Klage über viele Hürden
Zahl ausländischer Beschäftigter wächst
Vom Azubi bis zur Ingenieurin: Bei der Suche nach Fachkräften buhlen sächsische Unternehmen immer öfter um Menschen mit ausländischem Pass. So ist ihr Anteil in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Doch der Neustart in Deutschland hat viele Hürden.
Von Andreas Hummel Donnerstag, 15.06.2023, 21:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 15.06.2023, 17:43 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Lehre zum Mechatroniker hat Zakaria Raffali aus Marokko nach Sachsen verschlagen. Der 24-Jährige schwärmt von der guten Ausbildung und den Arbeitsbedingungen. Mit seinem Schichtleiter Karsten Viehweger überprüft er an diesem Vormittag Schrauben an einer Filteranlage. Die Kommunikation sei kein Problem, erzählt Viehweger – bei Bedarf werde auch mal auf Englisch oder eine Übersetzer-App zurückgegriffen. Ihr Unternehmen, der Autozulieferer Linamar, beschäftigt an seinen sächsischen Standorten in Crimmitschau und Reinsdorf Menschen aus mehr als 20 Nationen. Damit ist es längst nicht allein im Freistaat.
Das Miteinander in der Belegschaft funktioniere sehr gut, berichtet Werkleiter Enrico Held. „Es kommt vor, dass unsere vietnamesischen Azubis den deutschen Azubis Nachhilfe geben.“ Doch beklagt er eine enorme Bürokratie. Das beginne beim Visum und reiche bis zur Eröffnung von Bankkonten oder dem Abschluss von Handyverträgen, wenn die Mitarbeiter aus dem Ausland kommen. Das sei sehr viel Aufwand für die Unternehmen. Zugleich müssten auch die Firmen selbst und ihre Belegschaften umdenken. Statt dass ausländische Fachkräfte Deutsch lernen, könnte Englisch für alle an Bedeutung gewinnen. „Da müssen wir uns alle an die Nase fassen“, sagt Held.
Auch beim Unternehmen FDTech in Chemnitz, dass sich mit Fahrassistenz und automatisiertem Fahren befasst, gehören internationale Teams zum Alltag, so dass auch die deutschen Mitarbeiter vermehrt Englisch sprechen. Doch der Alltag in Deutschland ist für Beschäftigte aus dem Ausland mit vielen Hürden verbunden. Die Ingenieurin Saba Abdollahi erzählt, dass sie sich in Chemnitz in der Öffentlichkeit oft unsicher fühle und beklagt Schwierigkeiten für ihre Familie, ein Besuchsvisum zu erhalten. „Das belastet mich sehr“, sagt die 33-Jährige. Zugleich berichten ihre Kollegen von massiven Problemen bei der Kommunikation mit der Ausländerbehörde.
Dulig: „Wir brauchen dringend einen Kulturwandel“
„Wir brauchen dringend einen Kulturwandel“, mahnt Wirtschaftsminister Martin Dulig, der sich am Donnerstag bei vier Unternehmen über ihre Erfahrungen mit internationalen Fachkräften informiert. Sachsen sei auf Zuwanderung angewiesen, um seinen Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Dabei gehe es um Menschen mit eigenen Bedürfnissen, denen das Leben erleichtert werden müsse. Das sei nicht nur eine Aufgabe für die Unternehmen, sondern für die gesamte Gesellschaft. Einen „Wandel um 180 Grad“ sieht der SPD-Politiker bei vielen Behörden vonnöten. Überlegt werden müsse etwa, ob eine zentrale Ausländerbehörde für Sachsen den Anforderungen besser gerecht werden könne als die jetzige kommunale Struktur.
Der Anteil Beschäftigter aus dem Ausland wächst seit Jahren stetig und hat sich in Sachsen seit 2013 auf 7,4 Prozent mehr als vervierfacht. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit waren zuletzt fast 123.200 Menschen mit ausländischem Pass sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die meisten stammen aus den Nachbarländern Polen und Tschechien, gefolgt von Rumänien, Syrien, der Ukraine, Vietnam, Russland, Indien und Afghanistan.
Regionaldirektion-BA-Chef: Brauchen echte Willkommenskultur
Experten sehen Luft nach oben: Bundesweit ist der Anteil etwa doppelt so hoch. Den Angaben zufolge fehlen in Sachsen bis 2030 etwa 176.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter, weil mehr Beschäftigte in den Ruhestand gehen als Junge ins Arbeitsleben starten.
„Wir brauchen eine Zuwanderung von Arbeits- und Fachkräften, denn die sächsischen Unternehmen suchen händeringend Personal“, sagt Klaus-Peter Hansen, Chef der BA-Regionaldirektion. Dabei konkurriert Sachsen mit anderen Regionen Deutschlands und Europas um kluge Köpfe und gut ausgebildete Fachkräfte. „Und diese Menschen entscheiden sich nicht nur für einen Arbeitsort, sondern zuallererst für einen guten Ort zum Leben für sich und ihre Familien. Deshalb brauchen wir eine echte Willkommenskultur.“ (dpa/mig) Aktuell Wirtschaft
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