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Pro Türkei-Demo in Köln

Debatte über Erdoğan-Sympathie

Experte: Dämonisierung bringt nichts

Auch wenn er insgesamt nicht an alte Wahlergebnisse anknüpfen konnte - auf seine Fans in Deutschland kann Erdoğan sich weiter verlassen. Das gefällt vielen nicht. Andere finden wiederum: Mit dem Finger auf Wahlberechtigte in Deutschland zu zeigen, ist der falsche Weg.

Von und Montag, 29.05.2023, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.11.2023, 11:24 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Nach dem Wahlsieg von Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei hat die erneut hohe Zustimmung bei den Wahlberechtigten in Deutschland für Streit gesorgt. Bundesagrarminister Cem Özdemir forderte eine „Zeitenwende“ in der deutschen Türkei-Politik. „Wir haben im Umgang mit Putin gesehen, wozu das führt, wenn man sich eine Situation schönredet“, sagte der Grünen-Politiker am Montag vor Journalisten in Solingen mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoğlu, verwahrte sich gegen das „Bashing“ von Wählern und sah die deutsche Politik in der Pflicht.

Bei der Stichwahl um das türkische Präsidentenamt hatte Erdoğan knapp gewonnen, unter den rund 1,5 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland dabei ungefähr eine Zweidrittelmehrheit geholt. 67,2 Prozent der in Konsulaten in Deutschland abgegebenen Stimmen entfielen nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu auf Erdoğan. Sein Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu kam auf 32,8 Prozent. Gut 760.000 Menschen gaben demnach in Deutschland ihre Stimme ab, das entspricht einer Wahlbeteiligung von rund 50,4 Prozent.

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Erdoğan-Unterstützer auf den Straßen

Als sich am Sonntagabend Erdoğans Sieg abzeichnete, zog es in vielen deutschen Städten insgesamt Tausende Unterstützer auf die Straße. Unter anderem in Berlin, Duisburg, Hamburg, Frankfurt, Ulm, Mainz, Saarbrücken, München und Hof fuhren hupende und mit Türkei-Fahnen geschmückte Autos durch die Straßen. Dabei blieb es laut Polizei überwiegend friedlich. In Mannheim kam es allerdings zu Auseinandersetzungen. Auch in Dortmund gerieten einige Feiernde mit der Polizei aneinander. In vielen Städten gab es zudem Anzeigen – etwa wegen Verkehrsvergehen oder dem Zünden von Pyrotechnik. Allein in München wurden 94 Verkehrsordnungswidrigkeiten angezeigt.

Özdemir sagte, der laute Jubel vieler Erdoğan-Anhänger in deutschen Städten sende ein verstörendes Signal. „Die hupen, weil jemand eine Wahl gewonnen hat, der das Land in eine Art offenes Gefängnis verwandelt, während sie hier gleichzeitig die Vorzüge einer liberalen Demokratie genießen.“ Wenn junge Türken den Erdoğan-Sieg so ausgelassen feierten, sei das „gleichzeitig auch eine Absage an das Zusammenleben hier, eine Absage an die liberale Demokratie“, sagte Özdemir. „Wir drohen diese Menschen zu verlieren“, mahnte er. Deshalb müsse die Politik dafür sorgen, dass man junge türkeistämmige Menschen in den Schulen erreiche – mit einem System, in dem Bildungserfolg nicht an die Herkunft der Eltern gekoppelt sei.

Özdemir fordert Zeitenwende

Er forderte: „Die Zeitenwende, die wir Gott sei Dank endlich haben im Umgang mit Putin, die braucht es jetzt auch im Umgang mit türkischem Ultranationalismus, die braucht es jetzt auch im Umgang mit Fundamentalismus.“ Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, bezeichnete das Abstimmungsverhalten in Deutschland in der „Rheinischen Post“ als „befremdlich“. „Die Pluralität und Meinungsvielfalt, die sie in Deutschland genießen, wollen sie für ihre zweite Heimat anscheinend nicht“, sagte er.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Erdoğan nach dem Wahlsieg auf Twitter geschrieben, Deutschland und die Türkei seien enge Partner und Alliierte – auch gesellschaftlich und wirtschaftlich sei man stark miteinander verbunden. „Nun wollen wir unsere gemeinsamen Themen mit frischem Elan vorantreiben“, schrieb er.

Sofuoğlu: Politik hat viel versäumt

Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien in Essen sagte mit Blick auf das Wahlverhalten in Deutschland: „Die Dämonisierung der Bevölkerung – das bringt nichts. Man muss die Wahlmotive verstehen. Je mehr wir die Leute beschimpfen, umso stärker treiben wir sie in die Hand von Erdoğan.“ Sofuoglu von der Türkischen Gemeinde sagte: „Man könnte gerade auch die Menschen, die so politisiert sind, so aktiv in der Politik sind, auch mal für die deutsche Politik gewinnen.“ Da habe die deutsche Politik sehr viel versäumt. „Je mehr Bashing gegenüber den Wählerinnen und Wähler betrieben wird, desto mehr und entschlossener gehen die Menschen auch zur Wahl“, sagte er am Montag. Die Politik müsse diesen Menschen ein Angebot machen. Entsprechend würden sich dann auch das Wahlverhalten und die politische Partizipation ändern. Die Politik sollte bessere Argumente als Stigmatisierung und Bashing haben, sagte er.

Erdoğan hatte bereits im ersten Wahlgang vor zwei Wochen bei den Deutsch-Türken mit 65,5 Prozent der Stimmen deutlich gewonnen. Bei der Wahl 2018 waren es 64,8 Prozent gewesen.

