Debatte um Abi-Pflichtlektüre
100-mal N-Wort auf 300 Seiten
Im Deutsch-Abi an Baden-Württembergs beruflichen Gymnasien soll es im nächsten Jahr auch um Koeppens Roman „Tauben im Gras“ gehen. Eine Lehrerin weigert sich, die Pflichtlektüre wegen rassistischer Sprache im Unterricht zu behandeln - und tritt damit eine Debatte los.
Sonntag, 26.03.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 27.03.2023, 6:24 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
In Baden-Württemberg gibt es Streit um eine Abi-Pflichtlektüre. Ab nächstem Jahr soll an den beruflichen Gymnasien im Südwesten der Roman „Tauben im Gras“ von Wolfgang Koeppen aus dem Jahr 1951 Teil des Deutsch-Abiturs sein. Eine Ulmer Lehrerin weigert sich, die Lektüre wegen rassistischen Vokabulars im Unterricht zu behandeln und tritt damit eine Debatte los. Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper hält an der Pflichtlektüre fest. Sie werde in manchen Schulen schon behandelt, sagte die Grünen-Politiker der „Südwest Presse“.
„Es geht darum, deutlich zu machen, wie Rassismus Gesellschaften prägt: damals in den 50er Jahren, als der Roman entstanden ist, aber auch heute. Das zu behandeln, finde ich sehr wichtig“, so Schopper weiter. Der verstorbene Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki habe diesen Roman als Weltliteratur gewürdigt und die „Süddeutsche Zeitung“ habe ihn in ihre Bibliothek aufgenommen.
Petition gegen das Buch mit 5.000 Unterschriften
Eine Petition gegen die Pflichtlektüre hat im Internet knapp 5.000 Befürworter gefunden, darunter auch Lehrkräfte von Universitäten und Kulturschaffende. Ihrer Ansicht nach ist das Buch nicht für den Unterricht geeignet, da betroffene Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte während dessen Besprechung immer wieder rassistischer Diskriminierung ausgesetzt würden, „indem rassistische Begriffe, in diesem Fall ‚Das N-Wort‘, laut in der Unterrichtssituation vorgelesen werden“.
Auch im Netz regt sich Widerstand gegen das Buch. Rassismus- und Schulfordscher Karim Fereidooni fragt im Kurznachrichtendienst Twitter: „Frau Schopper, was verlieren wir, wenn wir das Buch ‚Tauben im Gras‘ nicht lesen, in dem sehr oft das N-Wort vorkommt?“. Auch in einem Brief von Hochschulehrer:innen an die Kultusministerin stellen sich Expertinnen und Experten gegen die Pflichtlektüre. „Auf vielen Seiten dieses Buches stoßen die jungen Lesenden und ihre Lehrenden immer wieder auf das N-Wort und diverse Komposita desselben. Dieses Wort ist aufgrund der gewaltvollen Vergangenheit weißer Menschen gegenüber als ‚anders‘ Gelesenen vollkommen zu Recht mittlerweile aus dem deutschen Sprachgebrauch so gut wie verschwunden“, heißt es darin.
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Lehrerin lässt sich beurlauben
Schopper hingegen erklärte, dass Einordnung bei diesem Werk besonders wichtig sei. „Deswegen unterstützen wir die Lehrkräfte auch mit vielen Fortbildungen und Materialien“, sagte sie. Es sei zwingend notwendig, bevor dieses Buch im Unterricht gelesen und behandelt werde, sehr genau über die Sprache des Textes zu reden. „Denn in dieser Sprache wird ganz klar Rassismus transportiert.“
„Es gibt auch andere Werke, mit denen man wahnsinnig gut Rassismus aufarbeiten kann, ohne dass man eine Gruppe dehumanisiert“, sagte die Ulmer Lehrerin Jasmin Blunt dem ZDF. Laut Medienberichten hat sie sich wegen der Pflichtlektüre für das nächste Schuljahr beurlauben lassen. „Ich bedauere sehr, dass sie diese Konsequenz gezogen hat“, sagte Schopper.
N-Wort in Beschimpfungen
Laut Kultusministerium war der Roman schon um die Jahrtausendwende Pflichtlektüre in Baden-Württemberg und auch 2014 in Nordrhein-Westfalen. Wolfgang Koeppen gelte als einer der wichtigsten Nachkriegsautoren in Deutschland. Die Auswahl der Pflichtlektüre für die Abiturprüfung erfolge durch ein Fachgremium. Ob im Gremium Personen sitzen, die von Rassismus betroffen sind, ist nicht bekannt.
Das Buch ist der erste Roman aus einer Nachkriegstrilogie von Wolfgang Koeppen (1906-1966). Darin erzählt er vom Klima der jungen Adenauer-Republik und thematisiert auch, dass viele zu dieser Zeit Fragen der Schuld verdrängten. In „Tauben im Gras“ kommen auch Figuren vor, die rassistische Einstellungen haben, in Beschimpfungen taucht das „N-Wort“ mehrmals auf – insgesamt mehr als 100-mal auf knapp 300 Seiten. (dpa/mig) Leitartikel Panorama
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