Kunsthochschule Hamburg
Wie Studierende mit umstrittenen Ruangrupa-Künstlern arbeiten
Ruangrupa-Künstler sorgten auf der documenta 2022 mit antisemitischen Symbolen für einen Skandal. Zwei von ihnen arbeiten jetzt als Dozenten an der Hamburger Kunsthochschule. Studierende ziehen nach dem ersten Semester ein positives Fazit.
Von Evelyn Sander Dienstag, 14.03.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 14.03.2023, 10:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
So etwas hatte die Hamburger Hochschule für bildende Künste (HfbK) zuvor noch nie erlebt: Als die indonesischen Gastdozenten Reza Afisina und Iswanto Hartono im Wintersemester 2022/23 antraten, sammelten sich Demonstranten vor der Hochschule, es hagelte Kritik von jüdischen Gemeinden und aus der Politik. „Mit so viel Protest hatten wir nicht gerechnet“, sagt Präsident Martin Köttering. Afisina und Hartono gehören zu dem Kollektiv Ruangrupa, das auf der documenta 2022 mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert war. Auf mehreren Werken waren antijüdische Stereotype zu sehen.
Wie läuft die Lehre mit den umstrittenen Gastdozenten, die noch bis Ende des Sommersemesters 2023 an der HfbK sind? Nach dem ersten Semester ziehen Hochschule und Studierende eine erste Bilanz. Kunststudentin Leila Mousavi erinnert sich noch sehr gut an den Anfang des vergangenen Semesters: Sie war unsicher, ob sie den Kurs von Afisina und Hartono belegen soll. „Ich habe mich gefragt, was die anderen wohl denken“, erzählt die 30-Jährige.
Europäer bei diesem Thema „sehr sensibel“
Mousavi belegte den Kurs, gemeinsam mit rund 20 anderen Studierenden. Wer wollte, konnte Afisina und Hartono auf die Vorwürfe ansprechen, ansonsten sei die documenta kein Thema gewesen. Mousavi: „Ich habe mich im Kurs sehr wohlgefühlt, weil es kein Konkurrenzdenken in der Gruppe gab.“ Zum Semesterabschluss hat die Gruppe gemeinsam einen Wohnraum („Living Room“) gestaltet – mit altmodischer Stehlampe, kleinen Zetteln und Kommentaren an den Wänden, gezeichneten Porträts und großen Bodenkissen in der Mitte.
Auch Student Kenneth Lin aus Taiwan hat die Zusammenarbeit auf Augenhöhe genossen: „Sie haben uns eine andere Sichtweise auf Kunst gezeigt: Wir haben nachhaltiger gearbeitet und viel mehr miteinander geredet und gelacht.“ Den Vorwurf, die beiden Dozenten seien antisemitisch, teilt Lin nicht. Er verstehe jedoch, dass Europäer bei diesem Thema „sehr sensibel sind“, er selbst habe einen Antisemitismus-Kurs besucht, um die Geschichte nachzuvollziehen. Gleich zum Semesterstart hätten Afisina und Hartono mehrfach versichert, keine Antisemiten zu sein.
Sprechen und streiten
Um eine sachlichere Diskussion anzustoßen, fand zum Ende des ersten Semesters das Symposium „Kontroverse documenta fifteen“ statt. „Wir wollten unterschiedlichste Positionen miteinander in Dialog bringen“, sagt Köttering. Dass die Hochschule durch die Gastprofessur von Afisina und Hartono viel Kritik anziehen würde, sei spätestens seit dem Sommer klar geworden.
Köttering sieht in der Kontroverse einen wichtigen Versuch, miteinander zu sprechen und zu streiten. „Wir sind ja eine Kunsthochschule. Da darf man die Bedeutung von künstlerischen Formaten und das Ausprobieren von künstlerischen Arbeitsformen für die Auseinandersetzung nicht unterschätzen“, sagt der HfbK-Präsident. Zur Jahresausstellung zum Ende des Semesters seien über 12.000 Gäste gekommen, für alle standen auch die Türen zum „Living Room“ von Afisina und Hartono offen.
Eine positive Bilanz
Dozent Afisina spricht vom „Privileg des gemeinsamen Lernens“. Auch Hartono zieht eine erste positive Bilanz: „Ich weiß die Fähigkeit und den Enthusiasmus der Studierenden, gemeinsam zu arbeiten, sehr zu schätzen. Ich habe auch viel von ihnen gelernt.“
Derweil ist das documenta-Thema längst nicht vom Tisch. „Natürlich sind noch viele weitere Gespräche und Debatten nötig, wie auch Streit“, sagt Bettina Uppenkamp, Kunsthistorikerin und Vizepräsidentin für Lehre. Auf dem Symposium seien auch Linien von der documenta-Debatte zu historischen Zusammenhängen und kolonialen Erfahrungshorizonten gezogen worden. Im Mai ist der Workshop „Sich Konflikten stellen. Arbeiten gegen Antisemitismus und Rassismus als künstlerische Praxis“ geplant. „Aus Streit lassen sich Erkenntnisse für die Zukunft gewinnen“, sagt Uppenkamp. Zumindest, wenn er im gegenseitigen Respekt geführt werde. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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