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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Erinnerungspolitik

Demokraten meinen, gegen radikale Mitbewerber bessere Chancen zu haben, als gegen moderatere. Das ist ein Spiel mit dem Feuer: siehe AfD - oder FDP.

Von Montag, 22.08.2022, 19:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 22.08.2022, 14:31 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Manchmal ist unsere Gesellschaft mit Problemen konfrontiert, die so groß sind, dass es unmöglich scheint, sie überhaupt anzugehen, so groß, dass die einzige Möglichkeit, mit unserem Leben fortzufahren, scheint, diese einfach zu ignorieren, so zu tun, als sei alles ganz normal – und einfach weiterzumachen, wie immer. Weil die Politik nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist und sich einer westlichen Demokratie deren Führer eben nicht einfach austauschen lassen.

Ich rede, natürlich, von Demenz im besten Alter. Bundeskanzler, Minister, Abgeordnete in Parlamenten, die sich, wenn nach kritischen Details ihrer Arbeit befragt, an nichts erinnern können. Wie Olaf Scholz, der anders als 98 Prozent seiner Wähler sehr gut versteht, worum es bei Cum-Ex geht, der aber glaubt, dass seine früheinsetzende Demenz ihn vor Schlimmerem bewahren wird, weil das schon im Wahlkampf so gut geklappt hat, als Springers Presse noch sämtliche Titelseiten damit zu füllen versuchte, dass Analena Baerbock, wenn sie in einer Thesensammlung Thesen sammelt, doch geistigen Diebstahl betreibe – um eine grüne Kanzlerin mit allen Mitteln zu verhindern.

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Wenn aber selbst Springer mittlerweile aufgefallen ist, dass Baerbock in der Ukrainekrise im Gegensatz zu Scholz eine gute Figur macht, ist das nicht nur ein Treppenwitz der Geschichte, es ist vielleicht der Anfang vom Ende des Scholzomaten. Und es ist auch der unmittelbare Beweis dafür, dass Demokratie in der Periode der post-aufgeklärten Unmündigkeit einfach nicht funktionieren kann.

„Vor gut 90 Jahren haben amerikanischen „Patrioten“ unzählige Dollars in einen jungen, aufstrebenden österreichischen Patrioten und seine Partei gepumpt, damit er die Kommunisten aufhalte…“

Ob die Komplexität des Themas Cum-Ex auf Dauer jedenfalls wird dafür sorgen können, dass jene Baseline von Vollidioten, die mindestens 70 Prozent der Wählerschaft ausmachen – und sich beispielsweise in den Social Media derzeit heftig darüber beschwert, dass sie FDP gewählt hat und nun völlig unerwartet FDP bekommt – weiterhin die Augen vor der Umverteilung von Unmengen Volksvermögen in die privaten Hände ohnehin schon reicher Banker verschließen, oder ob der letzte verbleibende Groschen doch noch einmal fallen wird, wird allerdings nur die Zukunft zeigen können.

Mindestens ebenso geschichtsdement erscheint derzeit die US-Gesellschaft, die – für alle Außenstehenden klar sichtbar – lachend in eine Kreissäge rennt, vielleicht aber auch nur zu arrogant ist – von der eigenen Gehirnwäsche zu guten Patrioten erzogen – in dem Glauben, dass die USA die „shining city on the hill“ sind, in der „sowas“ ja „nicht passieren kann“. Beides ist ihnen jedenfalls zuzutrauen.

Worauf ich damit anspiele? Vor gut 90 Jahren haben diese amerikanischen „Patrioten“ unzählige Dollars in einen jungen, aufstrebenden österreichischen Patrioten und seine Partei gepumpt, damit er die Kommunisten aufhalte, die sich in Europa breit machen würden – wenn, ja, wenn sich „LIFE-Magazine’s Person of the Year“ Adolf Hitler dem nicht widersetze.

Heute ist es die Demokratische Partei und deren potente Ostküstenspenderschaft, die viel Geld in den Wahlkampf der Republikaner pumpen, um da die aggressivsten, radikalsten, extremsten, trumptreuesten Spinner zu unterstützen und damit der Trump-Partei innerhalb der Republikaner zum Sieg über die sogenannten „Moderaten“ zu verhelfen.

„Und so wie die stete Radikalisierung hierzulande die AfD auf direktem Wege aus dem Bundestag befördert hat, wird es auch in den USA ganz risikolos funktionieren.“

Und so wie die stete Radikalisierung hierzulande die AfD auf direktem Wege aus dem Bundestag befördert hat, wird es auch in den USA ganz risikolos funktionieren: Die Demokraten spielen mit dem Feuer, weil sie meinen, in den „Midterms“ und folgend der nächsten Präsidentschaftswahl bessere Chancen gegen radikale Mitbewerber zu haben, als gegen moderatere. Dass mit Trump einer der radikalsten unter ihnen bereits zum Präsident gewählt wurde, dass mit dieser Politik die Republikaner dauerhaft in eine Partei von Neofaschisten umgebaut wird, die keinen Respekt mehr vor demokratischen Institutionen hat und die eine Präsidentschaftswahl auch wird nochmal gewinnen können, und dass es dann um die Demokratie in den USA noch sehr viel schlechter als heute schon beschieden sein wird, sowie, dass sich die Wähler stets zusammen mit ihren Kandidaten radikalisieren, ob nun in Großbritannien, in Deutschland oder in den USA – das wurde Mal um Mal aufs Neue bewiesen – die Demokraten scheinen das einfach vergessen zu haben.

Wer bisher geglaubt hat, die USA seien ein failed state, der noch zum Ende dieser Dekade zerfallen wird, kann sich hier jedenfalls widerlegt fühlen: So lange wird es womöglich nicht mehr dauern. Meinung

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