Ulusoy: Trotzhaltung unter Jüngeren

Ulusoy sagte, das Ergebnis sage natürlich etwas über die Haltung der Deutsch-Türken aus. Er betonte aber, dass nur knapp 1,5 Millionen der insgesamt rund 2,8 Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland wahlberechtigt seien – und zwar vor allem die erste und zweite Generation derjenigen, die im Zuge der Arbeitsmigration aus der Türkei gekommen seien. Viele von ihnen stammen aus dem anatolischen Kernland mit überwiegend konservativ-religiösem Lebensstil. Viele Jüngere hätten nur die deutsche Staatsbürgerschaft – für die Wahlberechtigung braucht es aber auch die türkische.

Ulusoy erklärte, auch bei den Jüngeren gebe es aber mitunter eine Trotzhaltung: Es seien teils verletzende Erfahrungen gemacht worden, dass Türke oder Moslem zu sein, in Deutschland keine große Wertigkeit hätten. Erdoğan gelinge es sehr gut, diese Wertigkeit anzuerkennen, ihre Zugehörigkeit zur Türkei zu betonen und ihre Emotionen anzusprechen. Zudem verfüge Erdoğan über eine schlagkräftige Organisationsstruktur in Deutschland. (dpa/mig) Aktuell Gesellschaft

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  1. Levent Öztürk sagt:

    Hier Mal einige wichtige Punkte, weswegen zum besseren Verständnis überproportional viele in Deutschland lebende wahlberechtigte Türken ihre Stimme Recep Tayyip Erdogan geben: Claudia Roth beteiligt sich in der 1. Reihe bei den Gezi-Provokationen als Agent Provokateuer und wird Ministerin, Cem Özdemir als Leitfigur aller „Haustürken“ wird mit einem Ministerposten „belohnt“ weil er latent und bei jeder Gelegenheit gegen Türken, die Türkei und den demokratisch gewählten Präsidenten Erdogan wettert. Die Message: „Spuckt als Steigbügelfesthalter bzw. Haustürke auf eure Herkunft, Kultur und Ethnie, dann belohnen wir Euch wie Cem Özdemir, Sevim Dagdelen und Co. oder geben Euch eine Bühne, Anerkennung, Applaus und Geld wie Kaya Yanar, Serdar Somuncu und Co.“ kommt bei Türken absolut nicht gut an und weckt lediglich eine starke Protesthaltung. Zulassen von fürchterlichen Neonazi-Verbrechen an Türken durch staatliches Wegschauen, wie unzählig viele Brandanschläge, NSU-Serienverbrechen, Bombenanschläge wie in Köln-Keupstr., Anschläge von Nazis wie in München, Hanau etc.. In Berlin hat bei der Trauerfeier für die NSU-Opfer Bundeskanzlerin Merkel den Angehörigen die lückenlose Aufklärung der NSU-Verbrechen sowie die Neu-Aufrollung von laut BKA über 3.500 Cold-Case Fälle, welche den NSU-Verbrechen ähneln und bis dato nicht aufgeklärt wurden versprochen, ihre Rede ist immer noch. Kanzlerin Merkel hat die Angehörigen belogen, nahm ihr Versprechen mit in den Ruhestand, Beweise wurden weggesperrt und es folgte sogar NSU 2.0, wo nicht einmal richtig ermittelt wurde. Dann die wirklich latente Hetze sowie sehr einseitige mit Halbwahrheiten und Falschdarstellungen bespickte Berichterstattung in deutschen Medien über Türken, die Türkei und Erdogan (84% der in Deutschland lebenden Türken trauen den deutschen Medien nicht). Dass der deutsche Bundestag in eigener Sache keine Herero-Nama Resolution verabschiedet hat aber eine von Cem Özdemir initiierte „Armenien-Resolution“ verabschieden konnte. In TV Talkrunden werden nur (!) Personen eingeladen, die eine Grundlegende antitürkische Meinung hegen und dann die Möglichkeit bekommen in „Monologen“ ihre Meinung verbreiten zu dürfen aber von den 70% in Deutschland lebenden Türken mit einer anderen Meinung kaum jemand zu einem Diskurs eingeladen wird. Auch eines der Hauptgründe ist, dass es sich in deutschen Medien und in der deutschen Öffentlichkeit so etabliert hat, dass man stets nahezu ausnahmslos über Türken redet aber nie mit Türken (Ausnahme: Haustürken). Deutschland ermahnt die Türkei bei jeder gelegnheit hinsichtlich Defizite bei Menschenrechten und Demokratie, aber die menschenfeindlichsten und undemokratischsten Gruppierungen aus der Türkei, wie die umstürzlerische radikal-extremistisch-terroristische Gülen-Organisaition oder die in der Türkei mordende und bombende sowie für 45.000 Terrortote verantwortliche Terrororganisation PKK, werden in Deutschland hofiert, beherbergt, in Ruhe gelassen und es wird ihnen ermöglicht, Gelder zu erwirtschaften mit denen diese demokratiefernen Extremistengruppen dann den Terror gegen die Türkei finanzieren. Als letzten Punkt: Es macht die Türken wütend, wenn es im andere Länder bei jeder Gelegenheit bezüglich Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte belehrendem Deutschland realexistente Defizite hinsichtlich Menschenrechte, wie NSU-Vertuschung, NSU-2.0 Nicht-Ermittlung und Vertuschung, Nazi-Polizei-Chatgruppen, das Blindsein auf dem Rechten Auge dessen Folge immer und immer wieder die Türken spüren müssen tetc. etc. gibt aber die deutsche Öffentlichkeit, Politik und Medienlandschaft sich aber lieber intensiv mit der Defizitsuche diesbezüglicher Misstände in der Türkei begibt statt Mal vor die eigenen Füße zu schauen.