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Farah Melter © privat, Zeichnung: MiG

Das Kopftuch

Was können wir aus der Revolution in Iran lernen?

Der Freiheitskampf in Iran hat eine lange Vorgeschichte: Dem Kopftuchzwang ging ein Kopftuchverbot voraus. Deshalb stehen Frauen im Zentrum der aktuellen Bewegung - und das Kopftuch ist das Symbol des Widerstands.

Von Dienstag, 14.02.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 14.02.2023, 7:44 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Der Kampf für die Freiheit in Iran hat eine sehr lange Geschichte. Es waren immer wieder als erste die Frauen, die ebenso wie religiöse und nicht religiöse Minderheiten zentrale Zielscheibe der Unterdrückung geworden sind und sich gewehrt haben. Die unterschiedlichen Diskriminierungen, Einschränkungen breiteten sich immer mehr aus hin zur aktuellen totalitären Macht des Regimes hinein in alle Bereiche der Gesellschaft.

Die iranische Bevölkerung hat hautnah erlebt, was passiert, wenn sie die Unterdrückung eines Teils der Gesellschaft ignoriert. Andere Teile, die zunächst davon profitieren, wenn sie nicht betroffen sind, werden als nächste Gruppe benachteiligt. Irgendwann haben die totalitären Kräfte des Staates die Rechte aller Menschen eingeschränkt, egal ob Mann, Frau, Transgender, Jugendliche oder Kinder.

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Mit einem historischen Blick können wir verstehen, warum der Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ als Symbol der Revolution und als Widerstand gegen das diktatorische Regime in der gesamten Bevölkerung – sowohl in traditionellen als auch modernen Schichten – gerufen wird.

„Die Unterdrückung und Diskriminierung der traditionellen und religiösen islamischen Frauen und Männer führten allerdings dazu, dass das Kopftuch ein Symbol des Widerstands geworden war.“

Im Jahr 1936 wurde in Folge eines Reformprogrammes das Gesetz zum Verbot des Kopftuches der Frauen im Iran beschlossen. So wurden viele religiöse Frauen von der Teilhabe in der Gesellschaft ausgeschlossen. Javad Kermani (der Vater von Navid Kermani), damals acht Jahre alt, erinnert sich: „Meine Tante ist 15 Jahre lang nicht mehr aus dem Haus gegangen. Sie wollte eben ihr Kopftuch nicht abnehmen. Und sie wollte gegen die Zwangsentschleierung protestieren. Eine meiner anderen Tanten ging immer nur nachts, heimlich, mit Kopftuch aus dem Haus.“

Immer deutlicher brach der Konflikt zwischen der kleinen westeuropäisch orientierten Oberschicht und der breiten Masse der armen Leute auf, die an den traditionellen religiösen Werten festhielten. Diese Gruppe war 1979 eine der Unterstützer der Revolution in Iran.

Im Jahr 1979 wurde die Regierung von Mohammad Reza Shah Pahlavi durch eine Revolution gestürzt. Diese revolutionäre Bewegung war von Anfang an nicht nur und nicht vor allem eine islamische Bewegung. Die Unterdrückung und Diskriminierung der traditionellen und religiösen islamischen Frauen und Männer führten allerdings dazu, dass das Kopftuch ein Symbol des Widerstands geworden war und auch die Mitglieder der kommunistischen Tudeh-Partei trugen auf Demonstrationen ein Kopftuch.

Im Jahr 1983, vier Jahre nach der Revolution, verabschiedete das Parlament der Islamischen Republik Iran im Strafgesetzbuch, dass Frauen, die nicht den „Hijab“, die religiöse Verschleierung, in der Öffentlichkeit tragen, bestraft werden.

„Die Menschen haben gesehen, dass das Regime mit der Einschränkung der Rechte der Frauen angefangen hat und irgendwann die Einschränkungen und Verbote in allen Bereichen und gegen alle Menschen durchgesetzt hat.“

Eine Reportage des Deutschlandfunks aus demselben Jahr berichtete über Männer, die „Tod den Unverschleierten“ auf den Straßen skandierten. Und bald regierte der Zwang und die Diskriminierung und die Einschränkung der Rechte der Frauen in einem noch größeren Ausmaß. Das Regime hat überall Kontrolle und Macht ausgeübt. Nirgendwo durften die Menschen ohne die Kontrolle oder Beteiligung der Regierung frei entscheiden. Es gibt nun in jeder Behörde, in Universitäten, Fernsehanstalten, der Wirtschaft, in Kunst und im Kulturbereich Angestellte der Regierung, welche die nahezu absolute Macht haben, alles nach dem Scharia-Gesetz zu kontrollieren.

Die Menschen haben gesehen, dass das Regime mit der Einschränkung der Rechte der Frauen angefangen hat und irgendwann die Einschränkungen und Verbote in allen Bereichen und gegen alle Menschen durchgesetzt hat.

In einer Diskussion auf Twitter habe ich gelesen, dass die Iraner:innen den Beginn der aktuellen Protestbewegung und die Verbrennung der Kopftücher mit der Etablierung des Apartheidsystems vergleichen und analysieren. Als Nelson Mandela sein Ausweisbuch verbrannte, radikalisierte sich die Anti-Apartheid-Bewegung und umfasste dann die Kritik am gesamten System der Apartheiddiktatur bis zu deren Abschaffung.

„Wir haben das diktatorische System satt, das eine einzige Gruppe oder nur eine politische und religiöse Schicht Freiheit und Macht hat. Wir wollen ein demokratisches System.“

In vielen Kommentaren im Iran in der aktuellen Protestbewegung ist die allgemeine Meinung der Menschen, dass alle Mitglieder der Gesellschaft in einem liberalen System ohne irgendwelche Kleidervorschriften leben sollen. Die meisten von ihnen stimmen nicht mit der Forderung überein, den Hijab im Allgemeinen abzulehnen. Diejenigen, die verschleierte Frauen angreifen und ein entgegengesetztes System des obligatorischen Hijab fordern, werden hingegen abgelehnt. In den Kommentaren steht geschrieben, dass wir Freiheit für alle Religionen und unterschiedliche Glaubensrichtungen sowie eine optionale und keine obligatorische Bedeckung der Haare wollen. Andere Forderungen und Parolen sind: „Wir haben das diktatorische System satt, das eine einzige Gruppe oder nur eine politische und religiöse Schicht Freiheit und Macht hat. Wir wollen ein demokratisches System erreichen, in dem Menschen die Meinung anderer respektieren und niemand und kein Thema ignoriert wird. Frauen Leben Freiheit! Für alle! Nieder mit der Diktatur!“ Die protestierenden Menschen im Iran haben sich für eine neue Regierungsform entschieden. Es gibt kein Zurück mehr!

Zeit, sich solidarisch mit ihnen zu zeigen!

Info: Dieser Beitrag ist eine Kooperation von MiGAZIN mit dem Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik Baden-Württemberg, das unter dem Dach von adis e.V. Antidiskriminierung – Empowerment -Praxisentwicklung organsiert ist. Das Netzwerk versteht sich als Forum von Menschen aus den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Bildung/Weiterbildung, Hochschule sowie angrenzenden Professionen, die sich fachlich und (fach-)politisch in den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Weiterbildung – und auch darüber hinaus – einmischen und dort Rassismus selbststärkend, reflexiv-kritisch und wenn nötig auch skandalisierend zum Thema machen. Das Netzwerk informiert Interessierte in regelmäßigen Abständen von circa zwei Monaten per E-Mail-Newsletter über aktuelle Entwicklungen, Veranstaltungen und Publikationen im Feld der Migrationspädagogik.

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