Übertrittszeugnisse in Bayern

Kinder mit ausländischen Wurzeln systematisch zurückgelassen

Das Übertrittszeugnis sorgt in Bayern jedes Jahr für Diskussionen. Manche loben das System als Stützpfeiler des Bildungserfolgs. Andere hingegen kritisieren es als nicht altersgerecht und unfair: Kinder aus schwachen Familienverhältnissen werden systematisch zurückgelassen.

Dienstag, 02.05.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 02.05.2023, 13:03 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Rund 112.000 Viertklässler erhalten am 2. Mai in Bayern ihr Übertrittszeugnis – wie jedes Jahr begleitet von Freude, Enttäuschung und grundsätzlicher Kritik an der Schulpolitik. „Das Übertrittszeugnis bietet eine wichtige Einschätzung der Klassenlehrkraft über Stärken, Neigungen und Fähigkeiten sowie die zukünftige bestmögliche Förderung für die Schülerinnen und Schüler der ihr anvertrauten Klasse“, teilte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) mit. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) hält die Übertrittsregeln dagegen für zu starr, für nicht altersgerecht und unfair.

Das Übertrittszeugnis gibt eine wichtige Empfehlung dafür, ob Kinder nach der Grundschule aufs Gymnasium, die Real- oder Mittelschule wechseln sollten. Entscheidend ist dabei der Notendurchschnitt der drei Fächer Deutsch, Mathematik sowie Heimat- und Sachkunde. Bei einem Notendurchschnitt von bis zu 2,33 gibt es nach Angaben des Kultusministeriums eine Empfehlung fürs Gymnasium, bei bis zu 2,66 für die Realschule und ab 3,0 für die Mittelschule. Wer den nötigen Schnitt nicht schafft, hat die Möglichkeit des Probeunterrichts, in dem schriftliche und mündliche Aufgaben in Deutsch und Mathe bestanden werden müssen.

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Der bayerische Elternverband bemängelt, dass beim Übertritt nur drei Fächer ausschlaggebend sind. „Es werden viele Dinge nicht bewertet“, sagte die stellvertretende Landesvorsitzende Henrike Paede. Außerdem sei eine so wichtige Weichenstellung im Alter von neun bis zehn Jahren noch viel zu früh. Die Kinder müssten deshalb länger zusammen lernen können, so wie es an einer Gemeinschaftsschule möglich sei.

Migranten systematisch zurückgelassen

„Im aktuellen System werden die Kinder aus schwachen Familienverhältnissen und Kinder mit Migrationshintergrund systematisch frühzeitig zurückgelassen“, ergänzte BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Den Kindern ginge außerdem die Lust am Lernen verloren, weil sie sich nur auf die Noten in den drei entscheidenden Fächern konzentrierten.

„Das bayerische Übertrittsverfahren hat sich über Jahrzehnte hinweg bewährt und genießt breite Akzeptanz und Wertschätzung in der Bevölkerung“, sagte dagegen Piazolo. Nach der vierten Klasse werde zwar eine erste Entscheidung getroffen, ein Wechsel zwischen den Schularten sei aber später noch jederzeit möglich.

Ministerium verteidigt Sortierung nach Deutsch, Mathe und Heimatkunde

Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen dem Ministerium zufolge außerdem, dass die Bildungsgerechtigkeit leidet, wenn der Elternwille stärker berücksichtigt wird. Die Wahl der weiterführenden Schule hänge dann stark von der Herkunft und der Vorbildung der Eltern ab, erklärte das Ministerium.

„Eltern werden mit Hilfe der Übertrittsempfehlung dabei unterstützt, die Fähigkeiten und Präferenzen ihrer Kinder realistisch einzuschätzen, damit diese Erfolgserlebnisse verspüren, Freude am Lernen haben und den für sie am besten geeigneten Bildungsweg wählen“, sagte der Landesvorsitzende des bayerischen Realschullehrerverbands, Jürgen Böhm. Auch der bayerische Philologenverband, der die Lehrkräfte an Gymnasien und Beruflichen Oberschulen vertritt, befürwortet die Übertrittsregeln. Diese sorgten für ein höheres Leistungsniveau und am Ende für mehr Bildungsgerechtigkeit, teilte dieser mit. (dpa/mig) Leitartikel Panorama

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