DeZIM-Studie
Rassismus ist Alltag in Deutschland
Die Mehrheit in Deutschland erkennt laut einer Studie an, dass es Rassismus gibt. Ein Problembewusstsein ist damit aber nicht automatisch verknüpft: Viele bewerten Beschwerden über Rassismus als „überempfindlich“. Auch Klischees bleiben verbreitet. Türkische Gemeinde fordert mehr Geld im Kampf gegen Rassismus.
Donnerstag, 05.05.2022, 20:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 05.05.2022, 17:39 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
In Deutschland gibt es einer Studie zufolge ein breites Bewusstsein für Rassismus. Wie aus dem am Donnerstag in Berlin vorgestellten Rassismusmonitor hervorgeht, erkennen 90 Prozent der Bevölkerung an, dass es Rassismus gibt. Fast jeder Zweite (49 Prozent) kennt eine Person, die selbst schon rassistische Erfahrungen gemacht hat. 22 Prozent haben Rassismus selbst erfahren. Das Bewusstsein ist aber nicht unbedingt ein Problembewusstsein, wie die Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) weiter zeigt.
Demnach bewertet gut die Hälfte der Deutschen (52 Prozent) Beschwerden über Rassismus als „ängstlich“, ein Drittel als „überempfindlich“. 45 Prozent finden, dass Rassismusvorwürfe und „politische Korrektheit“ die Meinungsfreiheit beschränkten. Diese Abwehr kommt vor allem aus der alters- und bildungsmäßigen Mitte der Gesellschaft. Und auch rassistische Einstellungen sind weiter verbreitet: Fast die Hälfte der Bevölkerung (49 Prozent) glaubt dem Monitor zufolge daran, dass es menschliche „Rassen“ gibt, darunter sind überproportional Ältere. Ein Drittel bejaht die Aussage, dass gewisse ethnische Gruppen oder Völker fleißiger seien als andere.
Rassismus in allen gesellschaftlichen Gruppen
Für die Studie wurden den Angaben zufolge von April bis August 2021 rund 5.000 Menschen telefonisch befragt. Der von der Bundesregierung geförderte Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor soll eine Datenbasis dafür liefern, an welchen Stellen die Politik bei der Bekämpfung von Rassismus ansetzen soll. Künftig soll es diesen Bericht alle zwei Jahre geben, wenn der Haushaltsausschuss der institutionellen Förderung dafür zustimmt.
Die Direktorin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), Naika Foroutan, wertete das große Bewusstsein für Rassismus als überraschend und positiv. Zugleich räumte sie ein: „Anerkennung von Rassismus heißt noch nicht, dass man sich antirassistisch verhält.“ Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) bezeichnete die Ergebnisse des Monitors als zum Teil „schockierend“. Rassismus ziehe sich quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen.
„Deutschland weiß um sein Rassismusproblem“
Zugleich sei es positiv, dass viele Menschen bereit seien, sich gegen Rassismus zu engagieren, sagte Paus. Laut Studie sind es vor allem Jüngere, die gegen Rassismus aktiv sind. Jüngere seien auch weniger bereit, Rassismus hinzunehmen, erläuterte Foroutan. Ein höherer Bildungsabschluss schützt nach ihren Worten dagegen kaum vor rassistischen Einstellungen oder davor, rassistisch angegangen zu werden. „Rassismus hat also nichts mit gelungener Integration zu tun“, sagte sie.
„Deutschland weiß um sein Rassismusproblem“, kommentierte die Rassismusbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), die Studie. Dies sei ein wichtiger Schritt in Richtung Veränderung. Rassismus sei kein Randphänomen, sondern Realität im Alltag und auch strukturell verankert. Diese Wahrnehmung teilt die Bevölkerung: Laut Studie gehen knapp 65 Prozent der Menschen in Deutschland davon aus, dass es rassistische Diskriminierung in Behörden gibt. Alabali-Radovan wurde im Februar, zusätzlich zu ihrem Amt als Staatsministerin für Migration, zur ersten Anti-Rassismusbeauftragten der Bundesregierung berufen.
Türkische Gemeinde fordert mehr Geld
Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) zeigt sich skeptisch und wirft der Bundesregierung Symbolpolitik vor. Deutschland habe „endlich eine Antirassismus-Beauftragte“ – und vor dem Hintergrund der Studienergebnisse – habe sie zwar „viel zu tun“, aber kein Budget dafür. „Die Bundesregierung kann doch nicht erwarten, dass Frau Alabali-Radovan die neuen Herausforderungen zu Lasten ihres Budgets als Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration meistert“, kritisiert TGD-Bundesvorsitzender Gökay Sofuoğlu. Wenn der Haushalt 2022 so bleibe, lasse die Bundesregierung die Opfer von Rassismus „de facto für dessen Bekämpfung zahlen“. Sofuoğlu weiter: „Ich möchte die Politik daran erinnern, dass Menschen, die selbst von Rassismus betroffen sind, aktuell 12 % der Wahlberechtigten ausmachen. Tendenz steigend.“
Der Diskriminierungs- und Rassismusmonitor basiert auf einem interdisziplinären Forschungsprojekt, das versucht, Ursachen, Ausmaß und Folgen von Rassismus in Deutschland herauszufinden. Neben repräsentativen Umfragen analysieren die Forscherinnen und Forscher unter anderem auch Medienberichterstattung, Beratungsstrukturen und die rechtliche Lage. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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