„Ich, ein Sachse“
Eine irre Geschichte, ein leiser Autor
Der frühere Polizist und frühere Verbrecher Samuel Meffire erzählt sein „deutsch-deutsches Leben“ - und das hat es in sich. Doch der Autor sorgt sich mehr um den Zustand der Welt als um seine eigene Vergangenheit.
Von Verena Schmitt-Roschmann Mittwoch, 05.04.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 05.04.2023, 13:14 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Das Leben des Samuel Meffire liest sich wie ein Abenteuerroman. Der in der DDR geborene Sohn eines Studenten aus Kamerun wird in Dresden der „erste schwarze Polizist Ostdeutschlands“, bevor er selbst kriminell wird. Er flieht in den Kongo, doch dort warten mordende Militärs, und er stellt sich den deutschen Behörden. Zurück in Sachsen gerät er als Kronzeuge gegen einen Unterweltskönig erneut in Lebensgefahr. Nach sieben Jahren Haft kämpft er sich zurück in eine legale Existenz und lebt nun im Rheinland als Sozialarbeiter, Autor und Familienvater.
Wer sich durch die 400 Seiten des Buchs „Ich, ein Sachse“ hechelt, weiß, warum Disney+ den Stoff gerade zur Miniserie umgearbeitet hat. Die Geschichte, die Meffire mit Co-Autor Lothar Kittstein als „autobiografischen Roman“ aufgeschrieben hat, ist einfach zu gut. Wer aber den inzwischen 52 Jahre alten Protagonisten trifft, mag sich wundern. Samuel Meffire ist ein leiser, nachdenklicher, bedachter Gesprächspartner, der sich erkennbar mehr um den Zustand der Welt sorgt als um seine eigene Vergangenheit.
„Ich sehe diese Zeit einerseits mit großer Freude – was für eine fantastische Zeit, mit einem Computer in der Hosentasche“, sagt der große, durchtrainierte Mann an einem wechselnd-bewölkten Nachmittag in der Remise des Ullstein Verlags in Berlin. „Aber andererseits habe ich weder die DDR noch das Gesamtdeutschland jemals so zerrissen, schwer bewaffnet in den eigenen Gräben hocken sehen wie heute. Das bereitet mir doch erhebliche Sorge.“
„Russisch Roulette“
Sein Buch trägt den Untertitel „Mein deutsch-deutsches Leben“, und neben der rasanten Handlung vermittelt es tatsächlich ein Gefühl für die Wirren rund um die Deutsche Einheit. Einerseits nutzte der ehemalige Leistungs-Kanute in diesem Umbruch die Chance auf einen Seiteneinstieg bei der Kriminalpolizei. Er wurde das Gesicht einer Werbekampagne gegen Rassismus – ein Medienstar. Andererseits lernte er diesen gewalttätigen Hass erst damals richtig kennen.
„In der DDR musste ich nicht Angst haben, dass jemand kommt und die Baseball-Keule schwingt“, erzählt Meffire. „Das hätte das sich als antifaschistisch und internationalistisch verstehende System keinesfalls zugelassen.“ Nach dem Zusammenbruch der DDR sei das anders geworden. „Da wurde das existenzielle Überleben für mich Tag für Tag Thema. Kommst du heute Abend noch in einem Stück nach Hause oder nicht? Das war wie eine Art russisch Roulette.“
„Das ist nicht Folklore“
Heute sieht Rassismus für ihn wieder anders aus. „In den 17 Jahren, die ich in Bonn lebe, ist mir nicht ein einziger Rheinländer oder eine einzige Rheinländerin unfreundlich begegnet“, sagt Meffire. „Aber ich habe leider Gottes als Sozialarbeiter einige Erlebnisse gehabt mit arabisch- oder türkischstämmigen jungen Männern, die ein geradezu toxisches Männlichkeitsbild mit sich herumschleppen.“ Hip-Hop und Social Media täten oft so, als wäre Hass in Ordnung. „Das ist nicht Folklore, das hat sich festgesaugt in der Mitte der Gesellschaft.“
Sorgen macht sich Meffire auch über ost-west-deutsche Missverständnisse und Sprachlosigkeit. „Die eine Hälfte Deutschlands ist zutiefst gekränkt und die andere kann das nicht verstehen“, meint er. Helfen könnte vielleicht eine „deutsche Variante von Wahrheitskommission“: „Wenn man den Gesprächsfaden wieder aufnimmt, daraus kann ein Stück weit Heilung entstehen.“
„Glücklicher Sachse im Exil“
Er selbst bezeichnet sich nach all den Jahren in Bonn, wo er mit seiner Frau und seinen Töchtern lebt, als „glücklicher Sachse im Exil“. Dresden sei sein „Prägeort“ durch Kindheit und Jugend mit seinen Großeltern, seiner Mutter und dem Bruder, seiner Zeit auf der Sportschule. „Heimat ist der Ort, wo ich weiß, wie die Menschen denken, wie sie fühlen, wie sie sprechen. Das gibt Sicherheit.“
Bleibt am Ende die Frage, wie dieser Mann zu dieser Lebensgeschichte passt, dieser leise Autor zu diesem lauten Thriller, der Poet zum Absturz in die Kriminalität. Meffire denkt einen Moment nach und holt dann etwas aus. „Ich bin durch und durch Produkt meiner Mutter“, sagt er. Die Mutter, die nach dem frühen Tod des Vaters – das Buch suggeriert eine Vergiftung durch Kommilitonen – mit zwei afrodeutschen Kindern alleine dastand, die immer, immer funktionieren musste und damit zum Schrecken ihrer Söhne wurde.
„Innere Baustelle bleibt“
„Ich war durch meine Mutter auf Erfolg zwangsverpflichtet“, so sieht es Meffire. Als er mit 24 Jahren aus der Polizei ausstieg und eine Sicherheitsfirma gründete, war Scheitern keine Option. Als die Firma in Schwierigkeiten geriet, versuchte Meffire, mit Raubüberfällen zu Geld zu kommen – „eine maximal-dämliche Augenblicksentscheidung“, wie er heute sagt. Zum Glück sei er schon nach fünf Wochen aufgeflogen, bevor er noch mehr Schaden habe anrichten können.
Dass sich ein solcher Absturz wiederholen könnte, schließt Meffire zu 99,9 Prozent aus. „Ich lebe seit 21 Jahren, seit der Entlassung aus der Haft, normenkonform“, sagt der Autor. „Aber die innere Baustelle bleibt. Es ist ein Prozess. Ich sehe mich nicht am Ziel.“ (dpa/mig) Aktuell Rezension
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