Moralischer Bankrott

Bundesregierung plant Behinderung ziviler Seenotrettung

Die Bundesregierung will die Schiffssicherheitsverordnung ändern. Das könnte die zivile Seenotrettung lahmlegen, wie diese beklagen. Sie werfen Berlin vor, den Koalitionsvertrag zu verletzen. Das Verkehrsministerium behauptet das Gegenteil - wie die CSU im Jahr 2020.

Dienstag, 28.02.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 01.03.2023, 6:37 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Deutsche Seenotretter werfen der Bundesregierung vor, mit einer Änderung der Schiffssicherheitsverordnung (SchSV) den Koalitionsvertrag zu verletzen. Die Ampel-Koalition will höhere Sicherheitsstandards auch für kleinere Schiffe ab 24 Metern Länge vorschreiben. Das geht aus einem Referentenentwurf des Bundesverkehrsministeriums hervor, über den das ARD-Magazin Monitor berichtete und der auch der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die deutschen Rettungsorganisationen kritisierten am Dienstag, dass die neuen Auflagen für sie zu teuer seien und ihre Einsätze behinderten.

„Für die Mehrheit der zivilen Seenotrettungsschiffe unter deutscher Flagge wird diese Verordnung bedeuten, dass sie ihre lebensrettende Arbeit einschränken oder einstellen müssen“, heißt es in der Mitteilung der NGOs, die unter anderem von den Organisationen Mission Lifeline, Resqship, Sea-Watch und Sea-Eye unterzeichnet wurde. „Die Umsetzung dieser Änderungen stellt einen klaren Bruch des Koalitionsvertrags dar, nachdem zivile Seenotrettung nicht behindert werden darf“, schrieben die zivilen Vereine darüber hinaus.

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Verkehrsministerium: Wollen Seenotrettung nicht behindern

Ein Sprecher des Verkehrsministeriums entgegnete auf Anfrage: „Das Vorhaben zielt nicht auf die Behinderung von privater Seenotrettung im Mittelmeer ab, sondern es geht im Gegenteil darum, deren Arbeit abzusichern.“ Man stehe mit den Organisationen in ständigem Kontakt, außerdem solle es Übergangsfristen für die Umrüstungen geben.

Die Bundesregierung wolle garantieren, dass deutsche Schiffe den modernen Sicherheitsstandards entsprechen. Deshalb sollten Boote ab 24 Metern Länge die Anforderungen für Frachtschiffe erbringen – bislang galten Schiffe bis 35 Metern als Kleinfahrzeuge und hatten entsprechende Privilegien. Von der Änderung wäre unter anderem die „Rise Above“ der Dresdner Organisation Mission Lifeline betroffen, die zuletzt regelmäßig im Mittelmeer im Einsatz war.

Scharfe Kritik von Seenotrettern

Die Helfer führen aus, dass es seit Beginn der Einsätze ziviler Schiffe im Mittelmeer 2015 keinen Unfall gab, bei dem Crewmitglieder oder Gerettete wegen Sicherheitsmängeln in Gefahr gerieten. „Die geplanten Änderungen sind zur Erhöhung der Sicherheit weder geeignet noch erforderlich“, heißt es in der Erklärung. „Sollte der aktuelle Entwurf der Schiffssicherheitsverordnung in Kraft treten, sehen wir uns mit einer massiven Erhöhung finanzieller Anforderungen durch unnötige Anpassungen und einer aktiven Behinderung unserer Arbeit konfrontiert, die letztendlich unsere Einsätze mit diesen Schiffen unmöglich macht“, so die NGOs weiter.

Das Vorgehen der Bundesregierung erinnert an die Praxis aus dem Jahr 2020. Damals hatte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf Drängen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit einer Änderung in der Schiffssicherheitsverordnung den Einsatz von Seenotrettern erschwert. Politiker der heutigen Ampel-Koalition hatten die Änderungen unter CSU-Führung „noch als ‚Schande‘, ‚faulen Trick‘ und ‚Schikane gegen die Menschlichkeit‘ kritisiert“.

2.367 Menschen wurden 2022 im Mittelmeer tot oder vermisst gemeldet, weil Hilfe sie nicht rechtzeitig erreicht hat. „Eine Behinderung der zivilen Schiffe unter deutscher Flagge durch die Bundesregierung vergrößert das Rettungsvakuum im Mittelmeer auf dieser tödlichen Fluchtroute, ohne dass die Sicherheit erhöht wird“, kritisiert Resqship-Vorstandsmitglied Stefen Seyfert. Die EU versage im Mittelmeerraum nicht nur politisch. Mit der Blockade humanitärer Hilfe gebe die Bundesregierung auch eine moralische Bankrotterklärung ab.

Streit um Seenotrettung im Mittelmeer

Um die zivile Seenotrettung im zentralen Mittelmeer wird seit Jahren gestritten. Weil es keine staatlichen oder europäischen Missionen gibt, fahren Schiffe mit freiwilligen Crews Einsätze – etliche davon aus Deutschland. Die italienische Regierung unter der rechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni versucht seit Monaten, die Einsätze der NGOs mit Dekreten einzudämmen. Dafür wurde Rom auch von deutschen Politikern und internationalen Organisationen gerügt.

Am Sonntag war es vor der Küste Kalabriens zu einem Bootsunglück gekommen, bei dem mindestens 64 Menschen gestorben sind. Allerdings war das Holzboot eine Route von der Türkei aus gefahren, auf der zivile Seenotretter nicht im Einsatz sind. Diese suchen vor allem vor der libyschen Küste nach Geflüchteten in Seenot. (dpa/mig) Leitartikel Politik

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