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"Über Israel reden" von Meron Mendel © Kiepenheuer&Witsch

Buchtipp

Meron Mendel: Wie spricht man in Deutschland über Israel?

Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt hat etwas gewagt: Die Diskussionen hierzulande rund um Antisemitismus, Israel und den Nahostkonflikt aufzuschlüsseln. Sein Fazit: Es geht gar nicht ums Thema selbst.

Von Donnerstag, 09.03.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 09.03.2023, 14:53 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

„Ich bin eine Projektionsfläche, man hört meinen Akzent und das triggert viele“, sagt Meron Mendel. Er ist Jude und Israeli – doch die Projektionen haben nur wenig gemein mit dem 47-Jährigen. Den Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt kann in Deutschland niemand in eine Schublade stecken. Schließlich kritisiert er einerseits die vom Bundestag als antisemitisch eingeordnete BDS-Kampagne, die zum Boykott des Staates Israel und seiner Güter aufruft, und andererseits ist er ein Gegner des Vorgehens des Staates im Westjordanland.

Einfache Wahrheiten sind bei Mendel nicht zu finden. In der Debatte um den Antisemitismus-Skandal bei der documenta war er ein gefragter Experte zur Einschätzung der Gemengelage. Den Wissenschaftler irritiert die Art, wie Debatten über den Komplex Israel, den Nahostkonflikt und Antisemitismus in der Gesellschaft hierzulande geführt werden. Darüber hat er nun geschrieben: „Über Israel reden“ heißt sein Buch.

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„Reden“ ist hier ein wichtiges Stichwort. Mendels These: „Wir haben es als Gesellschaft verlernt, kontroverse Diskussionen zu führen.“ So beschreibt er es im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur. Eine auf den ersten Blick erstaunliche Aussage, gerade auch in Bezug auf den Nahostkonflikt – wenn man bedenkt, mit welcher Vehemenz hierzulande solche Diskussionen oft geführt werden.

Schon lange nicht mehr sachlich

Doch Mendels Ansicht nach fehlt dabei der Austausch. „Viele Menschen haben die Sicht, dass ihnen gegenüber nicht ein Diskussionspartner, sondern der Feind sitzt.“ Um auch selbst flexibel zu bleiben, hat er einen eigenen Überprüfungsmechanismus: „Bin ich offen, mich von den Argumenten von anderen überzeugen zu lassen – egal welchem Lager sie sich zugehörig fühlen?“ Solange es demokratisch bleibt, versteht sich.

Sachlich sind die Diskussionen seiner Ansicht nach schon lange nicht mehr. Gerade in Bezug auf den Nahostkonflikt reicht oft schon ein Funke. „Der Diskurs über den Israel-Palästina-Konflikt in Deutschland ist eine Stellvertreter-Diskussion, in der es wenig um die Realitäten vor Ort geht“, sagt Mendel. Stattdessen gehe es meist um den Selbstzweck, sich moralisch auf der richtigen Seite zu fühlen. „Ich wünsche mir mehr Mut zur Differenzierung.“

Konstruktive Diskussionen unmöglich

Stichwort documenta fifteen. Auf der Kunstschau sollte Raum für Werke und Themen von Künstlerinnen und Künstlern aus dem globalen Süden geschaffen werden. Doch dann trat der Skandal um einzelne antisemitische Bilder der Kunstschau in den Vordergrund: SS-Runen auf dem Hut eines orthodoxen Mannes mit Schläfenlocken und Vampirzähnen waren dort etwa zu sehen. Eine Verquickung von Nazisymbolik und jüdischen Motiven, die ganz beiläufig auch den Holocaust relativierte, indem Täter und Opfer eins wurden. Gleichzeitig waren weder jüdische noch israelische Künstler bei der documenta zu finden.

Mendel führt in seinem Buch aus, dass er selbst kurzzeitig als Berater für die Kunstschau engagiert worden war, sich dann aber zurückzog. Konstruktive Diskussionen waren seiner Einschätzung nach unmöglich. Keine Gespräche oder alternativ Eskalation – diese Alternativen seien in Bezug auf den Nahostkonflikt gang und gäbe. Aber auch in anderen Diskussionen – ob es nun um Corona oder den Krieg in der Ukraine geht – scheinen Teile der Gesellschaft die Fähigkeit verloren zu haben, wirklich ins konstruktive Gespräch miteinander zu kommen, so der Wissenschaftler.

„Deutschland ist nicht der optimale Ort.“

Mendel prophezeit in seinem Buch, dass sich die Diskussionen um Antisemitismus und den Nahostkonflikt in Deutschland stets wiederholen werden. „Deutschland ist nicht der optimale Ort, um so weit wie möglich unbelastet über das Thema zu sprechen“, attestiert er.

Er habe beobachtet, dass sich seit der documenta-Debatte vermehrt andere Kulturveranstaltungen vorab genaue Gedanken machten. Er prognostiziert in seinem Buch jedoch: „Eine gemeinsame Debatte ist in Deutschland derzeit leider nicht möglich – nicht einmal Papier ist dafür geduldig genug.“ (dpa/mig) Aktuell Feuilleton

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