Solingen, Brandanschlag, Ausstellung, 1993, Rechtsextremismus, Rassismus
Plakat zur Ausstellung "Solingen '93 Unutturmayacağız! Niemals vergessen!"

Würdige Erinnerung

Ausstellung zu den Opfern des Brandanschlags von Solingen

Wer waren sie? Eine Solinger Ausstellung widmet sich den Opfern des rassistischen Anschlags vom 29. Mai 1993. 30 Jahre nach der rechtsextremen Tat rückt die Schau das persönliche Schicksal der fünf Getöteten und ihrer Angehörigen in den Blick.

Von Dienstag, 30.05.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 30.05.2023, 13:18 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Normalerweise präsentiert eine Ausstellung ihre Exponate in gut beleuchteten Räumen. Bei der Schau „Solingen ’93. Unutturmayacağız! Niemals vergessen!“ ist das anders: In einem mit dichten Vorhängen und heruntergedimmtem Licht verdunkelten Raum hängen die Porträts der fünf Mädchen und Frauen, die bei dem rechtsextremistischen Brandanschlag vom 29. Mai 1993 getötet wurden. Die Bilder der mexikanischen Künstlerin Sandra del Pilar bilden den Mittelpunkt der Schau im Solinger Zentrum für verfolgte Künste, die an den Anschlag auf das Haus der Familie Genç erinnert. Am Pfingstmontag, dem 30. Jahretag des fremdenfeindlichen Verbrechens, wird sie eröffnet.

Die Bilder sind keine Porträts im klassischen Sinne. Sandra del Pilar fertigte die Bilder nach Fotografien der Getöteten, indem sie mehrere Schichten transparenter Gaze mit Öl bemalte und übereinander legte. Die Porträts von Gürsün Ince, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç erhalten so eine dreidimensionale Tiefe, die die dargestellten Gesichter der im Alter von vier bis 27 Jahren gestorbenen Mädchen und Frauen verstärkt.

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Zugleich haben die Bilder mehrere Schichten, die das Dargestellte unscharf werden lassen. „Die Opfer werden in einem würdigen Rahmen sichtbar gemacht“, sagt der Direktor des Zentrums für verfolgte Künste, Jürgen Joseph Kaumkötter. Die Getöteten seien „präsent, aber auch nicht da“, die Motive verschwimmen beim Betrachten der Bilder. Dies mache deutlich, dass sich die Erinnerung an verstorbene Menschen mit den Jahren verändere. „Der Umgang mit Erinnerung ist ja nie scharf“, erläutert Hanna Sauer, eine der Kuratorinnen der bis zum 10. September dauernden Ausstellung. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes gibt es zudem kurze biografische Informationen zu den Getöteten.

Persönliche Einblicke anhand eines Zeitstrahls

Die Ausstellung gibt anhand eines Zeitstrahls persönliche Einblicke in das Alltagsleben der Familie Genç, sie will die Geschichte der Opfer stärker in den Fokus rücken, als dies im bisherigen Diskurs über den rechtsextremen Anschlag oft der Fall ist. Deshalb startet die Schau mit Datum 5. Februar 1942, dem Geburtstag vom Mevlüde Genç – der späteren Friedensbotschafterin, die bei dem Verbrechen zwei Töchter, eine Nichte und zwei Enkelinnen verlor.

In diesem Jahr wurde der Jahrestag erstmals ohne Mevlüde Genç begangen, die sich bis zu ihrem Tod Ende Oktober für Verständigung und Versöhnung einsetzte und von der die Initiative für die Schau ausging. So schreibt Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) im Vorwort zum Katalog der Ausstellung: „Es war Mevlüde Genç selbst, die schon im Juni 2022 in einem Brief an mich das Gespräch über die Ausgestaltung des 30. Jahrestages gesucht und die Frage in den Raum gestellt hatte, wie das Wissen über den Brandanschlag, seine Voraussetzungen und Folgen, künftigen Generationen, insbesondere jungen Menschen, vermittelt werden könnte.“

Individualgeschichte mit Politik und gesellschaftlicher Entwicklung

In Zusammenarbeit mit dem Zentrum für verfolgte Künste und unterstützt vom Kuratorium „Solingen ’93“, dessen Vorsitz Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat, wurde die auf Türkisch und Deutsch gestaltete Ausstellung konzipiert und umgesetzt.

In drei Bereichen wird das Thema aufgegriffen, Individualgeschichte mit Politik und gesellschaftlicher Entwicklung verbunden. Die Geschichte der Familie Genç wird mit Fotos und Zitaten nachgezeichnet. Zugleich werden die politischen Rahmenbedingungen erläutert – von der Anwerbung der damaligen „Gastarbeiter“ bis zu den rassistischen Anschlägen Anfang der 90er Jahre. Es gehe darum, „verschiedene Perspektiven auf eine deutsche Geschichte“ zu werfen, sagt Hanna Sauer.

Ohne Mevlüde Genç hätte das Zusammenleben anders ausgesehen

Bis zum 26. Mai 1993 – drei Tage vor dem Anschlag – reicht der erste Teil der Ausstellung, dann geht es in den Raum des Gedenkens mit den Porträts der Getöteten. Der dritte Teil widmet sich den Folgen des Anschlags und zeigt unter anderem Transparente, die damals auf Demonstrationen gegen Faschismus und Rassismus in Solingen präsentiert wurden. Auch die weitere Geschichte rechtsextremer Gewalt in Deutschland – unter anderem die Morde der Terrorgruppe NSU – werden thematisiert.

Das letzte Exponat der Ausstellung bildet ein Porträt von Mevlüde Genç, das die polnische Künstlerin Beata Stankiewicz gemalt hat. Damit werde die Rolle einer Frau gewürdigt, die sich trotz schwerer persönlicher Verluste und des Hasses für Versöhnung eingesetzt habe, sagt Direktor Kaumkötter. Das Zusammenleben nach dem 29. Mai 1993 in Solingen hätte ohne sie anders ausgesehen: „Wäre sie nicht gewesen, wäre das anders verlaufen.“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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