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K'gari, die weltweit größte Sandinsel © de.depositphotos.com

Langer Weg der Aufarbeitung

Australiens ständige Erinnerung an Kolonialverbrechen umbenannt

Viele Ortsnamen in Australien sind eine ständige Erinnerung an die grausame Kolonialzeit - und die kulturelle Enteignung der Aborigines. So war es auch bei Fraser Island. Die weltgrößte Sandinsel heißt nun wieder offiziell K'gari. Aber der Weg zur Versöhnung ist noch lang.

Von Dienstag, 13.06.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 13.06.2023, 10:27 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Auf diesen Tag haben australische Ureinwohner vom Volk der Butchulla lange gewartet. Als ihrem Land, das seit Kolonialtagen Fraser Island hieß, sein ursprünglicher Name K’gari zurückverliehen wird, haben viele Tränen in den Augen. Auch auf Landkarten und Straßenschildern wird die größte Sandinsel der Welt – eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten des Landes – nun als K’gari (ausgesprochen: „Garrie“) verzeichnet sein. Es ist der Versuch, das wohl düsterste Kapitel der australischen Geschichte zu korrigieren.

Seit Jahrzehnten kämpfen die Aborigines um die Anerkennung ihrer Rechte und ihrer Kultur. Dabei geht es vor allem auch darum, dass heilige Orte aus der Traumzeit-Mythologie offiziell wieder bei ihren richtigen Namen genannt werden – und nicht bei solchen, die kontinuierlich an die Grauen der Kolonialzeit erinnern.

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Langer und steiniger Weg der Aufarbeitung

Kommentatoren verglichen die Bedeutung der jüngsten Umbenennung mit der Namensänderung des Ayers Rock im Roten Zentrum Australiens. Der gewaltige Berg ist einer der heiligsten Orte der Aborigines. 1985 wurde er ihnen zurückgegeben, seit 1993 trägt er den Doppelnamen Ayers Rock/Uluru. Aber erst 2019 erteilten die Behörden nach langem Drängen des Anangu-Volkes auch ein Kletterverbot für den 348 Meter hohen Felsen.

Im Fall von K’gari gingen die Behörden nun noch weiter: Fraser Island wird als Begriff ganz abgeschafft. So bedeutend war das Ereignis, dass der australische „Guardian“ sogar das Wetter als Metapher hinzuzog: „Am Mittwoch versammelten sich Hunderte traditionelle Besitzer in den alten Wäldern von K’gari, während der Regen den Sand durchtränkte und den Kolonialtitel der Insel fortspülte“, schrieb das Blatt poetisch. Aber der Weg der Aufarbeitung ist lang und steinig.

„Auch wenn Schritte wie diese das Unrecht der Vergangenheit nicht ändern können, tragen sie doch wesentlich zum Aufbau einer Zukunft bei, in der alle Bewohner Queenslands einander wertschätzen, vertrauen und respektieren“, sagte die Premierministerin der Region, Annastacia Palaszczuk, und forderte: „Von nun an sollten alle Queenslander die Insel bei ihrem rechtmäßigen Namen K’gari nennen.“

Umbenennung ein Meilenstein

K’gari, das bedeutet Paradies. Ein treffender Name für die Trauminsel vor der Ostküste, die mit 1840 Quadratkilometern Größe 18 Mal so groß ist wie Sylt. Seit 1992 gehört sie zum Weltnaturerbe der Unesco. Jedoch hatte 2020 ein verheerendes Buschfeuer Teile der Vegetation zerstört. Kristallklare Süßwasserseen, allen voran der prächtige Lake McKenzie, wechseln sich mit weißen Stränden, Sandsteinformationen und Regenwäldern mit himmelhohen Baumriesen ab. Berühmt ist auch die örtliche Dingo-Kolonie. Die meisten Besucher sind Tagestouristen.

Für die Butchulla ist die Umbenennung ein Meilenstein. „Unsere mündliche Überlieferung, unsere Schöpfungsgeschichte wird nun so erzählt und gelernt, wie es sein sollte“, zeigte sich Gayle Minniecon, eine Sprecherin des Volkes, erfreut. Für die Aborigines ist K’gari ein Prinzessinnengeist aus der Traumzeit. Und das Volk der Butchulla wurde der Legende nach auserwählt, K’gari für immer zu beschützen. Der Begriff „Dreamtime“ („Traumzeit“) steht für die komplexe Mythologie der Ureinwohner, die das Land schon seit rund 60 000 Jahren bevölkern. Es geht dabei etwa um die spirituelle Ordnung des Universums und den fortwährenden Schöpfungsfluss.

Der Name Fraser hatte irdischere Wurzeln: Er geht auf die Schottin Eliza Fraser zurück, die 1936 vor dem Eiland Schiffbruch erlitt. In ihren Memoiren schrieb sie Schauergeschichten über die Aborigines und betitelte sie als Wilde und Kannibalen, die sie versklavt hätten. Obwohl andere Überlebende der Darstellung widersprachen, verbreiteten sich die Gruselmärchen in der gesamten britischen Kolonie. „In den folgenden Jahrzehnten massakrierte die Kolonie das Volk der Butchulla, trieb Überlebende zusammen und zwang sie in Missionen“, erinnerte die Nachrichtenagentur AAP an diese dunkle Zeit.

Die „gestohlene Generation“

In ganz Australien wurden nach der Ankunft der „First Fleet“ („Erste Flotte“) aus England 1788 und der darauffolgenden Kolonisierung Aborigines diskriminiert und ihrer Kinder beraubt. Die „gestohlene Generation“ musste in Heimen oder bei weißen Familien aufwachsen. In der 1901 verabschiedeten Verfassung wurden die Ureinwohner nicht einmal erwähnt. Erst 1967 wurden ihnen Bürgerrechte eingeräumt. Von großen Teilen der weißen Mehrheit werden sie bis heute ausgegrenzt, viele leben am Rand der Gesellschaft.

In einer bemerkenswerten Rede gab der frühere Premierminister Paul Keating 1992 erstmals unverhohlen das an den Aborigines begangene Unrecht zu. „Wir haben ihnen ihre traditionellen Länder weggenommen und ihre traditionelle Lebensweise zerschlagen. Wir haben die Krankheiten und den Alkohol mitgebracht. Wir haben die Morde begangen. Wir haben die Kinder ihren Müttern weggenommen“, sagte er. Unwissenheit und Vorurteile seien verantwortlich gewesen. Nun aber sei es Zeit für alle Australier, ihre Herzen füreinander zu öffnen. „Wenn wir eine Tür öffnen, werden andere folgen“, zeigte er sich überzeugt.

Der nächste Schritt auf diesem Weg ist das noch in diesem Jahr geplante „Voice-Referendum“. Es geht um eine Verfassungsänderung, die der indigenen Bevölkerung eine Stimme im Parlament und somit mehr politische Rechte verleihen würde. Aber das Volk ist gespalten. Ein „Nein“ würde Australien laut Experten in den Bemühungen um Integration und Versöhnung um Jahre zurückwerfen. (dpa/mig) Aktuell Ausland

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