Ukrainer in Deutschland

„Wir haben immer angezogen geschlafen“

Mehr als eine Million Ukrainer sind seit Beginn des Krieges im Februar dieses Jahres zumindest vorübergehend nach Deutschland gekommen. In Sachsen-Anhalt beginnen viele, allmählich Fuß zu fassen.

Von Mittwoch, 21.12.2022, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 21.12.2022, 12:19 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Fünf junge Frauen sind an diesem Tag zu Besuch bei einem Mitglied der Gemeinde St. Johannes der Täufer in Burg bei Magdeburg. Seit Frühjahr dieses Jahres hat die katholische Pfarrei die Ukrainerinnen aufgenommen, die vor Krieg, Bomben und Tod aus ihrer Heimat geflohen sind. Auch wenn sie nun in Sicherheit sind, lassen sie die Ereignisse nicht los. Immer wieder kommen ihnen die Tränen, wenn sie von ihren Erlebnissen erzählen.

So ist es auch bei Anna und Svetlana. Die beiden Schwägerinnen stammen aus dem besonders stark zerstörten Mariupol. „Alles, was da war, ist kaputt“, erzählen die beiden. Ende Februar, als die ersten Bomben fielen, flohen sie nach Saporischschja, doch Mitte März kehrten sie in die schwer beschädigte Stadt zurück. „Wir haben beim ersten Mal nicht alle Angehörigen gefunden, sie waren in Kellern versteckt“, erinnern sich die Schwägerinnen. Auf Umwegen kamen sie schließlich nach Deutschland – doch für Annas Mann kam die Rettung zu spät. Wegen der kriegsbedingt überfüllten Krankenhäuser konnte der an Krebs erkrankte Mann seine Chemotherapie nicht fortsetzen. Er starb auf der Flucht.

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„Einer war nachts immer wach“

Auch Olga aus Charkiw lebt derzeit allein mit ihren beiden Töchtern. Ihr Mann ist in der Ukraine geblieben, allerdings nicht als Soldat. Als sie im April nach Burg kamen, hatten sie zwei schreckliche Monate hinter sich. „Einer war nachts immer wach“, erinnert sich Olga an diese Zeit. „Wir haben immer angezogen geschlafen.“ Sie wohnten im sechsten Stock eines Wohnhauses, während der Bombenangriffe suchten sie in U-Bahnhöfen Schutz. Jetzt gehen die beiden Töchter, 16 und elf Jahre alt, in Magdeburg zur Schule. Jeden Tag müssen sie pendeln, doch sie gehen gerne in den Unterricht und freuen sich, dass sie in eine reguläre Klasse gehen dürfen. „Die Kleine hat eine Geschichte im Unterricht vorgelesen und war ganz glücklich, dass sie es geschafft hat“, erzählt Olga.

Solche Geschichten erlebt auch Evelyn Ruppert-Schulze. Für die Diakonie in Salzwedel im Altmarkkreis koordiniert sie die „Netzwerkstelle Migration und Integration“. Rund zehn Ehrenamtliche betreuen hier 100 Flüchtlinge. Mittlerweile kommen dort nur noch wenige Ukrainer an, weil der Landkreis nach dem „Königsteiner Schlüssel“, der die bundesweite Verteilung regelt, bereits mehr Flüchtlinge als erforderlich aufgenommen hat. Rund zehn Personen pro Woche seien es derzeit noch. Die meisten seien hier in Wohnungen untergebracht, Notunterkünfte gebe es nicht, erzählt Ruppert-Schulze.

Integration auf dem Land nicht einfach

Auf dem Land ist die Integration offenbar nicht immer ganz einfach. Zwar sei die Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung nach wie vor groß, aber die Wartezeit für Deutschkurse an der Volkshochschule betrage momentan bis zu drei Monate. Während alle Schulkinder mittlerweile in reguläre Klassen gingen, seien Kitaplätze knapp. Auch die Vermittlung in Arbeit ist in der ländlichen Region schwierig. „Einfache Arbeit gibt es hier schon, aber die Leute haben einen anderen Ausbildungshintergrund“, sagt Ruppert-Schulze. Viele spielten durchaus mit dem Gedanken, in die Heimat zurückzukehren. Aber das sei ein Prozess, der einen ein Leben lang begleite, so ihre Erfahrung. Wenn die Menschen erst einmal hier Wurzeln gefasst, insbesondere Arbeit und Wohnung gefunden hätten, würden sich die Rückkehrpläne oft ändern.

„Ganz dolle“ möchte sie wieder nach Hause zurück, sagt Olga aus Charkiw, eine der Frauen aus Burg, aber ihr Mann meint, das sei schwierig. Völlig anders sieht das Lolita aus Kiew: „Wir haben ein Nachbarland, das beginnt immer wieder einen Krieg“, sagt die junge Frau, die ihre kleine Tochter im Arm hält. Im Bus auf der Flucht wurde das Kind geboren. „Ich möchte mein kleines Kind nicht der Gefahr aussetzen“, sagt Lolita. Wenn die Tochter in die Kita geht, will sie wieder als Krankenschwester arbeiten. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft

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