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Mazin (unten links) bei den Protesten der Refugees in Libya. © David Yambio

Entführt, gefoltert und verhaftet

15-jähriger Mazin seit 100 Tagen in Libyen unschuldig in Haft

Der 15-jährige Mazin wurde nach seiner Flucht nach Libyen entführt und gefoltert. In Polizeigewahrsam gehen die Misshandlungen bis heute weiter. Seine Familie wendet sich verzweifelt an den UNHCR.

Von Dienstag, 10.01.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 10.01.2023, 12:12 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Ein 15-jähriger Junge wird entführt und gefoltert. Die Polizei findet ihn und nimmt ihn in Gewahrsam, wo sie ihn weiter foltert. 100 Tage lang. Was wie ein dramatisches Filmdrehbuch klingt, ist grausame Realität für Mazin. Seine Familie lässt nicht nach, für seine Freiheit zu kämpfen. Jetzt protestieren sie vor dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in Tripolis, Libyen, für seine Freilassung. Sie tragen Plakate mit Fotos von ihm, auf denen steht: „Help us to free the child Mazin“ – „Helft uns, unser Kind Mazin zu befreien“.

Die Familie lebt seit einigen Jahren in Libyen, nachdem sie vor dem Genozid in Darfur (Sudan) geflüchtet waren. Als Geflüchtete haben sie in Libyen kaum Rechte und erhalten von den libyschen Behörden und den Institutionen der Vereinten Nationen keine Unterstützung. Niemand ist bereit, für Mazin Verantwortung zu übernehmen, Recht durchzusetzen, die Familie zu unterstützen. Wie ihnen geht es tausenden von Schutzbedürftigen, die auf ihrer Flucht nach Libyen kommen oder das Land durchqueren: Fast ohne Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, sind sie darauf angewiesen, einander aus extremen Notsituationen herauszuhelfen.

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Entführt und verhaftet

Am 29. August 2022 wurde Mazin auf dem Weg nach Hause von libyschen Milizen entführt. Ein Foltervideo mit einer Lösegeldforderung tauchte auf, einige Tage später kam die Nachricht, dass er befreit wurde – von der libyschen Polizei. Doch anstatt den 15-Jährigen zu seiner Familie zurückzubringen, wurde Mazin verhaftet, bald von Gefängnis zu Gefängnis weitergeschickt. Aktuell befindet er sich in Haft in Tajoura, östlich von Tripolis. Die Polizei verlangt eine Kaution in absurder Höhe von Mazins Vater. Freunde der Familie berichten, der Junge benötige dringend medizinische und psychologische Hilfe, denn er sei in Haft Misshandlungen, Folter und Zwangsarbeit ausgesetzt und sein Gesundheitszustand verschlechtere sich.

Der Vorwurf, unter dem Mazin verhaftet wurde, ist immer noch unklar: „Bis heute ist mein Sohn ohne klaren Grund im Gefängnis“, sagt sein Vater Muhammad Adam. „Er ist Opfer einer Entführung. Er wurde wiederholt zwischen Gefängnissen verlegt und fünfzehn Gerichtstermine wurden grundlos verschoben. Jetzt ist er im Jugendgefängnis in Tajoura und ich habe mehrfach Beschwerden beim UNHCR Libyen abgegeben, aber sie sagten mir, dass sie nicht das Recht hätten, in staatliche Gefängnisse zu gehen.“ Doch damit nicht genug: Das UNHCR-Büro, so Muhammad Adam weiter, könne ihnen nicht nur nicht helfen, es sei zudem illegal, vor ihrem Sitz für ihre und Mazins Rechte zu demonstrieren. Sollte die libysche Polizei die Familie verhaften, erklärte das Hilfswerk schon jetzt, könne es ihnen nicht helfen.

Menschenrechtsverletzungen Alltag in Libyen

Menschenrechtsverletzungen wie die an Mazin sind in Libyen trauriger Alltag. Das Land ist ein Transitort für viele Flüchtende, besonders aus den Kriegsregionen in Eritrea, Somalia und Sudan. Auch Menschen aus dem Nahen Osten und Syrien passieren den Mittelmeerstaat, obwohl auch in Libyen ein Bürgerkrieg schwelt. Flüchtende bekommen die Auswirkungen des Krieges in besonderer Härte zu spüren. Sie sind Warlords, Milizen und korrupten Behörden schutzlos ausgeliefert. Wenn Flüchtende beim UNHCR Asyl beantragen, erhalten sie zwar den Status „Person of Concern to UNHCR“, der sich in Notfällen aber immer wieder als wirkungslos herausstellt. Auch Mazin und seine Familie tragen diesen Status, erhalten jedoch keinerlei Unterstützung vom Flüchtlingshilfswerk.

Immer wieder protestiert die selbstorganisierte Bewegung „Refugees in Libya“, zu denen auch Mazin und seine Familie gehören, gegen ihre Lebensumstände, die von Gewalt, Entführungen, Ausbeutung und Armut geprägt sind. Sie fordern Schutz und Evakuierung durch den UNHCR. Über Monate hinweg versammelten sich die Demonstrant:innen vor dem UNHCR in Tripolis, um ihre Rechte einzufordern. Auch Mazin und seine Familie waren jeden Tag dabei. Zum internationalen Tag der Menschenrechte, am 10. Dezember 2022, brachten die Refugees in Libya und Unterstützer:innen aus Europa den Protest zum Hauptbüro des UNHCR nach Genf.

Europas Verantwortung in Libyen

Die Lebensrealität von flüchtenden Menschen in Libyen wird auch durch europäische Migrations- und Asylpolitik geschaffen, besonders durch die europäische Finanzierung der sogenannten libyschen Küstenwache. „Europa ist mitschuldig an der Situation in Libyen, am Leid, an der Folter, an den Morden, den Vergewaltigungen, die in den Haftzentren geschehen“, erklärte Azeb Ambessa bei den Protesten in Genf. Mithilfe von öffentlichem Druck aus Europa, so die Hoffnung von Mazins Vater, könne Mazin befreit werden. Die Hoffnung ist durchaus plausibel: In den Wirren des libyschen Bürgerkriegs ist die Regierung auf (finanzielle) Unterstützung aus Europa angewiesen.

Während die EU sich weiter gegen flüchtende Menschen abschottet, kämpft Mazins Familie vor dem UNHCR Tripolis um das Leben und die Freiheit des Jungen. Druck aus der europäischen Zivilgesellschaft und das Eingreifen des UNHCR sind ihre letzten verzweifelten Hoffnungen. „Ich habe keine andere Möglichkeit, nur die Vereinten Nationen. Ich kann mich sonst nirgendwohin wenden“, sagt Mazins Vater in einer Videobotschaft, die vor dem UNHCR Büro in Tripolis aufgenommen wurde. Genau wie bei den Protesten der Refugees in Libya, geht es auch hier um mehr: Libyen ist für keinen Schutzsuchenden ein sicherer Ort. Die EU und der UNHCR müssen endlich Verantwortung für Mazin übernehmen und für alle, die dort jetzt gerade Menschenrechtsverletzungen erfahren. (mig/sasp) Aktuell Panorama

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