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Flagge von Kenia © de.depositphotos.com

Kolonialverbrechen

Der lange Schatten des Ersten Weltkriegs in Ostafrika

Im Ersten Weltkrieg spannten die Kriegsparteien in ihren Kolonien Hunderttausende Afrikaner als Soldaten und Träger ein. In Kenia starben Zehntausende im Dienst der Briten oder der Deutschen. Der Lokalhistoriker Mwadilo setzt sich für ein würdiges Gedenken ein.

Von Montag, 23.01.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 23.01.2023, 9:59 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Bauarbeiter machen im Schatten Mittagspause. Es ist erst wenige Wochen her, dass sie menschliche Knochen entdeckt haben, als sie die Fundamente für ein neues Klassenzimmer der Grundschule in Voi in der kenianischen Region Taita-Taveta aushoben. Ersten Vermutungen zufolge sind die Bauarbeiter auf ein Massengrab von kenianischen Trägern gestoßen, die von den Briten im Ersten Weltkrieg eingespannt wurden, um sie im Kampf gegen die Deutschen zu versorgen.

Denn auch in den afrikanischen Kolonien der Deutschen, Briten, Belgier und Portugiesen wurde im Ersten Weltkrieg um die Vorherrschaft gekämpft. Die Kolonialherren setzten Hunderttausende Afrikaner als Soldaten und als Träger ein. Manche meldeten sich freiwillig, andere wurden zwangsrekrutiert, alle bekamen einen Hungerlohn.

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Willie Mwadilo kommt aus Voi. Er war lange Hotelmanager, seit 15 Jahren beschäftigt er sich mit der Geschichte seiner Heimat im Ersten Weltkrieg. Der 65-Jährige sagt: „Es ist wahrscheinlich, dass hier Träger verscharrt wurden, denn nur 150 Meter von hier war ihr Lager.“ Ein weiteres Indiz: „Traditionell werden Menschen hier mit dem Kopf nach Norden begraben“, erklärt Mwadilo. Bei den gefundenen Knochen zeigten die Köpfe nach Süden.

25 Kilogramm, 30 Kilometer, jeden Tag

Rund 5.000 afrikanische Träger, manche angeheuert, manche zum Dienst gezwungen, waren von 1914 bis 1916 in Voi stationiert. Sie waren Teil des sogenannten „Carrier Corps“, auch Kariakor genannt. Sie brachten Essen, Munition und vieles andere an die Front. Jeder Träger musste 25 Kilogramm schleppen, knapp 30 Kilometer am Tag. Dazu das eigene Wasser und Essen für drei Tage.

Die Landschaft in der Region Taita-Taveta mutet schön an mit ihren Hügelketten. Zebras, Giraffen, Büffel und Elefanten grasen am Straßenrand. Sie kann aber auch ziemlich feindlich sein. Es ist heiß und die meisten Monate im Jahr sehr trocken.

Menschen wie Güter behandelt

Insgesamt hatten die Briten Schätzungen zufolge knapp 400.000 Männer aus Kenia und Uganda für ihr Träger-Korps rekrutiert. Dazu kamen die lokalen Soldaten der Truppen des „King’s African Rifles“-Regiments der britischen Armee. Viele kamen um, etwa 50.000 kehrten nicht nach Hause zurück.

„Die Briten haben die afrikanischen Träger wie Güter behandelt. Wenn einer draufging, wurde der nächste eingesetzt“, sagt Willie Mwadilo. In Nairobi und Mombasa erinnern Statuen an die Träger. Aber bis heute gibt es keinen Ort, an dem der einzelnen Träger namentlich gedacht wird, die durch körperliche Ausbeutung, Krankheiten oder Angriffe starben.

Grabsteine nur für britische Soldaten

Für die gefallenen britischen und südafrikanischen Soldaten wurden Kriegsgräberfriedhöfe mit persönlichen Grabsteinen angelegt, verwaltet vom Commonwealth, so wie auch für die Soldaten, die die Briten aus Indien nach Kenia brachten. Um die Kriegsgräber der britischen Soldaten in Voi kümmert sich Anthony Wachira. Er hat den Job von seinem Großvater übernommen, der im Zweiten Weltkrieg als Soldat für die Briten kämpfte. Bis heute kommen Nachfahren aus Großbritannien, Australien oder Kanada, um ihrer Vorfahren zu gedenken, erklärt Wachira.

Zumindest eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Träger in Kenia gibt es seit 2018 in der Nähe der heutigen Taita Hills Lodge, einem Luxus-Hotel. Zu dem Zeitpunkt war Willie Mwadilo der Hotelmanager. Zum Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs in Ostafrika, dem 25. November 1918, findet hier seit fünf Jahren regelmäßig ein Gedenken mit dem kenianischen Militär statt.

100. Jahrestag vom Kriegsende

Einer von Mwadilos Manager-Vorgängern, der in Kenia aufgewachsene Brite James Willson, hatte vor 40 Jahren damit angefangen, die Geschehnisse im Ersten Weltkrieg in Kenia zu dokumentieren. Bei seinen damals noch legalen Großwildjagden rund um die Lodge stieß er immer wieder auf Überbleibsel aus der Zeit: Waffenteile, Munition, Münzen.

„Wir wollen an die erinnern, die nie heimkehrten“, ist Willsons Motto. Zum 100. Jahrestages des Kriegsendes hat er ein Buch veröffentlicht, „Guerillas von Tsavo“. Und er organisierte Gelder und Förderer, die ein kleines Museum möglich machten, das nun in der Hotellobby Besucherinnen und Besucher über die Geschichte informiert.

Tausende starben auch im Dienst deutscher Truppen

Auch im Dienst der deutschen Truppen starben im Verlauf des Ersten Weltkrieges mehrere Tausend afrikanische Soldaten. Taveta, im Süden der heutigen kenianischen Region Taita-Taveta an der Grenze zu Tansania, war das einzige britische Gebiet, das die Deutschen im Ersten Weltkrieg eroberten und zwei Jahre besetzt hielten. Der Kampf der Briten gegen die Deutschen war hart. So kamen auf einen kämpfenden Soldaten rund 15 Träger – selbst das Stroh für die Pferde wurde aus Südafrika herangeschafft. Die deutschen Truppen führten unter General Paul von Lettow-Vorbeck mit den angeheuerten tansanischen Soldaten eher eine Art Guerillakampf, wie Willson erklärt.

Die menschlichen Überreste, die bei den Bauarbeiten an der Grundschule in Voi gefunden wurden, hat das kenianische Nationalmuseum übernommen. Ein Teil wurde zur Kohlenstoffdatierung nach Südafrika geschickt, ein anderer für die Analyse von DNA-Proben nach Großbritannien, sagt Mwadilo. Auch auf einer nahegelegenen großen Sisal-Farm seien vor kurzem Knochen gefunden worden, erzählt der Lokalhistoriker. Er hofft, dass die Funde mehr Informationen über das Schicksal der Träger zutage bringen. Und dass sie am Ende würdevoll bestattet werden können. (epd/mig) Feuilleton Leitartikel

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