die zu einer besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht führen. In diesem Zusammenhang steht auch ein weiterer Vorschlag aus ihrem Ministerium, der in den vergangenen Tagen für Diskussionsstoff gesorgt hatte. Dabei geht es um eine mögliche Verlängerung des Ausreisegewahrsams. Derzeit ist der Ausreisegewahrsam bis zu zehn Tage lang möglich, Faeser schlägt eine Erweiterung auf bis zu 28 Tage vor. Damit sollen die Behörden mehr Zeit bekommen, um eine Abschiebung vorzubereiten. (dpa/epd/mig) Leitartikel Politik
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